Frau Biefang, Sie sind stellvertretende Vorsitzende des QueerBW, der Interessenvertretung für queere Angehörige der Bundeswehr. Nehmen die sexuelle Vielfalt und Diversität in der Bundeswehr zu?
Anastasia Biefang: Dass queere Menschen existieren und ihre Interessen durchaus valide sind, hat auch die Bundeswehr, mit ihrer Geschichte der aktiven und systematischen Diskriminierung von homosexuellen Soldaten, in den letzten Jahren erkannt. Unser Verein ist bereits 20 Jahre alt und blickt auf Höhen und Tiefen der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zurück. In den letzten Jahren hat der Austausch sowohl mit der Bundeswehr selbst als auch mit dem Bundesministerium für Verteidigung zugenommen. Wir sind zum Netzwerk- und Ansprechpartner für alle queeren Themen geworden, und in dieser Funktion erhalten wir Ansehehen. Das war aber nicht unbedingt immer so.
Was war bisher der größte Erfolg Ihres Vereins?
Das Gesetz zur Rehabilitierung von Soldatinnen und Soldaten, die bis zum Stichtag des 3. Juli 2000 aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Dienst benachteiligt wurden. Die Verabschiedung dieses Gesetzes war auch ein Gründungspfeiler des Vereins im Jahr 2002. Nach 19 Jahren und viel politischer Arbeit haben wir es dann endlich geschafft und darauf sind wir auch wahnsinnig stolz.
Anastasia Biefang ist Aktivistin für queere Angelegenheiten. Als erste transgeschlechtliche Person innerhalb der Bundeswehr hat sie auch den stellvertretenden Vorsitz von QueerBw inne, einer Interessengemeinschaft aller schwulen, lesbischen, trans- und intergeschlechtlichen Angehörigen der Bundeswehr. Aktuell leitet sie das des Kommando Cyber- und Informationsraum.
Auf dem diesjährigen Personalmanagementkongress wird sie am 30. September von 10:05 bis 10:35 eine Keynote mit dem Titel „Einhorn im Flecktarn“ halten.
Weiter Informationen zum PMK finden Sie hier.
Ihr eigenes berufliches Coming-out hatten Sie vor sieben Jahren. Denken Sie, ein Outing bei der Bundeswehr ist inzwischen leichter?
Das Coming-out innerhalb der Bundeswehr ist ganz oberflächlich betrachtet einfacher geworden. Denn gegenwärtig besteht die Kenntnis, dass es queere Menschen unter den Angehörigen gibt und dass deren Interessen vertreten werden müssen und ein sicheres Umfeld geschaffen werden muss, in dem ein Outing nicht mehr mit potenziell negativen Konsequenzen verbunden ist. Leicht wird das eigene Outing aber nie werden, denn dabei handelt es sich um eine höchst persönliche Entscheidung, die jede betroffene Person für sich selbst fällen muss. Ich möchte mein Coming-out nicht als etwas Besonders herausstellen, aber Einzelfälle wie meiner erzeugen Sichtbarkeit und eine Offenheit im Diskurs. Ein umfassender Kulturwandel wird aber nicht einfach über Nacht passieren, dafür braucht es Zeit und Aufklärung. Die Bundeswehr befindet sich aktuell inmitten eines Prozesses und ist, auch angesichts der langjährigen queerfeindlichen Geschichte, noch nicht am Ende des Weges angekommen.
Wie begegnen Sie externen Stimmen, die einen Widerspruch im Queersein und der Tätigkeit für die Bundeswehr sehen?
Ich respektiere es, wenn Menschen Vorbehalte gegenüber einer Organisation mit einer derartigen Diskriminierungsgeschichte haben und sich fragen, wie ich mich als queeres Individuum in einer derart männlich geprägten Institution entfalten kann. Selbst die Gleichberechtigung von Mann und Frau und damit die Öffnung der Laufbahnen für Frauen in allen Bereichen wurde erst durch eine externe juristische Verpflichtung ermöglicht, nämlich einen EU-Gerichtsentschluss von 2001. Es liegt an der Bundeswehr selbst, zu beweisen, dass sie auch offen und vielfältig sein kann. Dafür reicht das Hissen einer Regenbogenflagge nicht aus, sondern es müssen effektive Maßnahmen ergriffen werden, die auch nach außen wirken. Eine umfassende Diversitystrategie wäre eine entsprechend sichtbare Maßnahme zum Beispiel. Auch die verbindliche Aufnahme dieses Themas in der Aus- und Weiterbildung für alle Soldatinnen und Soldaten ist ein Weg hin zu einer offenen und wertschätzenden Kultur.
Wie unterstützt die Bundeswehr als Arbeitgeber die persönliche Entfaltung der queeren Angehörigen?
Derzeit gibt es noch keine umfassende Perspektive für queere Bedürfnisse, egal ob wir über psychische Unterstützung oder Gesundheitsvorsorge sprechen. Es gibt zwar Gleichstellungsbeauftragte in den Dienststellen, diese sprechen aber nicht nur für queere Interessen. QueerBw fordert sich eine Diversity-Beauftragte oder einen Diversity-Beauftragten, die oder der die Vielfaltsdimension im Blick haben und damit auf die Bedürfnisse unsere Angehörigen eingehen und gemeinsam mit uns gestalten können.
