Wie Unternehmen den Kontakt nicht verlieren

Employee Journey

Im Recruiting und Employer Branding stößt man des Öfteren auf Einbahnstraßen im Denkmuster. Der Re­­cruiting Funnel wird unter anderem durch Marketing, Social Media, Empfehlungen, Lead-Generierung oder Programmatic Job Advertising gefüllt. Kandidatinnen und Kandidaten werden durch den Recruitingprozess geführt, eingestellt, ongeboardet, betreut und gebunden – und dann wieder getrennt! Für den Anfang und in der Mitte der Employee Journey in Organisationen werden Aufmerksamkeit und Ressourcen aufgebracht. Zum Schluss entscheidet eine Seite, die Arbeitsbeziehung zu beenden und die Trennung einzuleiten. Ist die Trennung ausgesprochen, schauen beide Parteien meistens in die Röhre. Wenn nicht vorher festgehalten wird, wie die Trennung prozessual, emotional und systemisch ablaufen kann, weiß keiner so recht, was zu machen ist. Und auch das verlassene Team wird kommunikativ und emotional nicht abgeholt.

Dies liegt vor allem daran, dass viele Organisationen – gerade kleine und mittelgroße Unternehmen – weder eine Trennungsstrategie noch ein Trennungsmanagement, geschweige denn eine definierte Trennungskultur haben. Dabei hat das Thema Offboarding in der Außen- und Innenwahrnehmung eines Unternehmens genauso viel Bedeutung wie das Recruiting und das (Pre-)Onboarding. Mit dem Ausspruch der Kündigung sind allerdings häufig gedanklich bereits alle Brücken abgebrochen. Informationen werden nicht mehr geteilt, die „Abreisenden“ werden ausgeladen oder nicht mehr zu Projekt- oder Teambesprechungen eingeladen. In einigen Fällen werden vorzeitige Beurlaubungen ausgesprochen, und in den Köpfen der Manager schwingt die Angst mit, dass noch mehr Leute folgen könnten.

An dieser Stelle sollte ein Paradigmenwechsel stattfinden. Laut einer Generationen-Auswertung des Jobportals Xing aus diesem Jahr bekräftigen Arbeitsmarktforschende, dass Unternehmen verstärkt mit „Jobhoppern“ konfrontiert werden. Den Job fürs Leben in einem Unternehmen gibt es schon lange nicht mehr. Die Verweildauer in einem Unternehmen wird kürzer. Das Exit Management sollte genauso achtsam und aufmerksam betrachtet werden wie alle anderen Phasen, Programme und Instrumente im Employee Lifecycle. Denn „Ehemalige“, auch „Alumni“ genannt, werden zur Kundschaft oder wieder zu Kandidatinnen oder ­Kandidaten; die Zurückgebliebenen werden zu „Survivors“, die es im Unternehmen zu halten gilt.

Trennungsstrategien sollten ein klares Boomerangkonzept beinhalten, damit Fluktuation zur Chance wird. Die Chance besteht darin, ehemalige Kolleginnen und Kollegen in naher Zukunft für das Unternehmen zurückzugewinnen (Win-Back). Um das Thema „Win-Back“ in der Organisation zu institutionalisieren, braucht es zunächst eine gute Datenlage. Denn an bestimmten Prozesspunkten müssen Informationen an das Recruiting-Team weitergeleitet werden.

Wir bei Sonova, einem Anbieter von Hörakustiklösungen mit 750 Geers-Fachgeschäften in Deutschland, haben das Thema „Win-Back“ bereits in Angriff genommen. Seit 2016 gehört das ursprüngliche Familienunternehmen Geers zur weltweit agierenden Sonova-Gruppe.

