KI in HR: Chancen nutzen und Risiken bestmöglich minimieren

Künstliche Intelligenz

Herr Pepping, der Hype um den KI-Textgenerator ChatGPT hat gezeigt: Die künstliche Intelligenz erobert zunehmend die Arbeitswelt und mehr und mehr auch das Personalwesen. Was denken Sie, in welchem Ausmaß wird KI die Personalarbeit verändern?
Georg Pepping: Meine Überzeugung ist, dass künstliche Intelligenz disruptiv sein wird, und wir sind da gerade erst am Anfang. Wir erleben an vielen Stellen gerade eine exponentielle Entwicklung.

Und was bedeutet das speziell für den HR-Bereich?
Dieser ist nicht mehr als andere davon betroffen, aber auch nicht weniger. Large-Language-Modelle wie ChatGPT und andere KI-Chatbots werden viele HR-Services ersetzen, die heute entweder über Intranet oder die Karriere­­seite angeboten werden. Hier ist schon viel automatisiert worden. Doch künstliche Intelligenz bietet ganz neue Möglichkeiten, sowohl in bereits teil­automatisierten Prozessen als auch in Themen, die heute noch vollständig von Menschen erledigt werden. KI wird das Zusammenspiel von Mensch und Maschine neu definieren.

Algorithmen werden zu lernenden Systemen, die selbstständig Zusammenhänge erkennen und auch schon Zukunftsprognosen geben können. Die Diskussionen darüber schwanken derzeit zwischen Fluch und Segen. Wie ordnen Sie persönlich den technologischen Fortschritt ein?
Ich bin kein Techie, aber technikinteressiert. Ich bemühe mich, technologische Entwicklungen und was sie an Veränderungen bringen, zu verstehen. Ich habe eine offene Haltung für Technologie. Denn eins ist klar: Technologischer Fortschritt wird stattfinden und bahnbrechende Technologien werden sich schnell verbreiten. ChatGPT ist ein gutes Beispiel. Brauchte Instagram noch zweineinhalb Jahre für 100 Millionen Nutzer und Tiktok neun Monate, benötigte ChatGPT dafür nur zwei Monate. Die Entwicklungen finden schneller statt, als wir in der Lage sind, sie vollumfänglich zu begreifen, geschweige denn sie mit allen Features zu nutzen. Aber: je stärker die Technologie, desto stärker die Chancen, aber auch die Risiken. Jeder technologische Fortschritt war und ist so gesehen Fluch und Segen zugleich. Es kommt darauf an, wie der Mensch die Technologie nutzen will und am Ende tatsächlich nutzt.

+++ Wie genau künstliche Intelligenz die Zukunft des Personalwesens prägen wird und welche Chancen Chatbots wie ChatGPT für Ihr Retention Management bieten, das diskutiert Georg Pepping auch auf der STAY – der Konferenz für Mitarbeiterbindung am 12. & 13. Oktober 2023. +++

Wo sind für Sie persönlich und wo in Ihre Rolle als Personalverantwortlicher die Grenzen?
Meine Haltung ist, offen zu sein und die Chancen von Technologie zu sehen, und das leben wir auch im Unternehmen. Wenn ich auf den Wirtschaftsstandort Deutschland schaue, ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, das Technologieverständnis gerade für digitale Technologien zu fördern, und zwar möglichst frühzeitig. Darauf schaue ich mit Sorge. In Deutschland haben wir nach wie vor relativ wenig
Absolventinnen und Absolventen in MINT-Berufen – und das in einem Land, das über das Ingenieurwesen und den Maschinenbau wirtschaftlich stark geworden ist. Wir kämpfen sehr darum, den Anschluss an die digitale Ökonomie und die neuesten Technologien nicht zu verlieren. Als Personaler bin ich dafür, eine Kultur zu schaffen, die zum Ausprobieren einlädt – vom Kindergarten bis in Unternehmen hinein. Ich möchte, dass Technologie inspiriert.

