Wird am Ende eines Kündigungsschutzprozesses festgestellt, dass die Kündigung unwirksam war, so bestand das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber unverändert fort. Während dieser Zeit entsteht ebenfalls der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber, da das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) für das Entstehen von Urlaubsansprüchen lediglich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, nicht aber eine tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer voraussetzt.
Dieser Entstehungsautomatismus erweist sich jedoch in den Fällen als problematisch, in denen sich der betroffene Arbeitnehmer während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses eine weitere Anstellung bei einem anderen Arbeitgeber sucht und sich die durch seinen alten Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung am Ende des Kündigungsschutzprozesses als unwirksam herausstellt. In diesen Fällen entsteht ein sogenanntes Doppelarbeitsverhältnis: Der Arbeitnehmer steht sowohl in einem Arbeitsverhältnis mit seinem alten Arbeitgeber, da dessen Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, als auch in einem Arbeitsverhältnis mit seinem neuen Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer hat somit grundsätzlich gegenüber beiden Arbeitgebern jeweils einen eigenen Urlaubsanspruch. Dabei ist es für die Entstehung des Anspruchs unerheblich, dass der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig hätte erfüllen können.
Allerdings stehen nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 5. Dezember 2023 (9 AZR 230/22) in solchen Konstellationen die beiden Urlaubsansprüche nicht beziehungslos nebeneinander. Sattdessen ist der durch den neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub auf den gegen den alten Arbeitgeber gerichteten Urlaubsanspruch anzurechnen, wodurch Urlaubsansprüche in doppelter Höhe vermieden werden sollen.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit dem 1. Dezember 2014 bei dem Beklagten angestellt. Am 23. Dezember 2019 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage der Klägerin hatte Erfolg, sodass rechtskräftig festgestellt wurde, dass das Arbeitsverhältnis fortbestand. Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten wurde erst vor Ablauf des Monats Mai 2021 durch eine weitere außerordentliche Kündigung wirksam beendet.
Während des Rechtsstreits gegen die Kündigung vom 23. Dezember 2019 ging die Klägerin am 1. Januar 2020 eine Anstellung bei einem neuen Arbeitgeber ein. Dort nahm sie im Jahr 2020 an 25 Arbeitstagen und vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Mai 2021 an zehn Arbeitstagen Urlaub.
Die Klägerin beanspruchte vom Beklagten nun die Abgeltung von insgesamt sieben Arbeitstagen vertraglichen Mehrurlaubs (fünf Arbeitstage aus dem Jahr 2020 und zwei Arbeitstage aus dem Jahr 2021).
Urlaub ist beim bisherigen Arbeitgeber anzurechnen
Nach der Entscheidung des BAG steht der Klägerin der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch gegen ihren alten Arbeitgeber nicht zu, da der durch den neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub anzurechnen ist, wodurch der Urlaubsanspruch gegen den alten Arbeitgeber erloschen ist. Das Gesetz trifft zwar keine Regelung über die Anrechnung von Urlaubsansprüchen für den Fall, dass ein Arbeitnehmer, dessen alter Arbeitgeber ihn aufgrund einer unwirksamen Kündigung nicht beschäftigt, mit einem neuen Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis eingeht, ohne die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen erfüllen zu können. Insbesondere findet Paragraf 6 Absatz 1 BUrlG auf diese Konstellation keine Anwendung, da dieser den Umgang mit Urlaubsansprüchen bei aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen zum Gegenstand hat, nicht aber den Umgang mit Urlaubsansprüchen im Falle eines Doppelarbeitsverhältnisses. Das BUrlG verfolgt jedoch nicht die Absicht, dem Arbeitnehmer zu einer Verdoppelung seiner Urlaubsansprüche zu verhelfen, wenn er die Arbeitspflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht kumulativ hätte erfüllen können. Um dieser Wertung des BUrlG Genüge zu tun, schließt das BAG die bestehende Regelungslücke durch eine analoge Anwendung von Paragraf 11 Nummer 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und Paragraf 615 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Beide Vorschriften regeln zwar eigentlich Fälle des Annahmeverzuges für Entgeltansprüche, verfolgen jedoch das Ziel, dass der Arbeitnehmer bei seinem Obsiegen im Kündigungsschutzrechtsstreit wirtschaftlich so gestellt wird, als sei das Arbeitsverhältnis ohne Rechtsstreit durchgeführt worden. Der Arbeitnehmer soll (finanziell) weder besser noch schlechter gestellt sein. Dieser Rechtsgedanke findet nach der Rechtsprechung des BAG auch auf Urlaubsansprüche Anwendung. Was für den Arbeitsverdienst gilt, ist demnach auf den Urlaub – analog – zu übertragen. Im Falle eines Doppelarbeitsverhältnisses soll dem Arbeitnehmer ein Urlaubsanspruch in doppelter Höhe nicht zuteilwerden, sondern er ist so zu stellen, als sei das Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung durch die Kündigung durchgeführt worden.
Nach der Entscheidung des BAG ist jedoch zu beachten, dass der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub kalenderjahresbezogen ausgestaltet ist. Der Vergleich zwischen dem im Arbeitsverhältnis mit dem alten Arbeitgeber entstandenen Urlaub und dem im neuen Arbeitsverhältnis gewährten Urlaub ist stets bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr vorzunehmen. Diese kalenderjahresbezogene Anrechnung gilt nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn sich aus den Regelungen im Arbeitsvertrag nicht die Intention ableiten lässt, dass der vertragliche Mehrurlaub einer Anrechnung entzogen ist.
Praxishinweis
Das Urteil des BAG knüpft nahtlos an seine Entscheidung aus dem Jahr 2012 (9 AZR 487/10) an. Bereits damals hatte das BAG entschieden, dass eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen bei Doppelarbeitsverhältnissen zu erfolgen hat. Die nun vorgenommene kalenderjahresbezogene Beschränkung ist eine überzeugende und konsistente Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung. Das BAG hat durch seine Entscheidung die spezifischen Anforderungen des BUrlG angemessen berücksichtigt. Arbeitgeber sollten daher bei doppelten Arbeitsverhältnissen die Möglichkeit der Anrechnung von Urlaubsansprüchen stets im Blick behalten.
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