Dilemmata sind das Salz in der Suppe

Leadership

Führungskräfte leben in Widersprüchen, aus denen es keinen eindeutigen Ausweg gibt. Sonst bräuchte es keine Führungskräfte. Wohl formulierte Regeln und Vorschriften einerseits und Aufsichtspersonal andererseits, das deren Einhaltung gewährleistet, würden dann genügen. Führen erfordert, mit Alternativen umzugehen, von denen jede unverzichtbar erscheint, aber alle kaum in Einklang zu bringen sind.

Ursachen von Dilemmata liegen in der Komplexität sozialer Situationen mit ihren verschiedenen Interessensgruppen und Anforderungen. Im Kontext der Personalführung sind das speziell:

  • das Wirtschaftlichkeitsprinzip, also der Druck auf alle Beteiligten, Kapitalrentabilität zu erzielen
  • der Markt und seine Merkmale, der von verschiedenen Interessen gekennzeichnet ist
  • die Arbeitsteilung und Koordination zwischen Personen und Einheiten mit unterschiedlichen Interessen
  • die individualisierten Belohnungssysteme auch bei kooperationsbedürftigen Aufgaben
  • die Bevorzugung von Formalisierung und Standardisierung auch in Feldern mit erhöhten Flexibilitätsanforderungen
  • die Inklusions- und Exklusionsmechanismen in hierarchischen Organisationen
  • das überholte Stereotyp, dass Führungskräfte in überlegener Weise agieren und alle Probleme selbst lösen können

So ergeben sich viele Dilemmata, in denen Entscheidungen gefällt werden müssen, deren Auswirkungen nicht eindeutig gut oder schlecht, richtig oder falsch sind. Allein ihre Vielzahl führt zu einem weiteren Dilemma: Befasst sich eine Führungskraft permanent mit den Dilemmata, um ihr Handeln daran zu orientieren, kommt sie kaum noch zum Arbeiten: Sie wird durch die Abwägungen gefordert und damit immobilisiert. Kümmert sie sich dagegen gar nicht darum, wird sie entweder zum zynischen Unmenschen, der sein Team ausschließlich als Mittel zum Zweck sieht, oder sie wird recht schnell darin aufgerieben, weil sie sich in Rücksichten und Aufmerksamkeiten verzettelt, die nicht miteinander vereinbar sind.

Umgang mit Führungsdilemmata

Nicht alle – vielleicht sogar recht wenige – Dilemmata lassen sich nach Wunsch konfliktfrei lösen. Was bedeuten würde, dass beide Wege beschritten werden können oder zumindest ein Kompromiss möglich ist.
Wie kann man nun mit solchen Situationen umgehen? Hilfreich ist, an den zentralen Merkmalen von Dilemmata anzusetzen: den Zwang zur Entscheidung zwischen gegensätzlichen Alternativen. Sind diese Merkmale überhaupt gegeben und wenn ja, welche Möglichkeiten zum Umgang damit gibt es tatsächlich?

Die zwei gegensätzlichen Alternativen:

  • Gibt es nur diese Alternativen? Oder gibt es ein ganzes Feld davon und die beiden bisher betrachteten sind nur augenfällige Gegenpole? Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele Graustufen. Und zusätzlich das ganze Spektrum der Farben.
  • Sind sie überhaupt Gegensätze? Häufig sind sogenannte Gegensätze lediglich Verschiedenes, das sich sehr wohl gemeinsam bearbeiten lässt und nicht nur in Konkurrenz.
  • Sind sie wirklich gegeben? Entstehen sie nicht durch die Art der Führungskraft, hinzusehen und zu beurteilen? Erwarten oder suchen wir ein Problem, finden wir auch eines. Obwohl da vielleicht gar keines ist.
  • Auch wenn sie gegeben sind: Muss man sie wirklich ansehen? Man kann etwas auch übersehen, negieren, relativieren, umdeuten.

