Ich finde, du bist viel zu emotional“, dieser Satz aus dem Munde einer Kollegin verunsichert Magdalena Rogl im ersten Moment. Nach kurzem Luftschnappen aber veranlasst der Kommentar die Microsoft-Diversity-Chefin dazu, ihre vermeintliche Schwäche genauer in Augenschein zu nehmen, sie zu sezieren und unter dem Mikroskop zu betrachten. Auf rund 250 Seiten geht sie in Mitgefühl nicht nur der Frage nach, warum wir Emotionen in der Arbeitswelt oft nicht ausreichend Platz einräumen und ihre Offenbarung nach wie vor als unprofessionell gewertet wird. Sie eröffnet auch ein inbrünstiges Plädoyer, das zu ändern. Aufgelockert werden die einzelnen Kapitel mit Mini-Briefings und Übungen für zu Hause.
Zuerst erklärt sie gut verständlich ein paar Grundlagen zum Forschungsstand: Warum sind wir leicht reizbar, wenn uns der Magen knurrt? Welche Rolle spielt der Vagusnerv für unser Wohlbefinden? Inwiefern handelt es sich bei der scheinbar grundsätzlichen Unterscheidung von Kopf- und Bauchmenschen ohnehin nur um eine Mär?
In Bezug auf das Arbeitsleben deckt sie Widersprüche und Missverständnisse auf: Selbstbewusstsein wird im Job gefeiert. Aber heißt das nicht auch, wörtlich genommen, dass man sich seiner Selbst am besten vollumfänglich bewusst sein sollte – inklusive der eigenen Emotionen? Magdalena Rogl findet, das sei die beste Ausgangsposition. Weil wir dann durchschauen, weshalb wir etwa neidisch auf den Kollegen oder von der Chefin enttäuscht sind – und auch, welche Werte und Aufgaben uns zu mehr Glück verhelfen
Ob im Teamgespräch oder bei Posts auf Linkedin und Co: Wann immer Menschen sich beruflich exponieren, lassen sich oft zwei Pole beobachten: einerseits die Verklemmten, die bei jedem Fünkchen Emotionalität befürchten, nicht mehr ernst genommen zu werden. Und andererseits diejenigen, die jede aufkeimende Gefühligkeit genüsslich in Szene setzen und versuchen, aus jedem Leidenschafts- oder Betroffenheitsmoment eine marketingtaugliche New-Work-Parabel zu stricken.
Magdalena Rogl gehört zu keiner dieser beiden Gruppen. Sie ist bemerkenswert ehrlich, räumt im Buch auch persönlichen Frustmomenten und ihrer eigenen Verletzlichkeit Platz ein. Erzählt, wie sie in ihren Zwanzigern glaubte, ihre Lebensträume verwirklicht zu haben: Sie arbeitet in ihrem Wunschberuf als Kinderpflegerin, hat zwei Kinder und ist verheiratet. Dann kommt die Trennung und sie wagt beruflich einen Quereinstieg – ist auf dem unbekannten Terrain immer besorgt, nicht mit den anderen mithalten zu können. Sie lässt uns teilhaben an Situationen aus dem Privatleben, die später im Joballtag nachklingen. Zum Beispiel als sie als junge Frau bei einer Familienfeier die Tische abräumt und ihre Großmutter kommentiert: „Gell, in unserer Familie gibt es halt die Klugen und die Fleißigen.“ Der Satz ist wohlwollend gemeint – erschüttert sie jedoch zutiefst.
Wer nun Kitsch à la Jede Krise ist eine Chance befürchtet, der sei entwarnt. Denn die sogenannte toxische Positivität sieht Rogl betont kritisch. So warnt sie vor der Gefahr, Schicksalsschläge zu romantisieren – weil wir uns dadurch der Möglichkeit berauben, Trauer oder Wut tatsächlich auszuleben.
Ihr geht es um etwas anderes. Sie ermuntert dazu, mehr Verständnis füreinander aufzubringen, auch und gerade in Zeiten der Transformation. Die Botschaft: Wir brauchen tendenziell nicht mehr Selbstdisziplin, sondern mehr Mitgefühl. Das Miteinander spielt schließlich auch im Job eine große Rolle. Mit den Menschen in unseren Teams verbringen wir an manchen Tagen wahrscheinlich mehr Zeit als mit unseren Familien.
Daher sollte mehr Platz sein für Lob und Dankbarkeit, mehr Toleranz für die Lebensumstände und Gefühle der anderen. Hier hätte die Autorin gern konkreter werden können: Wie gehe ich damit um, wenn es mir gerade nicht gut geht? Wie viel persönliches Leid offenbare ich der Chefin oder dem Kollegen? Welche Abwägungen können mir helfen, diese Entscheidung zu treffen? Wie kann ich klar und emotional zugleich kommunizieren? Diese Fragen streift sie nur am Rande. Und das ist dann auch die Schwäche von Mitgefühl: Die Autorin hat sich zu viel vorgenommen. Die Dimensionen von Diversität und Inklusion – ihr offensichtliches Lieblingsthema – sind zweifelsohne wichtig für Unternehmenskulturen, in denen die Emotionen aller gleichermaßen eine Rolle spielen. Auch einen Blick wert ist die Frage nach Resilienz und Emotionalität als „unterbewerteter Rohstoff für Innovation“, weil man Zielgruppen besser versteht, wenn man aktiv zuhört, empathisch ist, sich in Bedürfnisse hineinversetzt. Aber angesichts des knappen Umfangs hat das Buch hier eher Schlaglichtcharakter.
Den Human Relations – nicht: Resources! – widmet Magdalena Rogl übrigens ein eigenes Kapitel. Darin geht es um Empathie als Schlüsselfaktor. Sie ermöglicht es uns, besser zuzuhören und Menschen damit auch gezielter zu fördern, zu befähigen und ihnen Feedback zu geben. Zudem gibt sie ein paar praktische Tipps, wie sich etwa Onboarding-Prozesse auf positive Art emotionalisieren lassen. Zum Beispiel: Nach Job-Interviews noch so genannte Enterviews in den Prozess einfügen, wie es manche Vorreiter schon tun. Das sind Gespräche, in denen das Unternehmen wertschätzend erklärt, warum es sich für das Talent entschieden hat. Insgesamt: Lesetipp!
Magdalena Rogl, Mitgefühl. Warum Emotionen im Job unverzichtbar sind, EMF Verlag, 18 Euro, 256 Seiten. Erschienen im Oktober.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Employee Lifecycle. Das Heft können Sie hier bestellen.