Jetzt bloß nicht knausern!

Investitionen

Es klingt ein bisschen wie ein modernes HR-Märchen. Sage und schreibe 723 Jahre hat es nämlich gedauert, bis die Brauerei Kuchlbauer offiziell mit einem eigenen Personalmanagement gekrönt wurde. Das mittelständische Unternehmen aus dem bayerischen Abensberg wurde um das Jahr 1300 herum gegründet. Irgendwie ist es dem Weißbierspezialisten über die Jahrhunderte immer gelungen, auch ohne professionelle HR Arbeitskräfte zusammenzutrommeln. Vielleicht ist der angebotene Haustrunk, eine monatliche steuerfreie Bierversorgung der Beschäftigten, auch eines der ersten Corporate Benefits der Geschichte gewesen. Seit 2014 wird der Familienbetrieb in inzwischen neunter Generation von Jacob Horsch geführt. Und dieser hat vieles geändert.

Im vergangenen Jahr hat der junge Geschäftsführer eine Entscheidung getroffen: HR ist mehr als eine administrative Aufgabe, jemand muss sich mit strategischem Blick darum kümmern. Dafür holte er Theresa Kneitinger zurück, die in der Vergangenheit schon das Marketing der Brauerei betreut und sich inzwischen in Richtung HR weitergebildet hatte. „Mir gefiel der neue Fokus auf Nachhaltigkeit, Kommunikation und professionelles Personalmanagement“, sagt Kneitinger. Als sie einstieg, hatte Kuchlbauer sich gerade um einen Arbeitgeberpreis beworben – mit Erfolg, wie sich kurz darauf herausstellte. Doch Geschäftsführer Horsch reichte die Bestätigung durch die Top-Job-Auszeichnung nicht. Um in der ländlich geprägten Region zwischen Audi und BMW als Ausbildungsbetrieb hervorzustechen und neue Talente zu gewinnen, sollte weiter investiert werden: ins Arbeit­gebermarketing, aber auch in Weiterbildungsmöglichkeiten für die rund 80 Angestellten „Der Azubi-Markt ist heiß umkämpft, daher war das ein wichtiger Schritt“, sagt die HR- und Marketing-Verantwortliche. Das Unternehmen hat seit Kneitingers Einstieg das Bewerbermanagement und weitere Prozesse digitalisiert, die Einarbeitungsprogramme neuer Teammitglieder professionalisiert, um einen schnellen Zugang zum Unternehmen und zur Branche zu ermöglichen, und verschiedene kleine Teamevents veranstaltet. Benefits wie Job-Fahrräder gehören auch seit einiger Zeit zum Brauereialltag. In diesem Jahr wird auch eine sogenannte Mikrobrauerei, für die eine eigene Braumeisterin zuständig ist, in Betrieb genommen. Hier können sich Auszubildende und andere Teammitglieder von Kuchlbauer im Bierbrauen ausprobieren.

Das Beispiel lehrt: Es ist nie zu spät, den Wert von strategischem Personalmanagement zu erkennen. Wobei die meisten Arbeitgeber dafür bestenfalls nicht mehrere Jahrhunderte ins Land ziehen lassen sollten.

Gekappte HR-Budgets in Krisenzeiten

Gerade in Zeiten, in denen allerorten Krisen wüten, ist es ein wichtiges Signal für Arbeitgeber, stärker ins Personalmanagement zu investieren. Laut einer Personio-Studie aus dem vergangenen Herbst vertraut nur die Hälfte der deutschen Angestellten darauf, dass Unternehmen auch während einer Rezession in ihre Mitarbeitenden investieren würden. Und unter den gut 500 konsultierten HR-Verantwortlichen bestätigen 52 Prozent ebenfalls, dass ihr Betrieb keinen ganzheitlichen Ansatz im Hinblick auf die Employee Experience verfolgt. Bei der parallelen Befragung in Großbritannien hatte Personio erhoben, dass sich die Mehrheit der HR-Profis dort gar vor Budgetkürzungen fürchten oder solche sogar schon zu verkraften haben.

„Im Gespräch mit den HR-Verantwortlichen habe ich festgestellt, dass dort kaum Geld für die Mitarbeiter­bindung, -Entwicklung und -Zufriedenheit ausgegeben wird. Es wird also immer nur auf die Fluktuation reagiert, anstatt im Vorfeld schon dagegenzuwirken“, machte der Headhunter Lars Vogler im vergangenen Jahr in einem Post auf Linkedin seinem Ärger Luft. Er richtete seine Schelte gegen Geschäftsführungen von Agenturen, die regelmäßig bei ihm anklopften, um Stellen etwa im SEO-Management zu besetzen. Entsprechende Recruiting-Mandate lehne er aus den genannten Gründen nun konsequent ab, betonte er.

