Das Wissen der Vergangenheit taugt nicht unbedingt als Antwort für die Zukunft. Um zukunftsfähig zu bleiben, sollten Unternehmen alte Logik über Bord werfen und neue Denkmuster riskieren. Ein Anstoß.
Im Change Management beziehen wir uns gerne auf Prinzipien, die einfache Lösungen für komplexe Problemstellungen versprechen. Das lateinische Wort principium bedeutet Anfang, Ursprung, Grundsatz, Gesetzmäßigkeit, Grundregel. Ein Prinzip ist also ein allgemein gültiges Schema, das sich in der Vergangenheit bewährt hat. Gerade in Zeiten schwieriger Veränderungen greifen wir gerne auf solche vereinfachenden Prinzipien zurück – die vier Grundprinzipien im Change, die sieben goldenen Regeln für erfolgreiche Veränderung, die zehn wichtigsten Führungsprinzipien im Wandel und wie sie sonst noch heißen mögen. Die Rezepte sind meist sehr ähnlich. Erfahrungen aus der Vergangenheit werden in retrospektiver Betrachtung mehr oder weniger systematisch gesammelt, ausgewertet, extrapoliert und als Prinzipien für die erfolgreiche Bewältigung künftiger Probleme vermarktet. Die damit verbundenen Hoffnungen werden jedoch regelmäßig von der Unberechenbarkeit der Zukunft enttäuscht. Meist läuft es eben anders, als man denkt.
Was sich in der Vergangenheit bewährt hat, muss sich nicht automatisch auch in der Zukunft bewähren. Ganz im Gegenteil können wir davon ausgehen, dass das Wesen der Zukunft stets völlig frei von Prinzipien ist. Wir wissen nicht, was morgen, nächste Woche, ganz zu schweigen von den nächsten Monaten oder Jahren, passieren wird. Die digitale Transformation der globalen Gesellschaft führt uns diese Unberechenbarkeit aktuell in besonders drastischer Weise vor Augen. In beinahe Echtzeit sind Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter heute herausgefordert, einen angemessenen Weg für ihre jeweils nächsten Entwicklungsschritte zu finden. Doch statt sich verzweifelt an vergangenheitsorientierten Prinzipien festzuklammern, sollte man den Blick besser nach vorne richten und sich für die vielfältigen Optionen der Zukunft öffnen.
Und wie geht man mit dieser Offenheit am besten um? Darauf kann es keine prinzipielle Antwort geben. Jedes Veränderungsprojekt hat seine eigene spezifische Dynamik. Die Bandbreite erfolgversprechender Strategien in turbulenten Zeiten reicht von Abwarten in Gelassenheit, einfachen Anpassungen im Detail bis zur radikalen Erneuerung von Geschäftsmodellen. Es kann Sinn machen, an einer einzigen strategischen Option hartnäckig festzuhalten. Ebenso kann es Sinn machen, mehrere Veränderungsstrategien gleichzeitig zu verfolgen, egal ob sie sich ergänzen oder widersprechen. Oder es kann auch Sinn machen, auf strategisches Denken gänzlich zu verzichten, sich einfach dem Fluss der Veränderung vertrauensvoll hinzugeben und auf adaptives Handeln umzuschalten – ähnlich wie der Clownfisch Nemo im gleichnamigen Animationsfilm der Pixar Studios. Es kann sehr hilfreich sein, gewohnte Denkmuster wie etwa die kausale, zweckrationale Logik zu verlassen und neue Denkmuster zu erproben oder sogar beides zu kombinieren. Während wir im alten zweckrationalen Denken davon ausgehen, dass wir nur das steuern können, was wir auch vorhersagen können, also beispielsweise definierte Ziele über kausal zugeordneten Mitteleinsatz zu erreichen versuchen, geht die neue nicht-kausale Logik völlig anders mit Veränderung um: Alles, was wir steuernd beeinflussen können, brauchen wir nicht vorherzusagen. Der Fokus liegt auf proaktiver Steuerung im Hier und Jetzt statt linearer Fortschreibung von gestern auf morgen. Peter F. Drucker hat diesen Zugang sehr anschaulich auf den Punkt gebracht: „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist sie zu gestalten.“
Der Effectuation-Ansatz der globalen Entrepreneurship-Forschung rund um Saras D. Sarasvathy oder der lösungsorientierte Beratungsansatz nach Steve D. Shazer gehen einen ähnlichen Weg und plädieren ebenfalls für mehr Orientierung an den bereits verfügbaren Ressourcen (Wer sind wir? Was wissen wir? Was sind unsere besonderen Fähigkeiten? Was ist uns heute gut gelungen? Und so weiter) statt der herkömmlichen Orientierung an fernen Zielen. Statt sich zu fragen, „Was sollte man tun?“, fragt man viel pragmatischer „Was kann ich tun?“ Statt sich mit Planungssitzungen unnötig lange aufzuhalten wird die Zeit genutzt, um in kleinen Schritten zu experimentieren und zu erproben – und dort weiterzugehen, wo sich erste Erfolge – und seien sie noch so klein – bereits eingestellt haben. Der eigene Handlungsspielraum wird in dieser Haltung so weit wie möglich erweitert. Unerwartetes, Zufälle und chaotische Umstände werden als Hebel genutzt und in Innovation und neue unternehmerische Optionen transformiert. Veränderung und Unberechenbarkeit werden primär als Chance und nicht als Bedrohung wahrgenommen.