Mitbestimmung bei Softwareeinführung: Worauf kommt es an?

Rechtsprechung

In Konzernen oder Unternehmen mit mehreren Betrieben ist es essentiell, dass eine Software konzern- beziehungsweise unternehmensweit einheitlich implementiert werden kann. Dies ist nicht oder nur erschwert möglich, wenn mit mehreren örtlichen Betriebsräten über die Softwareeinführung verhandelt werden muss. Mit der richtigen Argumentationslinie und einer entsprechenden Vorbereitung auf die Gespräche kann die einheitliche Einführung durch Verhandlungen mit einem Konzern- oder Gesamtbetriebsrat abgesichert werden. Das zeigt eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu Microsoft Office 365 vom 8. März 2022 (1 ABR 20/21).

Steuerung des richtigen (zuständigen) Verhandlungspartners

Grundsätzlich obliegt die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts den örtlichen Betriebsräten. Damit eine einheitliche Einführung von Software gelingt, bedarf es daher einer Abweichung von diesem Grundsatz und der Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats – und damit einer besonderen Begründung.

Generell ist dem Gesamtbetriebsrat die Behandlung von Angelegenheiten nur dann zugewiesen, wenn sie das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen – und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Dementsprechend ist auch dem Konzernbetriebsrat nur die Behandlung solcher Angelegenheiten zugewiesen, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und die nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen – sofern sie bestehen – geregelt werden können. Zusammenfassend ist es erforderlich, dass es sich zum einen um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und dass zum anderen objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine überbetriebliche Regelung besteht.

Ob ein solch zwingendes Erfordernis für eine überbetriebliche Regelung gegeben ist, bestimmt sich nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestands, welcher der zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Maßgeblich sind dabei stets auch die konkreten Gegebenheiten im Unternehmen und in den einzelnen Betrieben. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, ein etwaiges Kosten- oder Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte reichen nicht aus, um die Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats zu begründen. Ein Arbeitgeber muss insofern vielmehr eine weitergehende Begründung aufbauen und aufzeigen, dass im Einzelfall ein zwingendes Erfordernis gegeben ist.

Als insofern ausreichend hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr aber bei einer unternehmensweiten Einführung von Microsoft Office 365 anerkannt, dass die Nutzung der Software in Form einer sogenannten. „1-Tenant-Lösung“ erfolgen sollte. Das heißt, dass das gesamte Unternehmen bezogen auf die elektronische Datenverarbeitung als ein einheitlicher Mandant (Tenant) mit einer zentralen Administration geführt werden sollte und entsprechend auch die Administrationsrechte zentral vergeben werden sollten. Dadurch besteht die Möglichkeit einer Kontrolle des Nutzungsverhaltens von Arbeitnehmenden in sämtlichen Betrieben. Diese zentrale Überwachungsmöglichkeit gebietet aus technischen Gründen zwingend eine betriebsübergreifende Regelung, wie auch das Bundesarbeitsgericht anerkannte.

Da die Regelung einer Angelegenheit entweder ausschließlich den einzelnen Betriebsräten, dem Gesamtbetriebsrat oder dem Konzernbetriebsrat obliegt, ist es unerheblich, wenn in der Sache für die Nutzung einzelner Module betriebsspezifische Regelungen getroffen werden können. Diese Entscheidung ist auch über den Fall hinaus von Bedeutung, da diese Argumentationslinie ganz grundsätzlich in Abweichung von der originären Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrates zur Begründung der Zuständigkeit des Konzern- oder Gesamtbetriebsrats bemüht werden kann.

Auch wenn das Bundesarbeitsgericht Arbeitgebern nunmehr tragfähige Argumentationsmöglichkeiten an die Hand gegeben hat, um den erforderlichen Verhandlungspartner abzusichern, sollten auch künftig weiterhin – sofern dies durchsetzbar ist – zur Vermeidung von Streitigkeiten im Vorfeld höchst vorsorglich sogenannte Delegationsbeschlüsse der örtlichen Betriebsräte eingeholt werden. Das Gesetz sieht vor, dass der (örtliche) Betriebsrat mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder den Gesamtbetriebsrat beauftragen kann. Bei vorsorglichen Delegationsbeschlüssen besteht in jedem Fall ein Recht – sei es aus originärer oder übertragender Zuständigkeit.

Mitbestimmungsrecht nur bei Überwachungssoftware?

Verhandlungen mit dem Betriebsrat zur Einführung einer Software sind nur dann nach dem Betriebsverfassungsgesetz erforderlich, wenn ein zwingendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht. Ein solches zwingendes Mitbestimmungsrecht besteht im Zusammenhang mit der Einführung und Anwendung von (Basis-)Office-Softwares viel häufiger als viele Unternehmen auf den ersten Blick meinen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes steht dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht nur bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zu, die dazu „bestimmt“ sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmenden zu überwachen. Da (Basis-)Office-Softwares in aller Regel nicht primär zur Überwachung bestimmt sind, kommen Arbeitgeber immer wieder (vorschnell) auf die Idee, dass kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestünde.