Haben Sie ChatGPT schon ausprobiert?
Klar, ich habe ein Bewerbungsschreiben an T-Systems verfasst, ein Arbeitszeugnis formuliert, ein Konzept für ein Talentprogramm konzipiert und eine Betriebsvereinbarung zum Thema mobiles Arbeiten erstellt.

Mit welchem Ergebnis?
Man kann an den wenigen Beispielen die Einsatzmöglichkeiten sehen, aber auch, wo heute noch die Grenzen des Systems liegen. Die Texterstellung, Sprache, Grammatik wie auch Übersetzung sind mehr als gut. Schon jetzt kann man es als Arbeitsunterstützung einsetzen, man muss das Ergebnis allerdings kontrollieren und überarbeiten. Vorhersagen oder vertiefende Meinungsbildung, oder gar Beurteilungen erstellen, kann das System noch nicht. Interessant fand ich, wie zur Vermeidung von Fehlaussagen meine Fragen von ChatGPT ganz diplomatisch beantwortet wurden.

Das heißt, es ist noch ein bisschen Spielerei und wird noch nicht ernsthaft bei Ihnen im Personalbereich eingesetzt?
KI unterstützt bereits heute unsere Personalarbeit. Wir setzen beispielsweise intelligente Chatbots im HR-Service ein, wenn es um allgemeine Fragen zu Urlaub oder Elternzeit geht. Oder zur Beantwortung von Fragen von Jobinteressierten zum Unternehmen. KI hilft auch heute schon Bewerberinnen und Bewerbern bei der Jobsuche auf der Karriere-Website oder Mitarbeitenden beim Auffinden von geeigneten Trainings. Large-Language-Modelle à la ChatGPT setzen wir aber noch nicht ein. Das wird noch etwas dauern.

Viele Personalverantwortliche sind bestimmt auch noch in dem Stadium des Ausprobierens. Was denken Sie, in welchen HR-Feldern lässt sich ChatGPT langfristig nutzen?
Ganz praktisch dort, wo heute schon über Chatbots und mit teilautomatisiertem Service gearbeitet wird. Heutige Chatbots werden in der Regel mit vorgefertigten Antworten gefüttert und können damit einen Teil von typischen Anfragen beantworten. Large-Language-Modelle werden es ermöglichen, dass fast jede Frage beantwortet werden kann. Ein großes Einsatzfeld werden Beratungs- oder Serviceanfragen an Unternehmen sein. Ich gehe davon aus, dass ChatGPT oder andere Large-Language-Modelle eine neue Qualität in den HR-Bereich bringen. Die KI beantwortet dann Fragen von Mitarbeitenden zu Personalprodukten und Services oder ersetzt einen großen Teil der Recruitingprozesse. Sei es die Erstellung von Stellenbeschreibungen oder die Beschreibung von Karrierewegen oder beim Onboarding. KI wird zur zentralen Schnittstelle für HR-Services und wird nicht nur Auskunft geben, sondern auch beraten. Ich sehe die KI zum Beispiel als Karriereberater. Dann bekämen unsere Mitarbeitenden einen intelligenten Chatbot an die Seite, der ihnen Karrierepfade aufzeigt und dazugehörige personalisierte Schulungen vorschlägt.

Generative KI wird aber nicht nur im HR-Service, sondern auch in Competence Centern bei konzeptionellen Tätigkeiten eingesetzt, wenn es um Recherche, Ideenfindung, Inspiration und Strukturierung geht. Wir könnten uns große Textmengen von ihr zusammenfassen lassen. Das ist an vielen Stellen sehr praktisch. Wenn ich zum Beispiel Betriebsvereinbarungen oder ein kreatives Konzept zur Talententwicklung schreiben möchte, lasse ich diese von ChatGPT vorerstellen und muss dann nur noch kontrollieren und anpassen. Bis heute habe ich mir Anregungen über die Internetsuche oder aus Fachbüchern geholt. Morgen werde ich das wahrscheinlich routinemäßig über eine generative KI tun. Langfristig gesehen, müssen für den Einsatz dieser Technologien aber noch einige Herausforderungen gelöst werden.

