Urlaubsanspruch – Rechte von Beschäftigten gestärkt

Mindesturlaub

Vor fast vier Jahren entschied der Europäische Gerichtshof, dass Urlaubsansprüche nur erlöschen, wenn der Arbeitgeber zuvor auf das drohende Erlöschen am Ende des Urlaubsjahres hingewiesen hat. Seither war aber streitig, ob Urlaubsansprüche gemäß § 195 Bürgerliches Gesetzbuch nach drei Jahren verjähren, wenn Arbeitgeber zuvor nicht auf das drohende Erlöschen hingewiesen haben. Das hat der Europäische Gerichtshof nun zugunsten der Arbeitnehmenden verneint.

Sachverhalt

Die klagende Steuerfachangestellte war von 1996 bis 2017 beim Beklagten beschäftigt. Ihr jährlicher Urlaubsanspruch belief sich auf 24 Arbeitstage. Im März 2012 bescheinigte der Beklagte ihr, restliche Urlaubsansprüche von 76 Tagen aus 2011 „sowie den Vorjahren“ würden nicht am 31. März 2012 verfallen, die Klägerin habe den Urlaub wegen hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen können.

Von 2012 bis 2017 erhielt die Klägerin insgesamt 95 Urlaubstage, somit nicht einmal vollen gesetzlichen Mindesturlaub. Der Beklagte hatte sie weder aufgefordert, weiteren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen könne. Im Februar 2018 klagte sie Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus 2017 und den Vorjahren ein. Das Arbeitsgericht Solingen hat lediglich zur Abgeltung des Urlaubs aus 2017 verurteilt. Demgegenüber war die Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf auch zur Abgeltung von Urlaub für die Jahre 2013 bis 2016 erfolgreich. Unter Beachtung der europarechtlichen Vorgaben sei der Urlaub in diesen Jahren weder verfallen noch nach allgemeinem Zivilrecht verjährt, weil der Beklagte seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht nachgekommen sei und die Klägerin nicht in die Lage versetzt habe, den Urlaub zu nehmen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Revision gegen das Düsseldorfer Urteil ausgesetzt und den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Entscheidungserheblich sei, ob Artikel 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Artikel 31 Absatz 2 der EU-Grundrechtcharta die Verjährung des Anspruchs auf gesetzlichen Mindesturlaub erlauben, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat. Diese europarechtliche Frage zu entscheiden, obliege dem Europäischen Gerichtshof.

Entscheidung

Mit Urteil vom 22. September 2022 (C-120/21) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die nationalen Verjährungsvorschriften so auszulegen sind, dass Urlaubsansprüche nur dann verjähren, wenn die Beschäftigten über ihren Urlaubsanspruch informiert worden sind. Der Europäische Gerichtshof knüpft an seine Urteile von vor rund vier Jahren an und führt sie fort. Arbeitnehmende seien als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen. Deshalb dürfe die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, nicht vollständig auf sie verlagert werden. Damit erhielten Arbeitgeber eine Möglichkeit, sich ihrer eigenen Pflichten unter Berufung auf einen fehlenden Antrag des Beschäftigten auf bezahlten Urlaub zu entziehen. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dürfe daher am Ende eines Bezugs- oder eines Übertragungszeitraums nur dann verloren gehen, wenn die Arbeitnehmenden tatsächlich die Möglichkeit hatten, ihren Urlaubsanspruch rechtzeitig auszuüben.

Selbst unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit, die der Verjährung diene, dürfe die Einrede der Verjährung einen Arbeitgeber nicht belohnen – nämlich dafür, dass er drei aufeinanderfolgende Jahre zuvor davon abgesehen hat, Arbeitnehmende in die Lage zu versetzen, ihren Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen. Im Ergebnis werde ansonsten ein Verhalten gebilligt, das zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führe – und dem von Artikel 31 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verfolgten Zweck zuwiderlaufe, die Gesundheit der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers zu schützen. Bei Sachverhalten wie dem vorliegenden müsse ein Arbeitgeber selbst Vorsorge gegen späte Anträge wegen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs treffen, indem er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten gegenüber den Arbeitnehmenden nachkommt. Damit werde die Rechtssicherheit gewährleistet, ohne das in Artikel 31 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta verankerte Grundrecht auf bezahlten Urlaub einzuschränken.

Praxisfolgen

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs fügt sich konsequent in seine Rechtsprechung zum gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch seit den Urteilen aus 2018 ein. Das Bundesarbeitsgericht hat diese adaptiert und erwartet seit 2019 vom Arbeitgeber, dass er die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer „konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und sie oder ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt“. Orientiert man sich an dieser Hinweisobliegenheit und setzt sie konsequent um, erlöschen Urlaubsansprüche am Ende des Urlaubs-/ Kalenderjahres. Die Frage ihrer Verjährung stellt sich dann erst gar nicht (mehr), weil der Urlaubsanspruch so gesehen ohnehin ein befristeter ist.

Wie bedeutsam diese Hinweispflicht für Arbeitgeber ist, zeigt ein weiteres Urlaubsurteil des Europäischen Gerichtshofs – ebenfalls vom 22.09.2022 (C-518/20 und C-727/20). Hier bestätigt er seine Rechtsprechung, wonach krankheitsbedingt nicht genommener Urlaub 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt, allerdings auch das nur, wenn der Arbeitgeber zuvor seiner Hinweisobliegenheit zum drohenden Erlöschen des Urlaubsanspruchs nachgekommen ist.

Wichtig: Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs zum Urlaub beschränken sich stets auf den gesetzlichen Mindesturlaub nach der Arbeitszeit-Richtlinie im Umfang von jährlich vier Wochen. Da es in der Praxis regelmäßig weiterreichende Urlaubsansprüche gibt, ist es mehr denn je bedeutsam, in Arbeitsverträgen zwischen diesem Mindesturlaub und darüber hinausgehenden weiteren (vertraglichen) Urlaub zu unterscheiden, denn letzteren kann man restriktiveren Regeln unterwerfen. Andernfalls gelten auch für vertraglichen Urlaub die (strengeren) Regeln des gesetzlichen Mindesturlaubs.

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Axel J Klasen, Foto: Privat

Axel J. Klasen

Axel J. Klasen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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