Allerdings reicht es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits aus, dass die technische Einrichtung „objektiv geeignet“ ist, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es ausdrücklich nicht an. Entscheidend ist allein, dass theoretisch eine Überwachungsmöglichkeit besteht.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze wurde beispielsweise bereits vom Landesarbeitsgericht Hamburg entschieden, dass der Twitter-Account eines Unternehmens (der Twitter-Nutzern die Möglichkeit gibt, auf die Tweets des Arbeitgebers Antworten zum Verhalten und zur Leistung der Arbeitnehmenden einzustellen), oder, wie das Bundesarbeitsgericht feststellte, eine Facebook-Seite (mit öffentlich einsehbaren Besucher-Beiträgen zum Verhalten von Mitarbeitenden) eine mitbestimmungspflichtige Einrichtung darstellt.

Auch wenn die Einführung und Anwendung absoluter Basissoftware ohne Überwachungsabsicht erfolgt, sollten Unternehmen prüfen, ob nicht auf irgendeine Art und Weise auf das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmenden Rückschlüsse gezogen werden könne und folglich ein Mitbestimmungsrecht bestünde. Denn erfolgt die Einführung mitbestimmungswidrig, steht dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch zu.

In seiner Entscheidung kommt das Bundesarbeitsgericht nach Maßgabe dieser Grundsätze zu dem Schluss, dass es sich bei der Software Microsoft Office 365 um eine mitbestimmungspflichtige Einrichtung handele. Das Gericht begründete dies damit, dass die mit einer Verwendung der Desktop-Anwendungen Office 365 ProPlus und den einzelnen Diensten erstellten, anfallenden oder erhobenen Daten für eine Leistungs- oder Verhaltenskontrolle der Arbeitnehmenden genutzt werden können. Dies gilt zum Beispiel auch für die von Microsoft Teams erfassten Nutzungszeiten eines Arbeitnehmenden oder die mit der Anwendung Yammer erfassten Daten, wer wann und wo sowie mit welchem Browser auf Yammer zugegriffen hat. Die Frage, ob ein Arbeitgeber die Funktionen selbst konfigurieren oder gar ausschalten kann, ist für die Frage des Bestehens des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats irrelevant.

Einigungsstelle als innerbetriebliche Schlichtungsstelle

Da oftmals eine lange Zeit vergeht, bis sich die Betriebsparteien über Einführung und Anwendung der Software geeinigt haben, sollte man aus Arbeitgebersicht in diesem Zusammenhang nie die Möglichkeit einer Einigungsstelle aus den Augen verlieren. Nach der gesetzlichen Konzeption ist die Einigungsstelle als innerbetriebliche Schlichtungsstelle zuständig für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Sofern ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats betroffen ist, wird die Einigungsstelle bereits auf Antrag einer der beiden Betriebsparteien tätig. Aus Arbeitgebersicht kann die Einigungsstelle gerade bei festgefahrenen Verhandlungen eine attraktive und schnelle Konfliktlösungsmöglichkeit darstellen.

Ob im Interesse einer schnellen Konfliktlösung eine Einigungsstelle bereits vorsorglich, bevor die Kündigungsfrist einer Betriebsvereinbarung abgelaufen ist, eingesetzt werden kann, ist allerdings umstritten. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen lehnte dies jüngst im Zusammenhang mit der Einführung einer (Personal-)Software ab. Es sei im Einigungsstellenverfahren nicht möglich, eine Einigungsstelle schon „vorsorglicheinzusetzen, damit sie nach Ablauf der Kündigungsfrist einer vormaligen Betriebsvereinbarung sofort entscheiden kann. Die Möglichkeit der Einsetzung einer Einigungsstelle vor Ablauf der Kündigungsfrist mit zunächst aufgeschobener Spruchkompetenz sei vom Gesetz nicht vorgesehen.

Fazit

Im Interesse der Betriebsparteien an einer möglichst schnellen Beilegung etwaiger Konflikte wäre es wünschenswert, dass das Bundesarbeitsgericht sich dieser Rechtsansicht nicht anschließt und stattdessen eine „vorsorgliche“ Einigungsstelle auf rechtssichere Beine stellt. Denn insbesondere bei Regelungstatbeständen mit hoher Dynamik (wie beispielsweise die unternehmensweite Einführung und Anwendung einer Software) kann den Betriebsparteien nicht zugemutet werden, den Ablauf der Kündigungsfrist (in der Regel mehrere Monate) abzuwarten, bevor eine Einigungsstelle eingesetzt wird.

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Christina Kamppeter, Beiten Burkhardt

Christina Kamppeter

LL.M., Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht
BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Christina Kamppeter ist Partnerin, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei ADVANT Beiten in München. Sie berät Unternehmen in allen Belangen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Jonathan Oteng

Jonathan Oteng ist Rechtsanwalt für Arbeitsrecht bei ADVANT Beiten in München. Er berät Unternehmen in allen Belangen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

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