Frau Dr. Frey-Cordes, als erste deutsche Hochschule bietet die IUBH „New Work“ als Bachelor im Fernstudium an. Braucht es denn dafür einen eigenen Studiengang?
Regina Frey-Cordes: Die Idee hat sich entwickelt, als wir unseren Bachelor Personalmanagement letztes Jahr reakkreditiert haben. Wir haben überlegt, ob wir den Studiengang grundlegend mit Blick auf New Work ändern oder ihn eher konservativ verbessern sollten. Wir haben dem Rektorat beide Möglichkeiten vorgestellt und kamen gemeinsam zu dem Schluss, dass beides valide Studiengangskonzepte seien, die parallel existieren könnten. Die nächste Frage war, ob bei der völlig neuen Ausrichtung der Begriff „Personalmanagement“ überhaupt noch zuträfe. Eine Befragung unter Studierenden und Interessierten des Studiengangs Personalmanagement ergab ziemlich eindeutig, dass „New Work“ für die geplanten Inhalte der treffendere Begriff sei. Wir haben uns die Idee dann mit mehreren Gremien angeschaut und weiter ausgearbeitet. Jetzt bieten wir sowohl New Work als auch Personalmanagement als Bachelorstudiengänge gleichberechtigt nebeneinander an.
Was unterscheidet die beiden Studiengänge voneinander?
Der Bachelor Personalmanagement beschäftigt sich mehr mit den klassischen Organisationsstrukturen und Personalthemen wie etwa Abrechnung und Payroll, die man ja auch immer noch braucht. New Work richtet sich eher an Personen, die aus der Start-up-Szene, der Organisationsentwicklung oder einem Unternehmensumfeld kommen, das radikale neue Schritte wagen will. Der Studiengang beschäftigt sich mit den Konzepten hinter New Work, neuen Strukturen und Organisationsentwicklung und vermittelt auch die psychologischen Hintergründe. Denn wenn wir neue Strukturen ohne oder mit weniger Hierarchie entwickeln wollen, brauchen wir psychologisches Empowerment, größere Freiräume, aber auch Mitarbeitende, die willens und in der Lage sind, diese Freiräume auszufüllen. New Work ist ein Studiengang, der Organisationsstrukturen im herkömmlichen Sinne in Frage stellt. Damit wollen wir die Leute abholen und ausbilden, die genau diesen Wandel bewirken wollen. Das werden meiner Einschätzung nach in den nächsten Jahren immer mehr werden und wir wollen zu einem sehr frühen Zeitpunkt schon die Möglichkeit der Qualifizierung dafür bereitstellen.
Wie würden Sie New Work einer Person beschreiben, die noch nie etwas davon gehört hat?
Kommt drauf an. Wenn Sie mich fragen, wie man New Work definiert, könnte ich einfach Frithjof Bergmann zitieren. Wenn Sie mich aber fragen, was hinter der Idee von New Work, dann kann ich Ihnen dazu im Wesentlichen drei Punkte aufzählen: Zum einen ist da eine komplette Wandlung der Idee von Arbeit. Es geht bei New Work nicht mehr ausschließlich um Arbeitsteilung und Effizienz, sondern sie berücksichtigt vor allem, dass Arbeit Freude und Sinn bringen soll. Der zweite Punkt ist daraus folgend ein verstärktes Maß an Ownership, wobei die Mitarbeitenden auch mehr zu Intrapreneur:innen werden und durch Sinn, Freiheit und Freude an der Arbeit auch Spaß daran haben, Verantwortung zu übernehmen. Der dritte Punkt ist Freiheit. Die Aufgabe von Führungskräften ist es, Mitarbeitende stärker zu empowern, das heißt einerseits strukturell Freiheiten zu geben und mehr zu delegieren, vor allem auch Verantwortung, nicht nur Aufgaben. Dabei sollten sie gleichzeitig den Mitarbeitenden psychologisch mehr Einfluss und Entscheidungsspielraum zutrauen.