In Deutschland gibt es circa 16.000 Akustiker, die für Geers potenzielle Kandidatinnen oder Kandidaten sind. Die Zielgruppe ist sehr stark untereinander vernetzt. Es gibt eine Handvoll Aus- und Weiterbildungsinstitute in der Hörakustikbranche. Dort treffen sich Auszubildende, Gesellen und Meister zur Fortbildung. Aus diesem Grund ist ein wertschätzendes und faires Offboarding für das Employer Branding in der Hörakustikbranche von Bedeutung. Der Kandidatenmarkt ist eng, schon allein deshalb ist ein Wiedereintritt in einem altbekannten Unternehmen kein seltenes Szenario. Das Recruiting-Team hat dazu die technische Seite des Austrittsprozesses näher durchleuchtet. Grundsätzlich hat man sich bei Geers die Frage gestellt: Wie erreicht uns die Information, dass ein talentierter Mitarbeiter, eine talentierte Mitarbeiterin das Unternehmen verlässt? Das Problemmuster haben wir skizziert und eine Intervention in der Aktualisierung des Mitarbeitendenstatus im Personalmanagementsystem eingeführt. Bei der Änderung der Mitarbeitendendaten in Systemen wird eine automatisierte Benachrichtigung an das Recruiting-Team gesendet.

Bei Neueinstellungen über das Recruiting lässt sich das Thema Datenschutz zur Speicherung persönlicher Daten in unserem CRM-System durch eine zusätzliche Einwilligungserklärung leichter abbilden und umsetzen als bei bestehenden Mitarbeitenden. Doch wie gehen wir als Unternehmen mit den bestehenden Beschäftigten um? Von diesem Kreis haben wir in der Regel keine unterschriebene Einverständniserklärung für die Zweckentbindung ihrer persönlichen Daten. Wie bereits erwähnt, wird bei Geers das Recruiting-Team automatisch über Austritte von ­Mitarbeitenden informiert. Der Active Sourcer nimmt daraufhin telefonisch Kontakt auf. In diesem Telefonat sollte er die ausscheidende Person überzeugen, sich aktiv für den Talent Pool in unserem CRM-System zu registrieren. Dazu gibt es eine Reihe definierter Kontaktzeitpunkte. Registriert sich der oder die ausscheidende Mitarbeitende, wird das jeweilige Profil mit Tags und zusätzlichen Informationen in unserem CRM-System gepflegt, so dass der Active Sourcer bei einer späteren Suche auf das Profil zurückgreifen kann.

In der Gestaltung des Alumni-Prozesses hat sich das Re­­cruiting-Team vertieft Gedanken über die Häufigkeit sowie den Zeitpunkt der Kontaktaufnahme gemacht. Wichtig ist weiterhin: Wer hält den Kontakt zur ausgeschiedenen Person – ist es die jeweilige Führungskraft, eine Kollegin oder ein Recruiter? Grundsätzlich gilt es, den Blick auf die Candidate Persona und auf die Beziehungsebene zu richten. Zu wem hatte der oder die Beschäftigte die engste Beziehung? Diese Person sollte als „Brückenbauer“ die regelmäßige Kontaktaufnahme nach dem Austritt durchführen.

Bei der Bindung zu den jeweiligen Alumni ist als ein weiterer Aspekt das Medium der Kontaktaufnahme essenziell. Ihre Wünsche sollten im betreffenden CRM-Profil aufgeführt und berücksichtigt werden. Gerade unsere Personal-Zielgruppe im Fachgeschäft bevorzugt Gespräche außerhalb der Ladenöffnungszeiten. Auch die Austrittsgründe können bei jeder Person unterschiedlich sein, so gilt es, diese Gründe für die erste Kontaktaufnahme zu prüfen.
Unser Bewerbermanagementsystem ermöglicht uns, Win-Back-Kandidatinnen und -Kandidaten im System besonders zu kennzeichnen. Somit können wir ein nachhaltiges Reporting unseres Alumni-Managements sicherstellen und auf Dauer Erfolge oder Learnings nachvollziehen. Wird der Prozess einmal gelebt, ergeben sich fast zwangsläufig Verbesserungspotenziale für die unterschiedlichen Beteiligten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Treue. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Beate Schulte

Beate Schulte ist seit mehr als 15 Jahren als Expertin im Employer Branding & Recruiting und Führungskraft in unterschiedlichen Unternehmen und Unternehmenskulturen tätig. Aktuell übt sie die Rolle des Head of Recruiting und Employer Branding bei Sonova Retail Deutschland aus und stärkt die Marke Geers am deutschen Arbeitsmarkt.

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