„Schuldig im Sinne der Anklage“ müssten sämtliche Führungskräfte, Personalmanagement-Verantwortliche und auch ich selbst als Unternehmer sein, wenn es nach dem Sprichwort geht:
„Der Fisch stinkt vom Kopf her“.
Im März des vorigen Jahres berichtete das Magazin „Der Spiegel“ „Deutschland ist Frustweltmeister“. „Nirgendwo gehen die Menschen so lustlos zur Arbeit wie in Deutschland.“ – was eine globale Studie zur Mitarbeiterzufriedenheit zeigte. Erklärt wurde dies mit verschiedenen Kulturen der Mitarbeiterführung, was bedeutet, dass jeweils die Führungskräfte und HR-Verantwortlichen ihre Schuld tragen.
Stimmt das? Ist das wirklich so?
„Der Spiegel“ bezog sich auf den „Employee Net Promotor Score“, der durch das dänische Unternehmen „Peakon“ seit 2015 jährlich als globale Studie erhoben wird. Ein gleichsam ernüchterndes Ergebnis wird der weltweiten Wirtschaft seit vielen Jahren durch das Unternehmen „Gallup“ in Form des „Gallup Engagement Index“ attestiert. Deren Auswertung zufolge haben lediglich 15% aller Arbeitnehmer/innen eine hohe, emotionale Bindung zum eigenen Arbeitgeber. 85% sind kaum bis gar nicht emotional mit ihrem Unternehmen verbunden. Und in diesen 85% sind auch die enthalten, die bereits innerlich gekündigt haben.
Diese und ähnliche Studien lassen sich vielfach im Internet finden. Sei es durch die Gesundheitskasse AOK, die sogar einen ganzen Bereich dem Thema „Unzufriedenheit-im-Job“ widmet. Oder der eigene Selbstversuch, wenn man sich im Bekanntenkreis umhört und hinterfragt, wie zufrieden die eigenen Bekannten mit ihrer Tätigkeit sind. Eine Recherche im Internet unter dem Suchbegriff „Unzufriedenheit im Job“ ergibt in 0,54 Sekunden mehr als 5,6 Millionen Treffer. Offenbar ist das ein Thema, das uns alle interessieren sollte.
Folgt man den Inhalten der AOK, dann sind die folgenden Punkte die größten Störfaktoren im beruflichen Umfeld: Fehlende Wertschätzung, Überlastung, Stress, Termindruck, Monotonie, schlechtes (Arbeits-)Klima und/oder Probleme mit den Vorgesetzten.
Und alle, die „im Sinne der Anklage“ schuldig sein sollen (oder sind?), wissen um die Dramatik dieser Aussagen: Denn wenig motivierte Mitarbeiter kündigen eher und werden häufiger krank.
Wenn wir als Unternehmer, Personalmanagement-Verantwortliche, Trainer und Berater es also nicht schaffen, diese Situation maßgeblich zu ändern, sind wir beteiligt an einem volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe. Das dänische Unternehmen Peakon rechnete vor: Bei einem Unternehmen mit 10.000 Mitarbeitern kann die teilweise um 75% höhere Krankheitsquote der weniger bis gar nicht mehr motivierten Mitarbeiter zu jährlichen Kosten von mehr als 48 Millionen Euro führen.
Gleichzeitig bringt die noch immer vorhandene „Corona-Pandemie Missstände an die Oberfläche, denen jahrelang noch zu wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Der Werteunterschied vier nebeneinander tätiger Generationen kann nicht größer sein, als wir diesen aktuell erleben. Baby Boomers, Generation X, Y und Z sind zeitgleich im Arbeitsmarkt. Und während die einen noch an starren Hierarchien festhalten und „Leben, um zu arbeiten“, sind die Nächsten mit IT und Digitalisierung in der „Muttermilch“ aufgewachsen und betrachten „Leben und Arbeiten als einen fließenden Prozess“. Während die einen in einer Führungskraft eine Person sehen, die „immer für das Team da ist“ und bei denen das Recruiting noch analog mit Bewerbungsmappe zu erfolgen hat, so sehen die anderen Führungskräfte eher als Personen, „die ehrlich und moralisch integer sind“, „regelmäßig Feedback“ geben und digitale Bewerbungen bevorzugen. Für eben jene spielt es auch keine Rolle, ob die entsprechende Führungskraft tatsächlich hierarchisch überstellt ist, denn Führungskräfte entstehen nicht auf dem Papier per Titel, sondern durch deren wahrzunehmende Kompetenz.