Wie Unternehmen heute New Work umsetzen, hat oft nicht mehr so viel mit der ursprünglichen Idee des Philosophen Frithjof Bergmann zu tun. Ist es Ihrer Meinung nach möglich, diese in die Praxis umzusetzen?
Das stimmt leider, viele Unternehmen bieten zum Beispiel einfach flexible Arbeitszeiten an und sagen, das ist jetzt New Work. Das reicht natürlich nicht. Vielleicht kann man Frithjof Bergmanns Idee nicht zu 100 Prozent umsetzen, aber in großen Teilen schon. Ich führe mein Team absolut nach den Grundsätzen von New Work, die ich gerade erklärt habe, und sehe das auch jeden Tag Früchte tragen – in Form von Freude, Effektivität, Erfolg und Leistung.
Behandelt der Studiengang auch den theoretisch-philosophischen Hintergrund von New Work?
Ja, zum Teil. Wir haben zwar kein gesondertes Philosophie-Modul, aber im Modul „Einführung in New Work“ werden viele Bezüge zu Bergmann hergestellt. Insgesamt ist der Studiengang eher organisations- und managementorientiert ausgerichtet, die Psychologie-Anteile sind größer als die Philosophie-Anteile, aber philosophische und auch soziologische Grundlagen kommen auf jeden Fall vor.
Können auch Nicht-Büroarbeiter:innen wie medizinisches Personal oder Beschäftigte aus dem Bereich Blue Collar von New Work profitieren?
Die nächste große Herausforderung sehe ich erstmal im Bereich öffentliche Verwaltung, da wird sich absehbarer Zeit wahrscheinlich viel ändern. Wir arbeiten in verschiedenen Projekten eng mit der Arbeitsagentur zusammen, die sich auch der Digitalisierung und neuen Konzepten gegenüber immer mehr öffnet. Ein Teil von New Work, der leider immer wieder vernachlässigt wird, betrifft außerdem teilautonome Arbeitsgruppen – bei Toyota und Volvo gibt es diese schon seit langem. Es funktioniert in der Fertigung sehr gut, wenn den teilautonomen Gruppen mehr Handlungsspielraum und Entscheidungsspielraum zugestanden wird – die funktionieren fast schon wie das Zirkelprinzip aus der Holakratie. Laut diesem gibt es verschiedenen Arbeitszirkel, die jeweils einen Link zum nächsten Arbeitszirkel haben und so die Hierarchie ersetzen. Wie so etwas im Gesundheitssystem funktionieren würde, kann ich leider nicht sagen. Hier ist die Situation anders, weil es auch um Leben und Tod gehen kann.
Wie leben Sie New Work in Ihrem Arbeitsalltag?
So gut ich kann, in jeder Hinsicht. Wir arbeiten zur Zeit an der Akkreditierung unserer neuen Studiengänge, damit sind etliche Zertifizierungen verbunden. Obwohl die Arbeit teilweise repetitiv ist, macht sie unserer Abteilung viel Spaß, weil es um den Sinn dahinter geht. Wir als Hochschule wollen wirklich tolle digitale Studiengänge anbieten und mit dieser Vision gehen wir jeden Tag ans Werk. Ich führe außerdem komplett remote, auch unabhängig von Corona. Und ich bin absolut bereit, Verantwortung abzugeben. Stärkenbasiertes Arbeiten trägt auch nochmal dazu bei, mehr Ownership für die Aufgaben zu erwirken. Als wir das Team im August vergrößert haben, haben wir gemeinsam unsere Stärken definiert, unsere Aufgaben gemappt und dann den Aufgaben Stärken zugeordnet. Alle im Team durften sich ihre Aufgaben dementsprechend aussuchen. Bisher klappt das alles fantastisch.
Zur Gesprächspartnerin:
Prof. Dr. Regina Frey-Cordes ist seit Oktober 2018 Professorin für Personal und Organisation an der IUBH. Davor arbeitete sie im Rahmen einer Lehrstuhlvertretung drei Jahre an der University of Nebraska (USA), einem der weltweiten Spitzenforschungszentren für Leadership und Organisation. Weitere Stationen waren die Uni Mannheim und eine Personalberatung.