Homeoffice ist für Ben Sattinger nicht erst seit der Corona-Pandemie ein Thema; in seinem Unternehmen arbeiten bereits seit der Gründung 2014 alle Mitarbeiter:innen remote. Hier teilt er seine Erfahrungen und gibt Tipps, wie gute Führung auch ohne physische Präsenz gelingt.
Vor der Gründung von Online Trainer Lizenz war ich als selbstständiger Fitness-Influencer auf Youtube tätig. Das ist ein Job, den man genau nicht in einem Büro und an einem festen Arbeitsplatz macht. Die damit verbundene räumliche und zeitliche Freiheit hat mir schon immer gefallen, auch weil ich so meine Arbeit mit meiner Leidenschaft, dem Reisen, verbinden konnte. Als ich 2014 zusammen mit meinem besten Freund OTL gegründet habe und wir das Potenzial der Digitalisierung von Fitness-Ausbildungen erkannt haben, war für uns klar, dass wir ein Unternehmen möchten, das Remote funktioniert und Freiheiten für seine Mitarbeiter:innen zulässt. Das ist für mich die Zukunft der gesamten Berufswelt!
Remote-Strukturen müssen wachsen
In den sieben Jahren, die das Unternehmen jetzt besteht und in denen wir wirtschaftlich gesund gewachsen sind, haben wir natürlich das Arbeiten im Homeoffice professionalisiert. Schon früh wurde deutlich, dass wir feste Meeting-Strukturen – sowohl bei den Timings als auch bei den Verantwortlichkeiten – brauchen, dass Kernarbeitszeiten für alle Mitarbeiter:innen unumgänglich sind und dass wir besondere Leistungen anbieten müssen, die es in Unternehmen mit einem festen Büro nicht gibt. Natürlich fällt auch nicht jeder Mitarbeiterin beziehungsweise jedem Mitarbeiter von Beginn das Homeoffice leicht. Da heißt es für unsere Führungskräfte nah dran zu sein, einen offenen und direkten Austausch zu führen und Hilfestellungen zu geben. Daneben achten wir auf für uns ganz profane Dinge, wie die perfekte Ausstattung der Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter:innen im Homeoffice. Verstellbare Tische, Walking Pads und gute Monitore sind das Mindeste, dass wir hier leisten müssen.
Zur Strukturierung unserer Arbeit verwenden wir ein Projektmanagement-Programm, wodurch alle Mitarbeiter:innen immer wissen, was ihre aktuellen Ziele und Aufgaben sind. Natürlich sehen unsere Führungskräfte so auch, welche Mitarbeiter:innen, wie viel zu tun haben und gegebenenfalls auch entlastet werden müssen. Das mag manchem als Kontrolle vorkommen, für uns ist es das Gegenteil. Unser Anspruch ist, dass unsere Beschäftigten durch Freiheiten und Flexibilität ihr Leben nach ihren Bedürfnissen gestalten können – eine echte Work-Life-Balance also, nicht das, was tradierte Unternehmen oft nur als Label auf bestehende Jobs kleben.
Dazu zählt, dass das Arbeiten auf Reisen eine Selbstverständlichkeit ist und eine gewisse Freiheit bei der Zeiteinteilung außerhalb unserer Meeting-Strukturen besteht. Und vor allem, dass wir uns gegenseitig ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen. Unsere Mitarbeiter:innen arbeiten nicht, sie machen das, was ihnen Spaß macht und das ist dann ihr Job.
Bei der Personalauswahl zählen die Identifikation und die individuellen Stärken
Bei unserer Personalauswahl geht es um harte Faktoren, aber viel mehr um weiche. In einem Remote Unternehmen ist es wichtig, dass wir Mitarbeiter:innen auswählen, die sich mit unserem Produkt identifizieren und eigenständig arbeiten können. Unsere Mitarbeiter:innen müssen belastbar sein, flexibel denken können und auch einen starken Charakter haben. Ein Vorteil ist, wenn man bereits vorher eine Nähe zu uns und unseren Themen hat. Viele unserer Mitarbeiter:innen haben eine Ausbildung bei uns gemacht, sind uns auf unseren Social-Media-Kanälen gefolgt oder kannten mich auch als Person des öffentlichen Lebens. So entsteht eine Mitarbeiterschaft mit hoher Identifikationskraft , die gerne digital zusammenarbeitet und zu unserem Unternehmenserfolg beiträgt. Bei der Auswahl spielt in diesem Prozess die eigentliche fachliche Qualifikation auch eine, aber eher nebengeordnete Rolle. Wir sind der Auffassung, dass (fast) jeder und jede an seinen beziehungsweise ihren Aufgaben wachsen kann. Viel wichtiger ist, dass wir zueinander passen. Im Ergebnis haben wir bei unseren knapp 50 Mitarbeiter:innen viele echte Freundschaften, trotz klarer Hierarchien, ohne die es remote auch nicht geht.
Teamreisen verstärken unseren Zusammenhalt – Gewinnbeteiligung incentiviert zusätzlich
Die engen Verbindungen unserer Mitarbeiter:innen untereinander werden durch unsere regelmäßigen Teamreisen verstärkt. Die Ersparnis, die wir durch die fehlende Büromiete haben, reinvestieren wir in gemeinsame Aktivitäten und damit Teambuilding. Mindestens einmal jährlich – wenn die pandemische Lage es zulässt – verbringt fast das gesamte Team zwei Wochen an einem Traumreiseziel (bisher Zypern, Teneriffa, Thailand, Südafrika, Indonesien und Marokko), um gemeinsam zu arbeiten, Workshops abzuhalten, aber auch um gemeinsam Freizeit zu verbringen und die Bindung untereinander zu stärken. Die Arbeitszeit nimmt während der Reise ab: In der ersten Woche wird Vollzeit gearbeitet, während sich die Arbeitsstunden in der zweiten Woche halbieren und so der Nachmittag für gemeinsame Aktivitäten genutzt werden kann. Auch bestimmte Team-Wochenenden sind geblockt, an denen sich das Team regelmäßig in Berlin zu Workshops und Teambuilding trifft. Diese Aktivitäten tragen natürlich enorm zur Motivation unserer Mitarbeiter:innen bei. Daneben haben wir ein festes Modell, wie wir Mitarbeiter:innen am Gewinn beteiligen und sie so für ihre Arbeit in einem erfolgreichen Geschäftsjahr incentivieren.
Schenkt in festen Strukturen und Prozessen Vertrauen
Mitarbeiterführung im Remote-Unternehmen ist eng an das Vertrauen gekoppelt, das Führungskräfte ihrem Team entgegenbringen. Meine Erfahrung ist, dass gerade bei der Umstellung zum Arbeiten im Homeoffice diejenigen die besten Leistungen erbringen, die spüren, dass ihnen vertraut wird und sie wertgeschätzt werden. Mein Rat an alle, die jetzt remote gründen wollen, und natürlich auch alle, die jetzt umstellen wollen: Feste Strukturen und Prozesse bei Meetings, klare, einvernehmliche Ziele, leistbare Aufgaben und nachvollziehbare Verantwortlichkeiten. Und den Menschen in den Mittelpunkt stellen! Nur in diesem Rahmen entfaltet sich das Potenzial der eigenen Mitarbeiter:innen. Und das hilft allen – auch der Firma.