Otmar Kastner wirkt auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Keynote-Speaker, wie er da im Anzug auf der Bühne steht und selbstgewiss vor großem Business-Publikum doziert. Mühelos webt er unzählige Anglizismen in seinen Wiener Schmäh und beginnt eine Formel für Unternehmenserfolg auf den Flipchart zu kritzeln. „Positiv auf die Zielerreichung wirkt Begeisterung, also Z = B“, erklärt er. „B muss nun allerdings dividiert werden durch ‚JAM‘.“ Und das steht, führt der HR-Experte fort, für die Jammerleistung in den Teams, also wie häufig sich deren einzelne Mitglieder täglich über ihr Arbeitsumfeld beklagen. „Im Ministerium hatten wir damals eine Gesamtjammerleistung von 1,2 Giga-JAM“, schiebt er huldvoll nickend hinterher und meint damit das Umweltministerium, in dem er gearbeitet hat. Spätestens jetzt ist beim Betrachten des Youtube-Videos klar: Das kann er nicht ernst meinen.
Kastner ist Wirtschaftskabarettist. Nach seinem Studium baute er die Abteilung für Personalentwicklung im österreichischen Umweltministerium auf und leitete sie lange Zeit. Parallel machte er Witze auf Kleinkunstbühnen – bis ihm aufging, dass das eigentliche Kabarett in der Arbeitswelt stattfindet. Im Jahr 2000 gründete er also die SAPOMSCHT Holding, das Akronym steht für ein wahres Buzzword-Sammelsurium: Systemic Approached Personnel Organisational Management Processes Services Consulting Hupfburg & Training. Seither tritt er in Beratermanier auf Konferenzen, bei Start-ups und Dax-Konzernen auf. Kastner möchte sie entlarven, die Wichtigtuereien und Eitelkeiten der New-Work-Elite, die sich an ihren hochdekorierten Titeln weidet. Damit stichelt er sein Publikum besonders gern. „Im Humor muss immer ein bisschen Schmerz dabei sein“, findet der Wiener. „Man muss sich ertappt fühlen, um sich befreien zu können.“ Einen Vorteil hat also, wer das Business kennt – und es somit zu spiegeln versteht.
Die Weltlage ist gerade wenig lustig. Angesichts von Krieg, Pandemie und wirtschaftlichen Nöten, die allerorten auf die Stimmung drücken, ist Kastners Kunst besonders gefragt. Die Nachfrage der Firmen sei zurzeit groß. Humor richte auf, sei ein wahrer Resilienzbooster, sagt der Kabarettist im Gespräch ganz unironisch. Eine Kultur der Lockerheit zu schaffen, in der gescherzt und gelacht werden darf, darin sieht er für Unternehmen, insbesondere für HR, eine Aufgabe mit Priorität. Es stimmt: Gerade in Krisenzeiten sind wir auf die heilsame Wirkung von Humor angewiesen. Dass der Bedarf vorhanden ist, offenbart auch eine repräsentative Studie des Online-Marktforschungsinstitut Marketagent, ebenfalls aus Österreich: Die Hälfte der dort im Februar 2022 befragten Beschäftigten gab an, sich im Job nach mehr Humor zu sehnen. Dass im Berufsleben mehr gelacht werden sollte, wünschten sich stolze 93 Prozent. Für Deutschland gibt es keine aktuellen Zahlen dazu – doch dass wir hierzulande mehr Frohsinn versprühen als unser lakonisch gestimmter Südanrainer, ist eher unwahrscheinlich.
Nähe nährt Humor
Nur: Worin begründet sich die Heiterkeitsanämie in der Arbeitswelt? Warum fällt es uns oft leichter, im privaten Umfeld einen scherzhaften Umgangston zu finden? Humorforscher Rainer Stollmann hat dafür eine Erklärung. „Je näher man einander ist, desto einfacher ist es, Witze zu machen: In der eigenen Familie geht das leichter als in der Nachbarschaft, und dort geht es leichter als im Kollegium“, so der emeritierte Professor des kulturwissenschaftlichen Instituts der Universität Bremen. Ein erschwerender Faktor in den vergangenen beiden Jahren war zudem die Pandemie. In der Distanz der improvisierten Küchentischbüros – ohne jede Spontaneität und Situationskomik realer Begegnungen – klaffte erst recht der Krater nachtschwarzer Ernsthaftigkeit. „Am meisten lachen Menschen, wenn sie unmittelbar aufeinandertreffen“, sagt Stollmann. Präsenz erleichtert es, kleine Funken entstehen zu lassen, Gelächter herauszukitzeln, sich mit guter Stimmung anzustecken. Ein wichtiger sozialer Schmierstoff, ohne den etwas fehlt. Das kann zur Entfremdung führen. „Wir finden die Menschen am nettesten, mit denen wir lachen können – nicht die, die am schlauesten oder schönsten sind“, sagt der Forscher.
