Egg Freezing: Ein Corporate Benefit zum Zeit anhalten?

Fertilitätsmanagement

Die Eizelle. Sie ist Trägerin des mütterlichen Erbgutes und mit 0,01 Zentimeter Durchmesser die mit Abstand größte Zelle im menschlichen Organismus. Kaum sichtbar für das bloße Auge, sorgt sie dennoch für viel Furore. Wie im Fall der damaligen Facebook-CEO Sheryl Sandberg, die 2014 das Einfrieren von Eizellen ihrer Beschäftigten finanziell bezuschussen wollte. Medien sprachen von der Ausbeutung des weiblichen Arbeitskräftepotenzials. Der natürlichste Prozess überhaupt werde unnatürlich beendet, hieß es, und Frauen im Silicon Valley seien besessen von ihrer Karriere.

Die Entscheidung, eine Familie gründen zu wollen, schneidet unweigerlich in den beruflichen Werdegang einer Person ein. Denn während die Masterabsolventinnen und -absolventen mit einem Durchschnittsalter von 27,1 Jahren immer jünger werden, steigt das Alter erstgebärender Frauen. Laut der EU-Statistikbehörde Eurostat liegt das Durchschnittsalter deutscher Erstmütter mit 30,1 Jahren im oberen Drittel der EU-Länder. Eine Erklärung dafür ist unter anderem, dass die Gründung einer Familie finanzieller Sicherheit bedarf. Im Schnitt kostet die Versorgung eines Kindes 763 Euro monatlich, wie das Statistische Bundesamt ermittelte. Diese Summe kann jemand, der keinen festen Fuß im Arbeitsleben hat, kaum aufbringen.

Medizinischer Konsens ist, dass die weibliche Fruchtbarkeit mit Mitte 20 ihren Höhepunkt erreicht. Ab dem 30. Lebensjahr verringert sich die Anzahl gesunder Eizellen, ab dem 35. Lebensjahr sogar maßgeblich. Angesichts dieses zeitlichen Dilemmas stellt die Fertilitätsprotektion eine Lösung dar. Egg Freezing begann aus dem Bestreben heraus, die Fruchtbarkeit junger Krebspatientinnen aufrechtzuerhalten. Denn eine Strahlen- oder Chemotherapie führt oft zur Unfruchtbarkeit. Aber nicht nur Krebspatientinnen, sondern Frauen allgemein sind im Laufe ihres Lebens von einer Reduktion und Qualitätsminderung ihrer Eizellen betroffen.

Die Lösung könnte so einfach sein

Marcia Inhorn ist medizinische Anthropologin und Professorin für Anthropologie und internationale Angelegenheiten an der Yale University. Sie sieht für dieses Problem eine einfache Lösung: Die Kryokonservierung, die sie als „Technologie der neuen Hoffnung“ bezeichnet, die ein erster Schritt für eine spätere In-vitro-Fertilisation ist. Die Patientin nimmt Hormone ein, um die Eizellenbildung zu stimulieren. Die Eizellen werden dann im unbefruchteten Zustand entnommen, bei minus 196 °C eingefroren und in Kryobehältern in flüssigem Stickstoff gelagert. Das stoppt den Alterungsprozess der Zellen und erhält ihre chromosomale und biologische Beschaffenheit. In diesem Zustand können die Zellen über Jahrzehnte hinweg gelagert werden. Den passenden Moment zum Auftauen entscheidet die Patientin dann selbst. Die jeweiligen Eizellen werden, wenn es so weit ist, künstlich mit Samenzellen befruchtet und in die Gebärmutter der Frau eingesetzt. Eine wunderbare Möglichkeit, wie Inhorn findet, die jedoch leider überwiegend falsch interpretiert wird.

Auch aufgrund dieser Fehlinterpretationen hat sich Inhorn für ihr Buch Motherhood on Ice. The Mating Gap and Why Women Freeze Their Eggs mit 150 Frauen unterhalten, die sich für eine Kryokonservierung entschieden haben. Dass die jungen Frauen ihren beruflichen Ambitionen nacheifern wollen, von ihren Arbeitgebern zum Egg Freezing gedrängt werden oder einfach „ein bisschen Göttin spielen“ wollen, hat sich in ihren Gesprächen nicht ansatzweise bestätigt. Vielmehr wollten viele Betroffene die biologische Zeit anhalten, da die gegenwärtigen Gegebenheiten für die Gründung einer Familie nicht optimal seien. Fast alle der im Buch vorgestellten und anonymisierten Frauen befanden sich zum Zeitpunkt der Interviews in keiner Partnerschaft, für ein Kind fehlte ihnen schlicht der passende Partner.

