Tillmann Prüfer: Moderne Väter ohne Rollenvorbild

Rezension

Die Väterbilder, mit denen die älteren Generationen aufgewachsen sind, sind längst vorbei. Die Ansprüche an Väter und die eigenen Erwartungen an die Vaterrolle sind gewachsen, mit ein paar Wochen Elternzeit ist es nicht getan.

Missverständnisse zum Thema Care-Arbeit gibt es immer wieder. Ein verstörend-amüsantes Beispiel lieferte im Oktober 2022 Christian Lindner. In einem Gespräch mit der Zeit bekannte der Bundesfinanzminister, eine Vereinbarung mit seiner jüngst angetrauten Ehefrau zu haben: Wenn sie eines Tages Kinder hätten, sei er irgendwann auch dran mit dem Kümmern. Und er habe für diese Zeit schon Ideen: Bücher schreiben, vielleicht promovieren, jagen, fischen, imkern. Die Häme, insbesondere auf Twitter, ließ ob dieser fabelhaften Elternzeitutopie nicht lange auf sich warten. „Wer von euch Vätern sagt’s ihm?“, fragte ein Nutzer spöttisch.

Vielleicht sollte der – noch kinderlose – Lindner prophylaktisch schon einmal mit der Lektüre des Buchs Vatersein. Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen beginnen. „Ein Kind zu versorgen, ist ein Ganztagsjob mit Überstunden und ohne Gleitzeitausgleich“, schreibt Autor Tillmann Prüfer darin. Der Journalist und Vater von vier Töchtern, die zwei Beziehungen entstammen, muss es wissen. Bei Eltern folgten Frühschichten auf Nachtschichten, der eigene Nachwuchs sei als Arbeitgeber schlimmer, als jede Gewerkschaft es sich vorstellen könnte. Und selbst wenn ein Paar es tatsächlich hinbekommt, die Arbeit paritätisch aufzuteilen, dann ist die Betreuung laut Prüfer trotzdem noch intensiver als ein Halbtagsjob. Das allein ist wohl keine besonders gute Werbung fürs Elternwerden. Auf den knapp 200 Seiten kommt aber auch die Fürsprache der Vaterschaft nicht zu kurz.

Väterbilder: von Heinrich IV bis Homer Simpson

Vor allem geht es dem Autor darum, aufzudröseln, wie Väter ihre Rolle gestalten können. Über den sagenumwobenen modernen Vater wird viel gesprochen – aber was ist damit eigentlich gemeint? Eine Chimäre aus Supermann und, nun ja, klassisch fürsorglicher Mutter vielleicht? Klar ist: Das traditionelle Bild des Familienvaters als Beschützer und Ernährer ist reichlich eingestaubt, und doch gibt es kein klares Ersatzbild. Gleichzeitig wächst der Druck, das Vatersein zu reformieren. Prüfer schreibt lakonisch: „Als Mann und Vater wird man heute das Gefühl nicht los, man müsste 10.000 Jahre Patriarchat innerhalb einer Elternzeit wiedergutmachen.“ Die neue Definition der gesellschaftlichen Funktionen durch den Feminismus und die fortschreitende Gleichstellung will er aber mitnichten als Bedrohung verstanden wissen. Stattdessen sieht er sie als historische Chance, selbst kreativ zu werden, die eigene Elternschaft zu reflektieren, sich neu darauf einzustellen.

Eine Anleitung zum Supervatersein ist das Werk nicht, wie der Autor vielfach betont. Stattdessen will er das Rollenverständnis präzisieren und durchpflügt dabei beiläufig verschiedene Papa-Stereotype: vom „Vater unser“ in der Bibel über Heinrich IV, den Paten und Darth Vader bis hin zur Stilikone aller Loser-Väter Homer Simpson. Als alltagspraktische Vorbilder taugen die Genannten kaum. Und ein Rollenmodell für alle gibt es ohnehin nicht. Auch sei das tatsächliche Geschlecht kaum relevant, wenn es darum geht, für seine Kinder bestimmte Funktionen einzunehmen. Prüfer argumentiert hier inklusiv und bezieht auch gleichgeschlechtliche Paare in seine Überlegungen ein. In einem Punkt ist sich die Forschung den zitierten Quellen zufolge zumindest sicher: Ein Vater, der einfühlsam und interessiert ist, hilft seinen Kindern am meisten. Das Buch gibt einige wertvolle Tipps, liefert einen Werkzeugkasten, aus dem sich Väter bedienen können. Unter den zwölf als Imperative formulierten Tools: Mach dir einen Plan! Lerne vom Kind! Sei zärtlich! Spiele und raufe!

Die Anleitungen sind nett formuliert und – sowohl für Väter als auch für Mütter – durchaus nützlich. Doch vor allem der hintere Teil des Buchs, in dem es um die Unterschiede von „Jungspapas“ und „Mädelspapas“ und die Vaterschaft von Kleinkindalter bis Pubertät geht, bleibt weitgehend anekdotisch und an der Oberfläche. Hier werden aus dem eigenen, teils etwas zu rührselig geschilderten Erleben allenfalls grob strukturierte Denkanstöße geboten, hier und da garniert mit Zahlen aus Studien zum Thema.

Das Buch ist eine Hilfe zur Selbsthilfe, um die eigene Rolle zu reflektieren und neu zu gestalten. Was es nicht ist (und wahrscheinlich auch nicht sein will): ein Forderungskatalog für Wirtschaft und Gesellschaft. Und dass, obwohl der Autor in der Funktionsweise unseres Berufslebens durchaus einen bedeutenden Antagonisten des modernen Vaterseins erkennt. Führungskräfte, die Männern nach wie vor oft von Elternzeiten abraten, strukturelle Ungleichbehandlungen, die dazu führen, dass sich der Teufelskreis weiter verfestigt: Der Mann hat ein höheres Gehalt, die Frau übernimmt deshalb mehr Care-Arbeit und verabschiedet sich schrittweise aus dem Job. Auch den Mangel von Väternetzwerken – im Job und privat – spricht er an. Dennoch bleibt er strikt beim Individuum, nach Tipps für Vorgesetzte und Arbeitgeber sucht man vergeblich.

Lohnt sich die Lektüre fürs Personal­management?

HR-Profis sollten das Buch also eher als Ausgangspunkt verstehen, Väterkonflikte weiterzudenken. Wird an einem förderlichen Umfeld gearbeitet, das Männer ermutigt, zugunsten des Familienlebens kürzer zu treten? Wird über das Vatersein gesprochen, dazu angeregt, sich auszutauschen? Vor allem aber eignet sich das Buch für werdende und junge Väter, die nicht in die Lindner-Falle tappen möchten.

Trotz mancher Schwächen: Dankenswerterweise behandelt Prüfer das Thema mit viel Humor und Selbstironie. Er spricht die Herausforderungen der neuen Männer- und Väterbilder an, ohne larmoyant gegen den Feminismus und überhöhte Ansprüche zu wettern.

Vatersein. Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen
© Kindler Verlag

Tillmann Prüfer, Vatersein. Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen. Kindler Verlag, 2022, 208 Seiten, 20 Euro.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Sichtbarkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Anne Hünninghaus, Foto: Jana Legler

Anne Hünninghaus

Anne Hünninghaus ist Journalistin und Redakteurin bei Wortwert. Sie war von Januar bis Oktober 2019 Chefredakteurin i. V. des Magazins Human Resources Manager. Zuvor arbeitete die Kultur- und Politikwissenschaftlerin als Redakteurin für die Magazine politik&kommunikation und pressesprecher (heute KOM).

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