Genau hier liegt die Krux. Egal wie hoch oder gering HR-Budgets ausfallen, die Anforderungen an People & Culture wachsen stetig. Auch wenn so gut wie niemand mehr neoliberal-unterkühlte Begriffe wie Humankapital in den Mund nehmen möchte: Betriebswirtschaftlich betrachtet sind Menschen in vielen Branchen das wichtigste Asset. Wenn das Personal, etwa bei einem Dienstleistungsunternehmen, rund zwei Drittel der Gesamtkosten ausmacht – dann wäre es widersinnig, an Maßnahmen zu sparen, die dabei helfen, es zu gewinnen, zu motivieren, über lange Zeit zu halten. Die Anwältin und Wirtschaftsmediatorin Susanne Nickel trifft es daher genau, wenn sie in einem Blogbeitrag eine zielgerichtete HR-Strategie als Investition in die Zukunft von Unternehmen beschreibt. Wer in Zeiten von Arbeitskräftemangel und hoher Fluktuation hier knausert, wird vielleicht erst zeitversetzt schmerzlich bemerken, am falschen Ende gespart zu haben.

Es geht um mehr als nur Geld

So sieht es auch Anne Karthaus. Seit Anfang des Jahres ist sie Chief HR Officer bei Eucon, einem Experten für datengetriebene Entscheidungsfindung. Das Unternehmen beschäftigt über 500 Mitarbeitende an Standorten in Europa, Nord- und Lateinamerika und im asiatisch-pazifischen Raum. Nicht nur sie selbst ist neu im Unternehmen, sondern auch ihre Funktion. Obwohl fähiges Personal für Eucon Erfolgsfaktor Nummer eins ist, hatte HR vor Karthaus’ Eintritt noch keinen „Seat at the Table“. Doch als das Unternehmen weiter wuchs, die Internationalisierung voranschritt und die Fachkräftesuche schwieriger wurde, bekam das Thema HR aus strategischer Sicht eine neue Dringlichkeit. „Unser Geschäftsmodell wird von zwei Säulen getragen: People und Technology“, erklärt die Personalchefin. „Also muss es auf C-Level auch für beide Komponenten Verantwortung geben: Für die Technologie haben wir einen CTO – und für die menschliche Komponente stehe ich nun als Teil des Boards ein.“

Gehört zur neuen Funktion auch ein umfangreicher Haushalt? Karthaus winkt ab. „Es ist jetzt nicht so, dass sich mit den hinzugewonnenen Kompetenzen der HR-Topf verzehnfacht hätte“, gibt sie zu. Wie viel Geld sie und ihr Team ausgeben dürfen, hängt von den inhaltlichen Zielen ab – und die sollten stets in Einklang mit der Unternehmensstrategie stehen.

Stellt man sich das Budget für HR-Maßnahmen bei Eucon als Kuchen vor, entfällt das mit Abstand größte Stück nicht auf Benefits und neue Tools, sondern auf Kommunikation und Austausch, sprich: auf die Ressource Zeit. Führungskräftetrainings, Weiterbildungen, all das ist wichtig – auch wenn dafür viele Stunden im Arbeitsalltag aufgewendet werden, die dann nicht für operative Wertschöpfung zur Verfügung stehen. Trotzdem ist die Geschäftsführung hier gern großzügig. „Früher galt eine gute Lernkultur in vielen Unternehmen als Benefit für die Mitarbeitenden“, sagt sie. „Da hieß es noch: Du darfst eine Weiterbildung machen.“ Heute ist das ganz anders, auch bei Eucon: „Wir überlegen, welche Skills wir jetzt und in Zukunft unbedingt brauchen. Und dann schauen wir, wer sich diese bei uns aneignen möchte. Das ist ein sehr gezieltes Investment.“

Statt hohe Beträge für Employer-Branding-Agenturen oder andere externe Maßnahmen aufzuwenden, blickt Karthaus bei ihren Investitionen ohnehin lieber ins Unternehmensinnere. „Ich bin fest davon überzeugt, dass eine gute Kultur mit Sinn, Vision und inspirierender Führung sich ganz automatisch nach außen spült.“ Das Gefühl, knausern zu müssen, hat die HRlerin nicht. Auch wenn sie bei den Teamleads schon manchmal Überzeugungsarbeit leisten müsse, warum die Belegschaft sich Zeit für etwa Workshops zu Purpose-Themen nehmen solle – trotz des Drucks im Tagesgeschäft. Und wenn ihr Budget grenzenlos wäre? Karthaus lacht und überlegt kurz. „Dann würde ich noch mehr in interne Vernetzung investieren. Es wäre toll, wenn alle im Unternehmen kleine Hospitanzen in anderen Abteilungen einschieben könnten. Oder wenn sich die Beschäftigten etwa jeden Freitagnachmittag für ihre persönliche Weiterbildung reservieren könnten.“ Das das ist leider nicht drin.

Wo investiert HR?