Die Notwendigkeit der Entscheidung:

  • Kompromisse schließen: der klassische Weg zur Lösungsfindung, der zwar niemanden begeistert, aber oft können alle damit leben – weil auch andere Opfer bringen.
  • Inhaltliche Segmentierung: Oft lassen sich für die Alternativen voneinander getrennte Einordnungen schaffen, die dann einzeln abgearbeitet werden können.
  • Die Zeit als Variable nutzen: Müssen die Alternativen gleichzeitig fokussiert werden? Geht nicht auch ein Nacheinander? Vielleicht kann man sogar die ganze Situation einfach aussitzen, verstreichen lassen, also die Entscheidung negieren.
  • Sozial ausweiten: das Dilemma in größerem Kreis offenlegen und diskutieren. Die Beteiligten sollen Hinweise geben, die die Entscheidung erleichtern.
  • Entscheidung exportieren: Delegation an verschiedene Stakeholder, um so den einen Pol oder gar beide Pole loszuwerden.
  • Symbolische Lösungen entwickeln: beiden Alternativen entsprechend handeln – zumindest symbolisch, zum Beispiel die eine laut loben, die andere leise belohnen.
  • Sich in Ethik und Logik auszukennen, ist hilfreich. Die Kompetenz, hier argumentativ agieren zu können, löst Dilemmata nicht immer auf, kann aber sensibilisieren und kontroverse Ansichten verständiger oder sogar versöhnlicher gestalten – auch das ist ein Aspekt symbolischen Handelns.
  • Arbeit an der eigenen Haltung: Die Spannung aushalten oder sogar als anregend genießen, statt Schmerz wahrzunehmen.

Nicht immer wird und kann man also aus Dilemmata als heldenhafte Person hervorgehen, die die beiden Pole in überraschender, kreativer und überlegener Weise nicht nur vereint, sondern sogar durch Synergie alles aus beiden herausholt, die Situation visionär zu einem Win-win-Feld strukturiert und alle Stakeholder begeistert. Real wird das Ergebnis oft nicht begeistern. Solange es aber das Beste ist, was zu holen war, wurde gut und erfolgreich geführt. Auch wenn kein Glanz darauf liegt.

Die Einstellung als Grundlage

Was ermöglicht es, im Alltag mit den Dilemmata umzugehen, beidhändiger zu handeln sowie die vielen Anforderungen und Erwartungen zu tarieren? Neben einzelnen Techniken ist es wohl vor allem die Einstellung, die es erlaubt, unbefangen, aber doch konzentriert damit umzugehen. Anzuerkennen, dass es Dilemmata gibt und es normal ist, in komplexen Handlungsfeldern darauf zu stoßen, erleichtert den Umgang mit ihnen. Sie als Abweichung wahrzunehmen, macht sie direkt zum Problem, zur Störung, zur Gefahr. Eigentlich entsteht das Problem nur, sobald man, wenn man eines Dilemmas gewahr wird, in einen Alarmzustand verfällt, der einen aus dem Gleichgewicht wirft. Dann neigen Menschen üblicherweise zu Notreaktionen, die weniger das Problem lösen als es sich vielmehr vom Hals schaffen wollen – was nicht die beste Voraussetzung für ein gutes Ergebnis ist.

Betrachtet man Dilemmata dagegen lediglich als übliche Eigenschaften von Handlungssituationen in der Personalführung, kann man mit ihnen genauso konstruktiv umgehen wie mit anderen Gegebenheiten, die man als selbstverständlich ansieht: routiniert und reflektiert. Ein wichtiger Teil der Lösung sind also Gelassenheit und Aufmerksamkeit im Umgang mit Dilemmata. Aber wie viel Gelassenheit und Aufmerksamkeit? Da ist wieder das Dilemma bei der Arbeit an Dilemmata. Dilemmata sind das Salz in der Suppe der Personalführung; sie machen sie herausfordernd, anspruchsvoll und verantwortungsvoll. Ohne sie bedeutete Personalführung schlicht, die ständig gleichen Anweisungen zu geben – bis man durch Routinen ersetzt wird.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Leadership. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Alexander Wick, Professor an der Internationalen Berufsakademie Darmstadt

Alexander Wick

Alexander Wick ist Professor an der Internationalen Berufs­akademie in Darmstadt und lehrt Betriebswirtschaftslehre. Der promovierte Psychologe befasst sich in seinen Publikationen mit Personalführung, Personalauswahl und Mitarbeiterbindung.
Bernd Blessin, CCO der VPV Versicherungen

Bernd Blessin

Bernd Blessin ist Leiter Personal und Organisation sowie Recht und Compliance (CCO) der VPV Versicherungen. Zuvor war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler unter anderem für Coca-Cola Erfrischungsgetränke tätig. Er ist Mitautor des Buchs Führen und führen lassen.

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