Einsam unter Zweisamen

Für Frauen mit Kinderwunsch werden die Umstände derzeit aber nicht günstiger. So können in den vereinigten Staaten 27 Prozent mehr Frauen als Männer einen akademischen Abschluss vorzeigen, da sich immer mehr Männer zu einem früheren Zeitpunkt als Frauen für einen Berufseinstieg entscheiden. Schlussendlich bedeutet dies dann für die heterosexuellen Frauen, dass es schwieriger wird, auf einen gleichwertig gebildeten Partner zu treffen. Hinzu kommt für Inhorns Interviewpartnerinnen dann noch die Wahrnehmung, dass viele Männer dem höheren Einkommen oder Bildungsgrad von Frauen mit gewissen Ressentiments begegnen. Die Diskrepanz zwischen bindungswilligen Frauen und bindungszögerlichen Männern bezeichnet Inhorn als Mating gap.

Diese „Paarungslücke“ kann jedoch nicht alles erklären. Denn in Deutschland fällt die Lücke weitaus kleiner aus: Lediglich zwei Prozent mehr Frauen als Männer haben hier einen höheren akademischen Abschluss. Trotzdem bleiben ähnliche Probleme bestehen. So auch bei Jenny Saft, Co-Gründerin der Fertility-Benefits-Plattform Apryl, die nach beruflichem Aufenthalt in San Francisco nach Deutschland zurückkehrte. Sie hatte zwar keinen festen Partner und zu diesem Zeitpunkt auch keinen Kinderwunsch, wollte sich die Option zur Familiengründung aber durchaus für die Zukunft offenhalten. Deshalb ließ sie ihre Eizellen vorsorglich einfrieren. Die darauffolgenden Beratungsgespräche lösten jedoch nur Frustration in ihr aus. „Egg Freezing ist ein sehr teures Investment in sich selbst, da erwartet man auch einen gewissen Service. Und oft bedarf es eben nicht nur eines medizinischen Fachgespräches, sondern vor allem einer Analyse der momentanen Lebenssituation und inwieweit das Einfrieren der Eizellen überhaupt das Richtige für einen ist.“

Anders als bei Krebs- oder Rheumapatientinnen ist die Kryokonservierung aus sozialen Gründen nicht im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen enthalten. Für Leistungen wie Beratung, Stimulationsbehandlung, Eizellentnahme und Kryokonservierung fallen Kosten um die 2.500 bis 3.000 Euro an. Hinzu kommen dann die Lagerungskosten für die eingefrorenen Eizellen, die sich pro Halbjahr auf knapp 150 Euro belaufen. Um die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen künstlichen Befruchtung zu erhöhen, müssen sich viele Frauen einer mehrfachen Eizellentnahme unterziehen. Am Ende summieren sich die Kosten in den meisten Fällen auf 10.000 bis 20.000 Euro. Für Marcia Inhorn steht an dieser Stelle fest: „Der Kostenfaktor bestimmt, wer sich fortpflanzen kann und wer nicht.“
Wer die Ressourcen hat, sich umfassend beraten zu lassen, ist hier im Vorteil. Wie Saft bemängelten auch Inhorns Gesprächspartnerinnen eine unzureichende Beratung. „Die eigene Fruchtbarkeit gehört bei alleinstehenden Frauen in den wenigsten Fällen zur medizinischen Beratung, die man durch die behandelnde Gynäkologin oder den behandelnden Gynäkologen erhält. Das ist ein Problem.“ Viele ihrer Interviewpartnerinnen erhielten erst spät den Hinweis auf das bevorstehende „Verfallsdatum“ ihrer Eizellen – oft in einem Moment, in dem es fast schon zu spät war.

Teure Vorteile über teure Nachteile

Aus diesen Erfahrungen heraus gründeten die ehemalige Telekom-Mitarbeiterin Saft und ihr Geschäftspartner Tobias Kaufhold 2019 das Fertility-Start-up Apryl. In der Gründungsphase berieten sie interessierte Frauen zu Egg Freezing noch direkt. Vor zwei Jahren verlagerten sie ihr Geschäft in den B2B-Bereich – und zum größten Teil nach Großbritannien. „Dort ist das Thema Mitarbeitenden-Benefits grundsätzlich besser aufgestellt und Fertilitätsthemen haben dort größeres Gewicht. Unternehmen ahnen, dass sie sich dort bald stärker engagieren müssen“, erläutert Saft. Obwohl sie die Nachfrage an Fertility Benefits noch am Anfang einer ansteigenden Kurve verortet, müssten Unternehmen bereits jetzt lernen, für diese Zusatzleistungen ein Budget einzuplanen, und sollten überlegen, welche konkreten Ziele sie damit verfolgen möchten: „Möchten sie mehr Talente anlocken, Mitarbeitende binden oder mehr Frauen in Führungspositionen fördern?“ Dass Fruchtbarkeits- und Familienplanungsthemen für Betriebe nun auch in Europa als Benefits relevanter werden, merkt sie vor allem daran, dass sich mehr Branchen dafür öffnen. In den Vereinigten Staaten seien es nicht mehr ausschließlich Techfirmen, Beratungen oder Kanzleien, sondern auch Supermarktketten, die Fertility Benefits zu ihrem Benefits-Repertoire zählen. Eine Entwicklung, von der nun auch Beschäftigte profitieren könnten, die sonst keine hohen Gehälter beziehen.

