Lehrjahre sind keine Herrenjahre? Mit solchen Sprüchen werden Berufseinsteiger mal belächelt, mal erzogen. Das geht auch anders.
Erinnern Sie sich an Ihren Berufsstart? Viele neue Eindrücke, Sie wollen alles richtig machen, sind auf der Suche nach Orientierung, treten in viele Fettnäpfchen und wissen noch nicht einmal wo diese lauern. Der Berufsstart ist eine Phase, in der jeder seine Rolle erst noch finden muss. So weit, so normal, und mit ein paar Jahren Abstand blicken wir entspannt auf diesen Lebensabschnitt zurück – befindet man sich aber gerade in dieser Phase, bedeutet all das Stress. Zwar haben zahlreiche Generationen vorher den Start in die Berufstätigkeit erfolgreich gemeistert, heute kommen jedoch zusätzliche Stressoren hinzu: Berufseinsteiger müssen sich nicht nur mit der Orientierungssuche in der Arbeitswelt, sondern auch mit den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen auseinandersetzen. Vuca und die Folgen für jeden Einzelnen stellen Berufseinsteiger vor Herausforderungen und sorgen für zusätzlichen Stress.
Am Anfang der Karriere wird die Grundlage für die künftige berufliche Laufbahn gelegt. Startet man in einem von Kollegialität geprägten Umfeld, wird man die Zusammenarbeit im Team anders bewerten, als wenn der erste Job von Ellenbogenmentalität geprägt ist. Man verinnerlicht eine andere Fehlerkultur, wenn man in seiner ersten Aufgabe auch mal etwas falsch machen darf und verständnisvoll begleitet wird. Wird man hingegen für jeden Fehltritt öffentlich bloßgestellt und von den erfahreneren Kollegen nicht ernst genommen, kann das negative Konsequenzen für das weitere Berufsleben haben.
Die Erfahrungen in den ersten Jahren im Job stehen in Analogie zu frühkindlichen Prägungen. Das Beziehungserleben als Kleinkind wirkt sich auf die Bindung und das Beziehungsverhalten aus und prägt Einstellungen, Werte und Verhalten für das ganze Leben. Auch die Erfahrungen, die man zu Beginn seines Berufslebens macht, sind prägend und beeinflussen die berufliche Tätigkeit nachhaltig. Denn die mit der Arbeit assoziierten Erfahrungen wirken sich in der Folge unmittelbar auf die beruflichen Verhaltens- und Beziehungsmuster aus.
Individuelles Begleiten vermindert Frust
Gerade für die Stärkung der Selbstwirksamkeit ist es daher wichtig, dass Berufseinsteiger kleine Erfolge erleben. In einem konstruktiven Arbeitsumfeld können junge Menschen ein gesundes Selbstbewusstsein aufbauen und die Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickeln. Unternehmen sollten eine Atmosphäre schaffen, die von kollegialer Unterstützung geprägt ist. So können Berufseinsteiger angstfrei ausprobieren, Fehler machen und werden beim daraus resultierenden Lernprozess begleitet. Für die erfahreneren Mitarbeiter bedeutet das, die Youngster ernst zu nehmen, auch wenn sie sich den einen oder anderen naiven Fehltritt leisten. Sie sollten ihnen Wertschätzung entgegenbringen und auch unorthodoxe Ideen nicht vorschnell vom Tisch wischen, sondern darüber ins Gespräch gehen.
In der Zusammenarbeit mit der jüngeren Generation hat es sich bewährt, nicht von sich und dem eigenen Berufsstart auf andere zu schließen, sondern die neuen Kollegen einzeln zu betrachten und sie mit ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen. Ein Schubladendenken in Bezug auf Generation Y oder Z ist dabei kontraproduktiv. Viel wichtiger ist es, Einsteiger nicht allein zu lassen mit ihren Ängsten, Sorgen und Fragezeichen. Die beim Berufsstart häufige Trial-and-Error-Vorgehensweise ist durch kleinere oder größere Erlebnisse des Scheiterns gekennzeichnet. Werden diese Situationen nicht reflektiert, kann kein Lernen stattfinden, sondern es entsteht Frust. Daher tun Personalverantwortliche gut daran, bei Berufseinsteigern eine individuelle Begleitung zu fördern, um die Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit gering zu halten.
Als konkrete Unterstützungsmaßnahmen im Unternehmen haben sich einige vermeintlich einfache Vorgehensweisen bewährt. Führungskraft und Kollegen sollten die Feedbackkultur kontinuierlich leben und zeitnah Rückmeldung geben, um die Reflexion des Verhaltens zu ermöglichen. Diese unmittelbare Unterstützung zeigt eine wesentlich höhere Wirkung als erst später stattfindende Schulungen oder institutionalisierte Mitarbeitergespräche. Auch die formalisierte Unterstützung durch Mentoring kann eine wertvolle Hilfe für Berufseinsteiger sein. Der Mentor fungiert aufgrund seiner größeren Berufserfahrung mit Tipps und auch mit seinem Netzwerk als Karriere-Katalysator. Jedoch kann durch Mentoring die professionelle Persönlichkeitsentwicklung nur eingeschränkt stattfinden, da es sich bei dessen Tipps um die subjektiven Einschätzungen eines Einzelnen handelt, der kein neutraler Ansprechpartner ist. Unternehmen sollten daher auf neutrale Profis wie externe Coaches setzen. Im Coaching-Prozess werden die jungen Mitarbeiter methodisch professionell in ihrem Entwicklungsprozess begleitet. Sie erhalten fachlich fundierte Hilfe zur Selbsthilfe, ohne dass es dabei – im Gegensatz zum Mentoring – zu einem Rollenkonflikt kommen kann.