Inwiefern?
Sobald es über ein erstes Ausprobieren hinausgeht, braucht es Rahmenbedingungen, die dem Datenschutz gerecht werden und Geschäftsgeheimnisse schützen. ChatGPT lernt mit jeder Anfrage, weshalb ich keine kritischen Geschäftsdaten oder persönliche Daten eingeben sollte. Hier sind technische sowie regulatorische Lösungen erforderlich. Dabei helfen Sovereign-Cloud-Lösungen oder Data Spaces. Durch solche Lösungen werden generative KI-Systeme und -Anwendungen auch für die Personalarbeit in voller Breite nutzbar und werden diese grundlegend verändern.

Welche HR-Prozesse und -Strukturen müssen angesichts von KI unbedingt auf den Prüfstand?
Ich gehe davon aus, dass wir KI in mehr oder weniger allen Bereichen einsetzen werden. Von daher kommt sicher früher oder später alles auf den Prüfstand. Es ist daher sinnvoll, schon jetzt einen Handlungsrahmen festzulegen für den Umgang mit KI. Das KI-Manifest der Deutschen Telekom legt fest, welche Standards für die Nutzung von KI-Systemen gelten, insbesondere für den Umgang mit sensiblen Daten. Und dass KI-Systeme nicht missbraucht werden oder diskriminierend wirken dürfen.

Wenn Sie jetzt Bewerbungsschreiben bekommen, denken Sie unwillkürlich, das könnte auch eine KI geschrieben haben?
Hand aufs Herz, wenn sich Tech-Expertinnen oder -Experten bei der Textgenerierung der KI bedienen, kann ich das nur begrüßen. Sie bewerben sich ja nicht als Redakteur in der Unternehmenskommunikation. Schon heute kann ich im Netz Textvorlagen jeder Art nutzen. Es wird immer schwerer zu beurteilen: Was ist jetzt echt oder falsch? Das betrifft schon heute Nachrichten, Fotos, Videos und Stimmen. Das werden wir auch mit ChatGPT erleben. Können wir uns auf eine Bewerbung verlassen? Nein. Deshalb wird einiges nicht mehr virtuell, sondern physisch stattfinden. Wenn ich Softwareentwicklerinnen und -entwickler einstelle, dann finden vorgelagert fachliche Onlinetests statt. Da gibt es ein gewisses Missbrauchspotenzial. Mit ChatGPT müssen wir uns also zukünftig vermehrt die Frage stellen: Wem oder was können wir vertrauen? Wir können uns nicht mehr sicher sein, ob das, was wir lesen, hören und sehen, echt oder selbsterstellt ist.

Das bedeutet, im Nachgang des Einsatzes dieser Systeme ist Handlungsbedarf für neue Qualitätssicherungsprozesse?
Richtig, das ist der Punkt. Ich verstehe darunter eine Art laufenden Feedback-Loop. Technologie entwickelt sich weiter, erschafft neue Möglichkeiten und damit neue Chancen und neue Risiken. Wir müssen stetig überprüfen, wie wir die Chancen nutzen und Risiken bestmöglich minimieren. Daher ist es gerade im Personalbereich entscheidend, dass wir die Technologie verstehen. Ich bin von der Ausbildung her der klassische Personaler. Heute haben wir in HR meistens Mitarbeitende mit einem rechtlichen, psychologischen, pädagogischen oder betriebswirtschaftlichen Ausbildungshintergrund. Es ist aber nicht mehr damit getan, dass wir im HR diejenigen sind, die Menschen gut verstehen, gerne mit Menschen arbeiten. Wir müssen auch viel stärker Technologien verstehen. Heißt, wir werden im HR-Bereich künftig Datenanalysten und IT-Fachkräfte brauchen und sehen.

