Sie sind oft unproduktiv, ein „Zeitfresser“, binden Ressourcen – und werden doch selten hinterfragt: Meetings. In vielen Unternehmen sind sie fester Bestandteil des Arbeitsalltags von Führungskräften und zugleich eines der wichtigsten Führungsinstrumente. Pro Woche verbringen sie dabei durchschnittlich 23 Stunden in Meetings.
Steven Rogelberg, Professor und einer der führenden Experten für Meeting-Wissenschaft, schätzt, dass 50 Prozent der Zeit, die für die Organisation und das Abhalten von Sitzungen eingesetzt wird, unproduktiv ist.
Erstaunlich oft wird dies einfach hingenommen, die negativen Konsequenzen werden entweder übersehen oder unterschätzt. Doch man kann durchaus etwas dagegen tun: Gerade der HR-Bereich kann wertvolle Impulse anstoßen. Einige Insights und Handlungsideen, um sich aus dem Teufelskreis zu befreien:
1. Teamleistung und Unternehmenserfolg sind miteinander verknüpft
Die Meeting-Kultur korreliert unmittelbar mit dem Team- und Organisationserfolg. Dies zeigt unter anderem eine Studie von deutschen Meeting-Wissenschaftlerinnen. Ein Meeting zeigt wie in einem „Brennglas“ wie engagiert und produktiv ein Team – auch außerhalb von Meetings – zusammenarbeitet. Sind die Meetings nicht effizient, das heißt werden abgehalten, ohne dass ein konkretes Ergebnis vorliegt, hat dies negative Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg.
2. Das Wohlbefinden der Mitarbeitenden hängt von produktiven Meetings ab
Laut Studien des Meetingexperten Steven Rogelberg korreliert die generelle Zufriedenheit der Mitarbeitenden direkt mit der persönlichen Einschätzung der Wirksamkeit der eigenen Geschäftssitzungen. Wer häufig in unproduktiven Meetings sitzt, hat eine insgesamt geringere Arbeitszufriedenheit und zeigt auch ein geringeres Engagement sowie Symptome von emotionaler Gereiztheit. In der aktuellen Lage, die durch die Unterbrechung der gewohnten Arbeitsabläufe geprägt ist und in der bereits von „Zoom-Fatigue“ gesprochen wird, ist dies eine besonders ungute Mischung.
3. Kosten: Warum es sich kein Unternehmen erlauben kann, die Zeit ihrer Führungskräfte zu vergeuden
Unproduktive Meetings verursachen hohe Kosten. Wenn gut bezahlte Führungskräfte zu viel Zeit in unproduktiven Meetings verbringen, kommen sie nicht zu den Aufgaben, für die sie eigentlich bezahlt werden. Allein in Deutschland werden die dadurch versunkenen Lohnkosten auf jährlich 65 Milliarden Euro geschätzt – ein höherer Betrag als das BIP von Kroatien.
Die Rolle von HR als Impulsgeber für Veränderungen
HR-Verantwortliche bringen als zentrale Gatekeeper der personellen Ressourcen die nötigen Kompetenzen, Fähigkeiten und natürlich auch Zuständigkeiten mit, um das Problem anzugehen. Sie können nicht nur auf ineffiziente Meetings hinweisen, sondern die Problematik auch strategisch innerhalb des Unternehmens angehen. Aus HR-Sicht gibt es drei zentrale Schritte, die mitunter zielführend sind.
1. Verpflichtung zur Meeting-Produktivität
HR-Verantwortliche können in einem ersten Schritt das Licht auf diesen „blinden Fleck“ lenken und auf die Agenda der Geschäftsführung setzen. Damit dem Meeting Management im Unternehmen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, kann es helfen, klare Verantwortlichkeiten zu definieren: Meetings sollten durch ein einfaches, strukturiertes und wenn möglich anonymes Feedback messbar gemacht werden. Nur wenn die den Meetings vorstehenden Führungskräfte konkret verstehen, woran ihre Meetings „kranken“, können diese substanziell verbessert werden.
Ein einfaches Dashboard mit den wichtigsten Metriken reicht oft in einem ersten Schritt aus. Teams sollten zudem regelmäßig – beispielsweise einmal im Quartal – eine rückblickende Meeting-Auswertung durchführen. Fragen zur Meeting-Zufriedenheit können in Mitarbeiterndengespräche integriert werden.
Zudem sollten Kompetenzen bezüglich des Meeting Managements auch Thema im Recruiting von potenziellen neuen Führungskräften werden. Mögliche Fragen könnten sein: „Was ist Ihnen bei der Vorbereitung, Leitung und Nachbereitung von Meetings wichtig?“
2. Meeting-Normen
Der Bereich HR sollte bei der Definition von organisationsweiten Meeting-Normen eine aktive Rolle einnehmen. Denn die Standardisierung von Meetings ist ein wichtiger Schritt hin zu/in Richtung erhöhter Meeting-Produktivität. Dies hat übrigens Amazon-Gründer Jeff Bezos erkannt, der in seiner Firma klare Regeln aufgestellt hat (zum Beispiel die Zwei-Pizza-Regel oder die stille Vorbereitung im Meeting). Mit der „Pizza-Regel“ ist gemeint, dass nur so viele Personen an einem Meeting teilnehmen dürfen, die von zwei Pizzen satt werden würden.
Verantwortliche sollten sich Gedanken darüber machen, welche Richtlinien und Verhaltensweisen die Produktivität erhöhen und zu der Organisationskultur passen könnten. Dazu könnte beispielsweise gehören, dass man Tipps für die Auswahl von Teilnehmenden definiert, die Tendenz zur Meeting-Standardlänge von einer Stunde „bekämpft“ oder spezifische Umgangsformen in Online-Meetings vorschlägt.
3. Meeting-Training
Steven Rogelberg schätzt, dass nur rund 20 Prozent aller Führungskräfte jemals ein Meeting-Training erhalten haben. Angesichts der Anzahl der Stunden, die sie in Meetings verbringen, sowie deren Wichtigkeit, ist dies erschreckend wenig. Es bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass viele Meetings buchstäblich dem Zufall überlassen werden.
Der Bereich HR sollte beginnen, Meeting-Training als integralen Bestandteil der Führungskräfteentwicklung zu betrachten. Die Leitfrage ist hier: Wie sieht ein produktiver Meeting-Prozess aus? Welche menschlichen Dynamiken müssen beachtet werden? Hier sollte man ein besonderes Augenmerk auf introvertierte Teammitglieder legen. In einem zweiten Schritt sollten alle Mitarbeitenden in diese Schulungen einbezogen werden, da sie alle zum Erfolg von Meetings beitragen können.
Das Thema Meeting Management lief bisher unter dem Radar von HR-Verantwortlichen. Dies muss sich unbedingt ändern – gerade in Zeiten von „Lockdowns“ und der Zunahme der digitalen Meetings, die die geschilderten Probleme regulärer Sitzungen, die wir alle kennen, nicht fortschreiben sollten.