Bislang haftet dem teuren, im Silicon Valley geborenen Benefit Egg Freezing ein durchaus elitäres Image an. Wohl nicht ganz zu Unrecht: Laut der repräsentativen Studie Ungewollte Kinderlosigkeit 2020 im Auftrag des Bundesfamilienministeriums lassen vor allem die einkommensreichsten zehn Prozent der Deutschen Eizellen einfrieren, um bei der Lebens- und Familienplanung flexibel zu bleiben.

Arbeitgeber als Pateneltern?

In der Debatte stößt man immer wieder auf das Argument, Unternehmen würden Kryokonservierung als Corporate Benefit anbieten, damit Frauen zugunsten ihrer Karriere auf Kinder verzichten. Jenny Saft hält dagegen: „Facebook hat damals nicht nur das Egg Freezing bezahlt, sondern beispielsweise auch von Anfang an bei Adoptionen unterstützt. Denn Arbeitgeber wissen, dass sie eh nicht verhindern können, dass ihre Angestellten Eltern werden.“ Unternehmen sind oft direkt mit den Problemen ihrer Angestellten mit Kinderwunsch oder mit Kindern konfrontiert. Sie wissen um die täglichen Herausforderungen, die mit dem Versuch der Vereinbarkeit von Kind und Karriere einhergehen, und spüren ebenfalls unmittelbar, was ein unerfüllter Kinderwunsch mit der Lebensqualität einer Person anrichten kann.

Jenny Saft sieht vor allem die Politik in der Verantwortung: „Es ist die Aufgabe eines Staates, eine moderne Familienpolitik zu betreiben, er tut es aber nicht.“ Um diese Lücke zu schließen, können Unternehmen selbst Vorreiter sein, indem sie den Status quo hinterfragen und verschieben.

Doch die Sachlage hat sich seit mittlerweile neun Jahren kaum verändert. Die Gewerkschaften bewerten die Kostenübernahme für die Kryokonservierung durch die Unternehmen weiterhin kritisch. Der Deutsche Gewerkschaftsbund wollte sich auf Nachfrage nicht zum Thema äußern. Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände hält weiterhin an ihrer Position von 2014 fest, dass deutsche Arbeitgeber sich nicht in die Familienplanung der Arbeitnehmenden einmischen sollten.

Doch die Realität der Arbeitswelt mischt sich täglich in die individuelle Familienplanung ein. Denn was bedeutet Elternsein heutzutage? Es ist nur eine Option, eine mögliche Rolle von vielen: Wir sind Arbeitnehmende, Freundinnen, Partner, pflegen unsere Eltern, wollen uns ehrenamtlich engagieren, die Welt entdecken und sie erhalten. Auch Elternsein ist eine Option, die fest zum Narrativ des Erfolgs und eines erfüllten Lebens gehört, doch ein gewisses Verfallsdatum hat. Mit Egg Freezing können Frauen zumindest etwas länger daran festhalten. „Ein Großteil der Bevölkerung verspürt irgendwann im Leben einen Kinderwunsch und ein Großteil eben dieser Bevölkerung arbeitet. Wie soll man diese Lebensbereiche überhaupt voneinander trennen können?“, gibt Apryl-Gründerin Saft zu Bedenken. „Es geht doch vielmehr darum, wie wir eine Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Familie schaffen können.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Investition. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer

Charleen Rethmeyer ist Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager. Dort absolvierte sie zuvor ebenfalls ihr Volontariat. Die Berlinerin hat einen Bachelorabschluss in Deutsche Literatur sowie Kunst- und Bildgeschichte und arbeitete mehrere Jahre freiberuflich für mehrere Berliner Verlage. Sie schreibt mit Vorliebe Features und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Zukunft der Arbeitswelt.
Jasmin Nimmrich, Volontärin Human Resources Manager

Jasmin Nimmrich

Volontärin
Quadriga Media GmbH
Jasmin Nimmrich war Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Zuvor hat sie einen Bachelor in Politik und Wirtschaft an der Universität Potsdam abgeschlossen.

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