Welches Mindset brauchen Mitarbeitende, um dem Einsatz von KI positiv zu begegnen, und wie richten Sie dementsprechend die Personalentwicklung aus?
Wir haben neben einem sehr fundierten Tech-Lern-Portfolio ein Peer-to-Peer-Lernen auf den Weg gebracht. Das sind Communities, in denen sich Interessierte zu einem bestimmten Thema wie zum Beispiel KI zusammenfinden und voneinander lernen. Zudem regen wir interdisziplinäres Lernen an, gerade auch zum Thema Digitalisierung. Unser Selbstverständnis beinhaltet, die Digitalisierung und Begeisterung für Technologie in Deutschland und Europa mit voranzutreiben. Ein neugieriges und offenes Mindset ist notwendig. Wir sprechen gerne vom digitalen Mindset. Also die Fähigkeit, Technologie mit einem „Human Mindset“ anzuwenden.

Welche ethischen Anforderungen müssen an den Einsatz von KI-Lösungen bei Personalentscheidungen gestellt werden?
KI-Systeme sollen assistieren, aber wesentliche Entscheidungen werden weiterhin von Menschen getroffen. Es braucht zudem laufende Qualitätskontrollen. Wir sehen schon heute in den sozialen Medien, wie notwendig Kontrollen zum Beispiel zum Ausschluss von Hatespeech sind. Auch in Unternehmen brauchen wir geeignete Kontrollinstanzen. Aber ich würde nicht sagen, man soll gar nicht erst anfangen, bevor alles geregelt ist, dann kommen wir nie voran.

Was werden Ihre Leitlinien für den Personalbereich sein, damit die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleibt?
Wir haben darüber gesprochen, dass künstliche Intelligenz den Menschen in vielen Bereichen ersetzen wird. Wir müssen uns frühzeitig auch darüber unterhalten, was sie nicht ersetzen sollte. Es gibt einen verbleibenden Kern des Menschen, den Systeme auch auf absehbare Zeit nicht ersetzen können und meines Erachtens auch zukünftig nicht ersetzen sollten. Beispielsweise dort, wo tiefer menschlicher Austausch und menschliche Kreativität nötig sind. Ich halte es für wichtig, dies für die Unternehmenskultur frühzeitig zu definieren. Es gibt viele Dinge, die durch den Einsatz von Technologien neu definiert werden müssen. Nehmen wir das Beispiel Homeoffice in und nach der Pandemie. Hier mussten viele Unternehmen die Zusammenarbeit neu definieren und aushandeln. Oder ergründen, wie die technologischen Möglichkeiten, von überall arbeiten zu können, so genutzt werden können, dass die Bindung zum Unternehmen und das soziale Miteinander nicht verloren gehen. Die Frage, was für ein menschliches Miteinander wichtig ist, sollte auch in Bezug auf KI-Systeme gestellt werden. Heißt kurzgefasst: die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz nutzen, aber die Hege und Pflege der natürlichen Intelligenz darüber nicht vernachlässigen.

Über den Gesprächspartner:

Georg Pepping ist ausgebildeter Jurist. Seit 2010 ist er Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor beim Digitaldienstleister T-Systems. Zuvor war er seit 1997 bei der Deutschen Telekom in verschiedenen HR-Positionen tätig.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Spielen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sabine Schritt ist leitende Redakteurin beim Human Resources Manager.

Sabine Schritt

Sabine Schritt ist leitende Redakteurin des Magazins Human Resources Manager. Sie war zuvor 25 Jahre als freie Journalistin tätig. Nach verschiedenen Stationen im Tagesjournalismus und bei Ratgeber- und Lifestyle-Publikationen, beschäftigt sie sich seit über 15 Jahren intensiv mit Themen rund um die Arbeitswelt, HR und Führung. Die gebürtige Kölnerin war zudem bis 2012 stellvertretende Chefredakteurin des Schweizer Fachmagazins HR Today in Zürich. Anschließend war sie zehn Jahre als freie Redakteurin für das Fachmagazin Personalführung tätig. Sabines besonderes Interesse gilt den Aspekten:  Zusammenarbeit, Kommunikation, digitale Transformation, Kulturwandel in Unternehmen, Rollenverständnis von HR, Persönlichkeitsentwicklung.

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