Das gilt übrigens auch für Vorgesetzte. Auf Gemälden vergangener Epochen starren uns aristokratische Herrschaften mit betont ernstem Blick an. Mit der eigenen Mimik Frohsinn und Witz zu transportieren, war damals offensichtlich keine Option, es hätte den gebotenen Abstand zum Volk verringert. Mit dem Siegeszug des Kapitalismus änderte sich das Verhältnis von Führungspersönlichkeiten und Humor. Es durfte gescherzt werden, anfangs aber meist ausschließlich in der Hierarchie von oben nach unten: Die Belegschaft hatte sich bitteschön erheitert zu zeigen, wenn der – in der Regel männliche – Boss kalauerte. Komiker wie Heinz Erhardt und Otto Waalkes spezialisierten sich geradezu darauf, jenes Autoritätsgehabe zu parodieren.
Mit der Duz-Kultur und den flexiblen und agilen Arbeitsmodellen von heute hat sich das Thema in vielen Unternehmen entspannt, es geht insgesamt lockerer zu. Diese Nähe bietet zwar einen Nährboden für ein humorvolles Arbeitsumfeld – zum Selbstläufer wird die Sache trotzdem nicht. Denn viele Menschen, insbesondere solche in Führungsfunktion, fürchten sich davor, im Job als inkompetent wahrgenommen zu werden, wenn sie sich besonders humorvoll geben. Grundlos, wie Experte Stollmann meint: „Gute Vorgesetzte haben Sach- und Führungskompetenz. Ist die vorhanden, ist ein humorvoller Umgang ein zusätzlicher Bonus, der sie sympathisch macht.“
Hauptsache authentisch
Carmen Spoida hat wenig Bedenken ihren Humor auszuleben. Sie ist Head of People and Culture beim jungen Münchener Software-Unternehmen Vertrical. Sowohl in ihrem Joballtag, den sie aus dem Homeoffice in Tübingen bestreitet, als auch auf ihrem Blog Humans! Not resources und in diversen Social-Media-Kanälen geht es oft sarkastisch zu. Lustig macht sie sich vor allem über ein Thema, das sie aufregt: schlechte Personalarbeit. Viel Zuspruch erntete sie neulich zum Beispiel für einen Linkedin-Post, der sie in einem scheinbaren Telefonat mit einem Recruiter zeigt. Sie mimt im Video eine Kandidatin, die wissen möchte, woran es lag, dass sie eine Absage kassiert hat. Eingespielt wird die Tonspur einer legendären Fußballer-Floskelantwort nach verlorenem Spiel: „Ja jut, woran hat et jelegen? Dat fragt man sich nachher natürlich immer, woran et jelegen hat. Ich sag immer, woran et jelegen hat, fragste dich immer, woran et denn jelegen hat …“
Spoida lächelt. „Es ist mir ein wirklich ernstes Anliegen, auf schlechte Feedbackkultur aufmerksam zu machen“, sagt sie. Und mit einem witzigen Inhalt wie diesem erreicht sie dafür mehr Aufmerksamkeit als mit einem bierernsten Appell. Genauso ist es mit ihren Rants, also bissig-sarkastischen Schimpftiraden, mit denen die Bloggerin und Tiktokerin auf Missstände in HR-Management und Führung hinweist. „Ich vertraue auf meine Kompetenz in diesen Themen“, sagt sie. „Wir zum Beispiel geben klares Feedback, wenn wir einem Talent, das sich beworben hat, absagen. Und mich nerven die ewig gleichen Phrasen, dass man verklausulieren müsse, damit man nicht verklagt wird“, sagt sie. Heißt: Der eigene Erfolg gibt ihr die Legitimation für die in witzige Worte verpackte Sachkritik.
