Der 1. Mai ist als Tag der Arbeit in vielen Ländern ein Feiertag. Wie ist das historisch begründet und was können wir heute daraus lernen?
Ausgerechnet am „Tag der Arbeit“ arbeitet man in Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien und vielen anderen Ländern nicht. Manche denken beim 1. Mai an Massendemos und brennende Autos, andere freuen sich einfach über einen freien Frühlingstag, den sie zum Ausspannen oder für einen Ausflug ins Grüne nutzen. Aber wie kam es eigentlich dazu, dass der 1. Mai heute ein Feiertag ist und warum heißt er „Tag der Arbeit“? Und ist er in Zeiten der Digitalisierung ein Anachronismus oder vielleicht sogar aktueller denn je?
Der Kampf für den Achtstundentag
Der Tag der Arbeit hat seinen Ursprung in den USA des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Am 1. Mai 1886 traten dort rund 400.000 Arbeiter in einen mehrtägigen Streik. Grund für die Wahl des Datums war der sogenannte „Moving day“, an dem jeweils die neuen Arbeitsverträge abgeschlossen wurden. Die Arbeiter forderten, dass die Betriebe den Achtstundentag verbindlich in die Verträge aufnehmen sollten. Zu diesem Zeitpunkt waren elf bis 13 Stunden Arbeitszeit normal. Auf dem Haymarket in Chicago endeten die Proteste in gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten, die mehrere Tote und zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten zur Folge hatten.
In den darauffolgenden Jahren breiteten sich die Streiks und Proteste auf viele andere Länder aus, darunter auch Deutschland. Bis zu den ersten Erfolgen dauerte es hier allerdings noch eine Weile. Deutschland führte beispielsweise den Achtstundentag erst nach Ende des zweiten Weltkriegs ein. 1919 wurde der 1. Mai zum offiziellen Feiertag erklärt, einige Jahre später aber in vielen Regionen wieder abgeschafft.
Nationalsozialismus: Verbot von Gewerkschaften
Die Nationalsozialisten führten 1933 den Feiertag unter dem Namen „Tag der nationalen Arbeit“ wieder ein, entfremdeten ihn allerdings von seiner eigentlichen Bedeutung. Das NS-Regime verbot sämtliche Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen. Bald darauf benannten die Nationalsozialisten ihn in „Nationaler Feiertag des Deutschen Volkes“ um, damit er nicht mehr auf das Thema Arbeit verwies. Stattdessen hielt die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) öffentliche Paraden ab.
Direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs feierten weite Teile Deutschland den 1. Mai wieder als Tag der Arbeit – vor allem ehemalige Gewerkschafter. Der Alliierten Kontrollrat bestätigte ihn 1946 wieder als offiziellen Feiertag, auch wenn es zunächst Einschränkungen bei den Maikundgebungen gab.
DDR: Tag der Arbeit als Pflichtveranstaltung
Das sozialistische Regime der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) stilisierte den Tag der Arbeit zum Nationalfeiertag, unter dem Namen „Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus“. DDR-Bürger waren dazu verpflichtet, bei den Maimärschen zu erscheinen. Diese sollten – zusammen mit dem sozialistischen Symbol der roten Mainelke – an die Tradition der internationalen Arbeiterbewegung erinnern.
Damit wurde der Tag der Arbeit von einem Event mit Protestcharakter zur Pflichtveranstaltung umgedeutet. Gerade in den letzten Jahren der DDR wurde er aus Angst vor Protesten immer mehr zur geschlossenen Veranstaltung der Sozialistischen Einheitspartei (SED), die sogar die Karl-Marx-Allee in Berlin-Mitte für ihre Kundgebungen großräumig absperren ließ.