Damit diese Maßnahmen nachhaltig wirken, sollte auch HR auf ein paar Dinge achten:
• Die Auswahl von Mentoren sollte anhand professioneller und standardisierter Kriterien erfolgen. Das können Beziehungsfähigkeit, Empathievermögen, und die Fähigkeit sein,sich in den Mentee hineinzuversetzen. Es geht nicht darum, dass der Mentor ein Abbild seiner selbst schafft, sondern er sollte seinem Schützling im richtigen Moment Mut machen, Selbstvertrauen aufbauen und einen Überblick geben, was in seiner Karrieresituation als Nächstes kommt. Häufig werden diejenigen zu Mentoren, die am lautesten schreien, und nicht diejenigen, die über die erforderlichen Sozialkompetenzen verfügen. Machen Sie sich als HR bewusst, welche verantwortungsvolle Aufgabe Mentoren haben und wie ihr Verhalten jüngere Mitarbeiter prägt. Das bedeutet nicht, dass nicht mehr auf „Freiwillige“ zurückgegriffen werden darf. Allerdings sollten Mentoren anhand klarer und transparenter Kriterien ausgewählt werden und HR sollte geeignete Mitarbeiter selbst proaktiv ansprechen.
• Junge Mitarbeiter brauchen einen besonderen Schutz. Statistiken belegen, dass 75 Prozent der von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Betroffenen junge Frauen unter 30 Jahren sind. Auch die Zahl der Mobbingopfer ist bei den in der Hierarchie niedriger Gestellten wie Berufseinsteigern hoch. Für Personaler resultiert daraus eine besondere Verantwortung, gerade die jungen Mitarbeiterinnen (und Mitarbeiter) vor Machtübergriffen zu schützen. Hierfür ist eine klare Linie im Umgang mit solchen Situationen unerlässlich – jeder im Unternehmen muss wissen, dass es eine Null-Toleranz-Kultur gibt. Deshalb ist es für HRler umso wichtiger, ein vertrauensvolles Verhältnis zu den jungen Berufseinsteigern aufzubauen, denen oft der Mut fehlt, sich zu beschweren oder aufzulehnen. Durch einen offenen Umgang und die Transparenz, dass ausnahmslos jede – auch vermeintlich harmlose – Grenzüberschreitung geahndet wird, können sie sensibilisieren und auf unangemessenes Verhalten aufmerksam werden.
• Der Berufseinstieg ist auch eine Phase des Ausprobierens. Personalabteilungen sollten sich daher von starren Karriereplänen lösen. Auch wenn ein Zickzack in Karrierewegen anstrengend für HR ist, sollte sie Young Professionals auf ihrem Weg begleiten, anstatt mit anzusehen, wie sie aufgrund der unflexiblen Entwicklungsoptionen frustriert das Unternehmen verlassen. Konkret bedeutet das einen Paradigmenwechsel hinsichtlich des Potenzials und dessen optimaler Ausschöpfung im Unternehmen. Wo ist das Problem, Quereinsteiger mit Talent und Leidenschaft in fachfremden Tätigkeitsbereichen einzusetzen? Häufig sind es die standardisierten Prozesse, die ehemals zur Steigerung der Effizienz ins Leben gerufen wurden, um administrativen Aufwand zu reduzieren. Als Personaler sollte man jedoch nicht das übergeordnete Ziel, das Unternehmen mit den richtigen Mitarbeitern an der richtigen Position zum Erfolg zu führen, aus den Augen verlieren. Die Personalentwicklung kann nur dann einen Wertbeitrag liefern, wenn sie ihren originären Zweck erfüllt: das im Unternehmen arbeitende Personal entwickeln – nicht durch segmentierte Prozess-Abarbeitung, sondern indem sie die persönliche und individuelle Entwicklung jedes einzelnen Mitarbeiters ermöglicht.
• Investieren Sie in Ihre jungen Talente und fördern Sie aktiv die Persönlichkeitsentwicklung. Nicht die fachliche Qualifizierung sollte im Vordergrund stehen, sondern die Ausbildung von Persönlichkeiten. Durch dieses langfristige Denken wachsen im Unternehmen Charaktere heran, die sich und bewährte Vorgehensweisen hinterfragen, die an sich und ihrem Verhalten arbeiten und dadurch das Unternehmen weiterbringen. Die individuelle Förderung der Nachwuchskräfte zahlt sich aus in der Führungskultur von morgen, die entscheidend ist für den langfristigen Unternehmenserfolg.
All diese Maßnahmen und Veränderungen gehen einher mit einem Kulturwandel und verlangen eine Veränderung des Mindsets in Unternehmen. Durch ein Umdenken in der Personalentwicklung und ein auf die Zielgruppe der Berufseinsteiger ausgerichtetes Talent Management kann HR einen messbaren Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. In der Folge profitieren nicht nur die Young Professionals, sondern alle im Unternehmen.