Ob Satiriker Jan Böhmermann, der mit seinem Investigativteam Skandale aufdeckt, Comedienne Carolin Kebekus, die sich für Feminismus einsetzt, oder Kabarettist Kurt Krömer, der jüngst gar ein Buch über seine Depression veröffentlichte: Mit Humor als Vehikel ernsthafte Themen aufs Tableau zu heben, ist eine bewährte Methode. Er hilft, vieles zu ertragen, findet auch die Vertrical-Personalerin. Anfangsschwierigkeiten, die es zum Beispiel in jedem Start-up gibt, wirken mit einer Prise Humor nur noch halb so schlimm. Und witzige Memes via Slack zu versenden, kommt in der Software-Bubble gut an. „Unsere Beschäftigten kommen aus allen möglichen Ländern von Indien bis Portugal, ich merke immer mehr, wie sehr sich der Humor international angenähert hat und welche Verbindungen er schafft“, sagt Spoida. Gelacht werden kann auch über Fehler – solange niemand ausgelacht wird und das Fundament psychologischer Sicherheit gegeben ist. Wichtig ist nämlich: Wenn einer Person die Witze zu weit gehen, sollte sie das klar sagen können und Grenzen setzen. Bei Vertrical, sagt Spoida, kommt das vor, wenn auch selten.
Witzig sein ist auch bei dem Software-Unternehmen kein Einstellungskriterium, wie Spoida betont: „Es dürfen nicht nur Spaßgranaten bei uns arbeiten, Hauptsache, alle sind authentisch.“ Denn darum geht es schließlich bei New Work: Nicht um einen neuen Zwang zur Lustigkeit und Lockerheit, sondern darum, sich auch im Job als der Mensch zu geben, der man nun einmal ist, mit einem individuellen Verständnis, was lustig ist und was nicht. „Unser HR-Team ist aber wirklich witzig“, schiebt Spoida noch hinterher. „Wir würden auf jede Party eingeladen werden.“ Man glaubt es ihr sofort.
Willkommen zurück, inneres Kind!
Auch Otmar Kastner hebt die Funktion des Humors hervor, Themen wie Führungskräfteentwicklung oder Weiterbildung besser transportieren zu können. Er nennt das in seinem Programm Childhood oriented Management: „Egal ob Sprachen oder Kopfrechnen: Kinder lernen schneller als Erwachsene, weil sie dabei Spaß haben und neugierig sind“, erklärt er den Ansatz. Humor eigne sich, wieder an diese kindliche Unschuld und das spielerische Moment in uns anzudocken: „Der Widerstand dagegen, sich zum Affen zu machen – oder auch spontane Ideen im Meeting zu äußern –, kommt ja aus dem Verstand und dem Unwillen, sich zu blamieren.“ Mit seinem Programm möchte er das Ausschalten dieses Reflexes einüben, Kreativität und Innovationspotenzial fördern. Und weil wir alle mal Kinder gewesen sind, funktioniere das in den USA genauso wie in Norddeutschland.
Nur einmal, erinnert sich Kastner, fiel es ihm schwer, das Publikum zu knacken. Er war bei einer Firma für Sicherheitstechnik und deren Kunden zu Gast: 400 Männer, teils mit militärischem Hintergrund, saßen kerzengerade auf ihren Stühlen. Eine Herausforderung. Glücklicherweise zogen sie mit, am Ende wurde gemeinsam Alle meine Entchen auf die Melodie von We Will Rock You gesungen. „Ich schätze, ich hatte dort auch Glück, weil viele von den Herren es gewohnt waren, Befehle zu befolgen.“ Kastner lacht. Zudem saßen ein paar besonders Begeisterungsfähige in den ersten Reihen. „Wissen’s, man braucht’s halt immer Einzelne, die ein bisschen extrovertiert sind und sich trauen, als Erste die Bühne für Witze zu öffnen. Die keine Angst haben, sich närrisch zu zeigen.“ Und das, fügt der Österreicher an, seien oft Leute aus dem Personalmanagement.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Humor. Das Heft können Sie hier bestellen.