Es stellt sich die Frage, was kann das Unternehmen der Zukunft den Arbeitenden der Gegenwart und Zukunft bieten, das zu mehr Motivation der Menschen führt als das, was wir als Ergebnis des Wirkens der letzten fünf Jahrzehnte erleben durften.
Status und finanzielle Anreize werden es wahrscheinlich nicht mehr sein, denn zumindest die Generationen Y und Z sind bereits wohlbehütet und in finanzieller Sicherheit aufgewachsen.
Weiterhin kommt erschwerend hinzu, dass Jugendvorbilder wie zum Beispiel Marcel Thomas Andreas Eris (kurz „Monte“) zeigen, dass man mit dem eigenen Hobby – Gaming und Streaming – mehr als 1,5 Millionen Euro pro Jahr als Einkommen erwirtschaften kann, ohne sich in starre Betriebswelten zu begeben. Auch Corinna Kopf, TikTok-Sternchen und ebenfalls Streamerin, zeigte jüngst und über Nacht, wie man von „Null“ zur Euro-Millionärin werden kann.
Das bedeutet: wer die Menschen für sich und seinen Betrieb begeistern will, der sollte genauer hinschauen. Denn zumindest die ersten vier Ebenen der Maslowschen Bedürfnis-Pyramide – Physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, Soziale Bedürfnisse und Individualbedürfnisse – sind bereits vollständig für die jüngere Zielgruppe erfüllt. Diese menschlichen Grundbedürfnisse werden bei den jüngeren Generationen durch ihre Eltern und durch ihre eigenen Fähigkeiten, sich online Aufmerksamkeit und Stati zu erwerben, bereits hinreichend gedeckt.
Es bleibt folglich noch eine Bedürfnis-Ebene offen, deren Erfüllung enorm an Wichtigkeit hinzugewinnen wird: die Ebene der Selbstverwirklichung, der Persönlichkeitsentwicklung.
Themen, die in diesem Bereich von Nutzen sein können, sind unter anderem die folgenden:
- Potenzial-Entwicklungsmodelle,
- Persönlichkeits- und Verhaltensmodelle,
- Energie-Entwicklungsprogramme,
- mentale Entwicklungsprogramme.
All diese Programme können sowohl in klassischen Schulungsprogrammen als auch im Rahmen individueller Coaching-Maßnahmen angewandt werden und sollten für alle Bereiche des Personalmanagements genutzt werden. Für das Recruiting, Assessment, Basis-Mitarbeiter-Entwicklung und Management-Entwicklung, aber auch zur „Selbstfindung“ einzelner Personen. Der Arbeitgeber der Gegenwart und Zukunft wird also gut beraten sein, alle diese Themenfelder anzubieten, die der entsprechenden Generation bisher nicht vermittelt wurden.
Um den Bogen wieder zum Anfang zu schlagen, wage ich das Resümee: Der Fisch stinkt nicht immer vom Kopf her. Teilweise sind es die Flossen und/oder auch die Schuppen des Fisches, die brüchig werden oder verletzt sind. Genau hier gilt es bitte anzusetzen: der Fisch muss ganzheitlich betrachtet und nachhaltig geheilt werden. Und ob jemand, im Sinne der Anklage „schuldig“ gesprochen werden kann oder nicht, welche Indizien für oder gegen verschiedene Bewertungen sprechen und welche Lösungsansätze sich ergeben – das erfahren Sie in meinem Vortrag im Rahmen des Personalmanagement-Kongresses 2021.
Eines ist jedoch gewiss: Für die Zukunft muss das Motto lauten: „Der Mensch steht im Mittelpunkt“.