Wie könnte das aussehen?
Zum Beispiel in der medizinischen Versorgung von transgeschlechtlichen Menschen innerhalb der Bundeswehr. Die Begleitung des Transitionsprozesses kann hier noch deutlich mehr auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ausgerichtet werden. Dies stellt einerseits die erfolgreiche Transition sicher und gewährleistet zudem der Bundeswehr die Einsatzbereitschaft ihrer Soldatinnen und Soldaten. Um derartige Strukturen aber zu etablieren, braucht es für jede Organisation den Austausch mit Betroffenen, da die Bedürfnisse und Anforderungen so vielfältig sind wie die Individuen. Jedes Unternehmen und jede Institution muss sich also an der Vielfalt seiner Beschäftigten orientieren und diese in seinen Handlungen und Angeboten für die Belegschaft abbilden. Die Bundeswehr ist hier noch nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg.
In welchen Bereichen besteht außerdem noch Verbesserungsbedarf?
Nehmen wir das dritte Geschlecht, stellvertretend für die gesellschaftlich existierende Geschlechtervielfalt. Hier hat die Bundeswehr, Stand heute, es immer noch nicht geschafft, diese Option in das Personalwirtschaftssystem einzutragen und wir können nur zwischen weiblich und männlich auswählen. Aktuell besteht jedoch wenigstens die Absicht, diese Auswahloption bis Ende des Jahres zu ergänzen. Dann wiederrum ergibt sich aber die Frage rund um die Art und Weise der Anrede. Die Bundeswehr lässt sich weiterhin von einer binären Perspektive leiten. Von „Sehr geehrte Damen und Herren“ wegzukommen, scheint da aktuell noch unmöglich, da ja auch das äußere Erscheinungsbild, geprägt durch die Uniformen, nur Frauen und Männer bedenkt. Unser Verein fordert, dass man sich um ergänzende Maßnahmen Gedanken macht, ganz unabhängig davon, wie viele Angehörige den Geschlechtseintrag divers haben. Denn die Wertschätzung fängt ja bei jedem Individuum einzeln an, und nicht erst bei einer Gruppengröße von zehn oder hundert.
Und wann wird die Bundeswehr damit anfangen, Dienstgrade zu gendern?
Hierzu erreicht mich immer wieder das Gegenargument, dass die Zuschreibung eines Geschlechts die Organisation spalten, an Geschlechtergrenzen teilen würde. Meiner Meinung nach, würde eine Frau Oberstleutnantin statt einer Frau Oberstleutnant jedoch nicht das Gefühl von Einheit mindern. An anderen Stellen, wie in der Verwaltung sind bereits geschlechterspezifische Bezeichnungen eingeführt. Würden wir beginnen Dienstgrade zu gendern, würde dies zu einem ganz normalen Alltag werden, der die geschlechtliche Vielfalt am Arbeitsplatz Bundeswehr verdeutlicht. Die Ansprache mit gegenderten Dienstgraden würde nicht das innere Gefüge der Bundeswehr zerstören, sondern Teile der Persönlichkeiten sichtbar machen. Doch die Diskussion wurde bereits vor zwei Jahren beendet, daher können wir sie aktuell leider gar nicht führen.
Auch Sie sind Führungskraft. Welche Leitlinien verfolgen Sie selbst, um ein inklusives Umfeld zu gewährleisten?
Meine oberste Priorität ist es, authentisch zu sein. So bleibe ich immer gerecht und lebe ein emanzipiertes Menschenbild vor. Meine Authentizität ist mit meinem Outing natürlich maßgeblich gestiegen. Endlich kann ich so sein, wie ich bin. Die Kraft, die ich jahrelang investiert habe, um einen Teil meiner Persönlichkeit und Identität zu verstecken, muss ich nun nicht mehr aufbringen und kann mich auf deutlich schönere Dinge konzentrieren. Als Führungskraft versuche ich seitdem, ein Umfeld zu schaffen, in dem wir Themen wie die eigene Lebensführung und das gelebte Bild eines Soldaten oder einer Soldatin besprechen und gegenwärtig gelebte Standards gemeinsam infrage stellen können.
Reagiert die Bundeswehr adäquat auf interne queer-feindliche oder menschenverachtende Äußerungen und Handlungen der Angehörigen?
Darauf reagiert nicht die Bundewehr als Ganzes, denn in solchen Fällen sind einzelne Vorgesetze in der Verantwortung, die bei Verfehlungen entsprechende Maßnahmen ergreifen müssen. Und genauso wie wir Rechtsradikalismus nicht tolerieren, wird auch Queerfeindlichkeit nicht toleriert. Die Frage ist eher, ob die Bundewehr als Arbeitgeber ein Umfeld schafft, in dem Opfer von Diskriminierung sich trauen, vorzutreten und die Geschehnisse im Austausch mit Vorgesetzten zu thematisieren. Wir brauchen also wieder um Offenheit und Sichtbarkeit. Dadurch entsteht eine Normalität, die Diskriminierung systematisch verurteilt und zur absoluten Ausnahme macht.