Berlin-Kreuzberg: Krawalle und Myfest
In der Bundesrepublik Deutschland gestaltete vor allem der Deutsche Gewerkschaftsbund die Maifeiern. Doch neben den organisierten Großveranstaltungen gab es in einigen Großstädten – insbesondere im Berliner Stadtteil Kreuzberg – auch immer wieder Demonstrationen linksradikaler Gruppen, die oft in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten endeten. Am 1. Mai 1987 eskalierte die Lage. In der linken Szene herrschte zu diesem Zeitpunkt bereits angespannte Stimmung, unter anderem wegen einer Kampagne zum Boykott der geplanten Volkszählung und der als repressiv empfundenen Maßnahmen des CDU-geführten Senats.
Während des traditionellen Straßenfests kam es ab Nachmittag zu gewaltsamen Ausschreitungen, verursacht durch Autonome, die einen Streifenwagen umgeworfen hatten. Die Polizei löste das Straßenfest daraufhin mit Schlagstöcken und Tränengas auf, zog sich dann aber am späten Abend aus dem Stadtteil zurück. In der Nacht wurden mehrere Autos, darunter ein Feuerwehrfahrzeug, sowie der Görlitzer Bahnhof in Brand gesetzt und Läden geplündert.
Am 1. Mai 1987 wurden über 100 Personen verletzt und rund 50 Menschen festgenommen. In den Jahren darauf verliefen die Proteste teilweise noch gewalttätiger. Innerhalb der linken Szene stehen aber nicht nur die zu offensiven Polizeieinsätze stark in der Kritik; viele behaupten auch, dass die Grundidee der Demonstrationen in Randalen und Alkoholmissbrauch verloren ginge.
Eine der Gegenmaßnahmen ist seit 1999 das „Myfest“, eine Art friedliche Gegenveranstaltung. Obwohl manche Autonome auch wiederum gegen den eher unpolitischen Charakter des Myfests demonstrieren, verläuft der Tag der Arbeit in den letzten Jahren meist weitgehend friedlich.
Die digitale Revolution: Ist ein Kampftag der Arbeiterklasse heute obsolet?
Heute ist der Tag der Arbeit immer noch vielerorts ein fest etablierter Feiertag. Welche Bedeutung hat nun aber der Kampftag der Arbeiterklasse in einem Zeitalter, in dem die Arbeiterklasse nach und nach durch Roboter ersetzt wird? Der Blogger Ralf Buschnig meint, die Idee einer Arbeiterschaft als Klassenbewusstsein sei im 21. Jahrhundert einfach „vollkommen obsolet“, da kaum noch Menschen in Fabriken arbeiteten. Und selbst die wenigen, die es tun, machten am 1. Mai lieber einen Ausflug mit der Familie als zu einem Aufmarsch zu gehen.
Ist damit der Tag der Arbeit also in Zeiten von Digitalisierung und Automatisierung ein Anachronismus? Oder sollte er vielmehr ein Tag sein, an dem wir einfach mal generell unsere Art zu arbeiten in Frage stellen?
Unflexible Arbeitsstrukturen sind unsere 13-Stunden-Schicht
Der Achtstundentag war vor mehr als 100 Jahren eine Erleichterung für die Arbeiterklasse, aber ist er deswegen noch angemessen für die Büroangestellten im Jahre 2019? Vielleicht ist ein unflexibles Nine-to-Five im stickigen Großraumbüro das, was im 19. Jahrhundert eine 13-stündige Schicht in der Fabrik war. Und Burnout und Depressionen sind heute das, was damals gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen und Arbeitsunfälle waren.
Wie die industrielle Revolution damals, erfordert es die digitale Revolution heute, die Arbeitswelt radikal umzukrempeln; Trends wie New Work sowie die Diskussionen um ein Recht auf Homeoffice, flexiblere Arbeitszeitmodelle und agile Führung machen es vor. Also, warum nicht weiterhin den 1. Mai als Tag der Arbeit feiern und damit auf das notwendige Umdenken aufmerksam machen? Dann könnten die internationalen Start-up-Hipster im gentrifizierten Kreuzberg nicht nur auf dem Myfest tanzen, sondern sich für eine zeitgemäße Arbeitskultur einsetzen – gewaltfrei natürlich, mit Club Mate statt Molotow-Cocktail.