Laut einer Umfrage von Rexx Systems aus dem Jahr 2020 tendieren Personalabteilungen dazu, ihr Budget auf drei große Posten mehr oder minder gleichmäßig zu verteilen: HR-Software und Digitalisierung schlucken mit 39 Prozent der Aufwendungen das meiste Geld, 32 Prozent der Ausgaben sollen im Schnitt in den Bereich Employer Branding und Personalmarketing fließen. Und 29 Prozent sind für die Personalentwicklung und das Talentmanagement vorgesehen. Für Corporate Benefits planten die von der Softwareentwicklung global befragten Personalverantwortlichen indessen nur einen Bruchteil ihrer Etats ein.

Drei Jahre später, Post-Corona, kann man davon ausgehen, dass die technologische Infrastruktur in den meisten Unternehmen auf einem deutlich höheren Level angekommen ist, wenn natürlich auch laufende Kosten und die zur weiteren Aufrüstung bleiben. Personalentwicklung und -marketing spielen eine wachsende Rolle. Um mehr Geld dafür übrig zu haben, muss im Unternehmen oft an anderer Stelle gespart werden. Wenn es zum Beispiel gelingt, eine ausufernde Meetingkultur und weitere digitale Zeitfresser einzudämmen, dann bleibt mehr davon für die ­individuelle Weiterbildung der Mitarbeitenden übrig. So lässt sich mancher Jour-fixe von einer vollen auf eine halbe Stunde herunterdampfen. Klingt nach Peanuts? Laut Hochrechnungen des Berliner Unternehmens Timeinvest verpulvern Unternehmen jährlich knapp 5.700 Euro pro Beschäftigten für irrelevante Zusammenkünfte und entsprechend verschwendete Zeit. Aber auch beliebige Benefits mit der Gießkanne auszuschütten, ist nicht immer eine gute Idee, auch hier lohnt sich oft ein gezielteres Vorgehen.

Belegschaftsaktien: Bindung dank ­Investition?

Egal ob Bahncard, Fitnessstudiozuschuss oder gar sogenannte Fertility Benefits, bei denen Arbeitgeber Fruchtbarkeitsbehandlungen ihrer Angestellten anteilig finanzieren: Zuwendungen verfolgen meistens das Ziel, die Bindung an den Arbeitgeber zu stärken. Fluktuationskosten sind schließlich ein riesiger Verlustfaktor für Unternehmen – auch wenn die Augen vor den konkreten Zahlen häufig verschlossen werden. Aber welchen Effekt hat es, wenn Mitarbeitende mittels direkter Gewinn- oder Kapitalbeteiligungen buchstäblich in ihren eigenen Arbeitgeber investiert sind?

Beim Hamburger Augenoptiker Fielmann trifft das auf den Großteil der Belegschaft zu: Mehr als 70 Prozent der Mitarbeitenden hält Aktien des SDAX-notierten Unternehmens. „Damit profitieren sie selbst auch ganz direkt von ihrer eigenen guten Arbeit und erhalten zusätzliche Dividenden“, erklärt Personalvorständin Katja Groß. Dass das Familienunternehmen seine Beschäftigten auf unterschiedlichen Wegen am Unternehmenserfolg beteilige, wirke sich dadurch positiv auf die Motivation und Mitarbeiterbindung aus. Aber woran macht man den Erfolg fest? Bei Fielmann zumindest nicht an nackten Umsatzzahlen. „Unsere wichtigste Mess- und Steuergröße ist die Kundenzufriedenheit“, sagt Groß. Wer eine Fielmann-Niederlassung leitet oder im Vorstand sitzt, bezieht den wesentlichen Anteil der Tantieme in Abhängigkeit von der Zufriedenheit der Kundschaft der Brillenshops. Seit 2021 gibt es zudem eine Erfolgsbeteiligung für die Niederlassungsteams. Die Botschaft dahinter: Sind die Käuferinnen und Käufer glücklich, wirkt sich das auf die Zahlen aus und kommt dann wiederum als Bumerang zu den engagierten Angestellten zurück. Eine Win-win-win-­Situation sozusagen.

Wer erfolgreich investieren will – egal ob am Kapitalmarkt oder im Unternehmen –, sollte bedenken, dass sich Langfristigkeit meistens auszahlt. Brauereichef Jacob Horsch hat das offenbar verstanden. Die anonyme Befragung der Mitarbeitenden, die dem Top-Job-Siegel vorausging, hat er nach eigener Aussage genau ausgewertet und zum Anlass genommen, „das Arbeitsumfeld immer weiter zu verbessern und noch stärker auf die Bedürfnisse unserer Betriebsangehörigen einzugehen“. Die Investition in HR soll weitergehen, Personalerin Kneitinger arbeitet an immer neuen Ideen. Nur der Haustrunk, der bleibt natürlich erhalten.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Investition. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Anne Hünninghaus, Foto: Jana Legler

Anne Hünninghaus

Anne Hünninghaus ist Journalistin und Redakteurin bei Wortwert. Sie war von Januar bis Oktober 2019 Chefredakteurin i. V. des Magazins Human Resources Manager. Zuvor arbeitete die Kultur- und Politikwissenschaftlerin als Redakteurin für die Magazine politik&kommunikation und pressesprecher (heute KOM).

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