Die neue Bundesregierung ist nun seit gut einem Monat im Amt und noch hat der Koalitionsvertrag Bestand. Das Dokument hält einiges bereit, das auch für HR wichtig wird. Ein Überblick.
Das in der Geschichte der Bundesrepublik langwierigste Verfahren einer Regierungsbildung ist abgeschlossen. Nach einem kurzen und erfolglosen Umweg über Jamaika ist der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU beschlossene Sache, die Ministerien sind besetzt. Was haben HR-Abteilungen von der neuerlichen Großen Koalition zu erwarten? Ein Blick in den Koalitionsvertrag gibt Aufschluss über die von der Regierung avisierte Agenda in Sachen Arbeitsrecht. Das Teilzeit- und Befristungsrecht – ein Dauerbrenner in der Personalarbeit – wird umfassend neu geregelt. Nicht nur werden dadurch Flexibilisierungsmöglichkeiten für die Unternehmen beschränkt, sondern auch administrativ große Herausforderungen aufgestellt. In organisatorischer Hinsicht ist für Unternehmen insbesondere der geplante Anspruch auf eine befristete Teilzeit spannend, zumal in Zeiten eines stetig zunehmenden Personalbedarfs/ Fachkräftemangels. Auch arbeitszeit- und betriebsverfassungsrechtlich hat die neue GroKo im Koalitionsvertrag Themen verankert. Die Zukunftsthemen „Digitalisierung der Arbeitswelt/ Arbeit 4.0“ werden in diesem Zusammenhang allerdings nur gestreift, obwohl diese Themen das HR-Umfeld derzeit sicherlich am meisten umtreiben.
Das für HR-Manager relevante Programm der Regierung hat es in sich und stellt sich im Einzelnen wie folgt dar.
1. Teilzeit und Befristungsrecht – Verlust an Flexibilisierung.
Der Fokus der arbeitspolitischen Bestrebungen der GroKo liegt auf dem Teilzeit- und Befristungsrecht.
Befristete Arbeitsverträge ohne Sachgrund sollen zukünftig auf 18 statt 24 Monate begrenzt werden. Zudem soll bis zu dieser Gesamtdauer nur noch eine einmalige statt der derzeit geltenden dreimaligen Verlängerung möglich sein. Überdies wird eine von der Unternehmensgröße abhängige Quote für die Beschäftigung von sachgrundlos Befristeten eingeführt. Betriebe mit mehr als 75 Arbeitnehmern dürfen nur noch maximal 2,5 Prozent der Arbeitnehmer sachgrundlos befristen. Diese geplante Gesetzesänderung würde de facto zu einer Abschaffung der sachgrundlosen Befristung für größere Unternehmen führen. Beschäftigt ein Unternehmen beispielsweise 1.000 Arbeitnehmer, so könnten lediglich die Arbeitsverträge mit 25 Arbeitnehmern wirksam sachgrundlos befristet werden. Jede weitere sachgrundlose Befristung wäre unwirksam, mit der Folge eines entsprechend unbefristeten Arbeitsvertrages.
Anders als bisher, soll auch die Dauer von Befristungen mit Sachgrund gesetzlich auf maximal 5 Jahre begrenzt werden. Eine Befristung soll künftig nicht zulässig sein, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben. Dabei sollen auch Zeiten angerechnet werden, in denen Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber zuvor über ein Zeitarbeitsunternehmen im Wege der Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt wurden. Auch diese geplante Änderung würde zu einer Einschränkung des Flexibilisierungsinstruments „Befristung“ führen. Lediglich die offenbar von den Großkoalitionären angedachte Kodifizierung einer dreijährigen Karenzzeit zwischen den Befristungen, nach Ablauf derer eine erneute Befristung möglich sein soll, wäre ein Trostpflaster für die HR-Abteilungen und deren Flexibilisierungsbedarf.
2. Befristeter Teilzeitanspruch – Organisatorische Herausforderung
Arbeitnehmer in Unternehmen mit 45 oder mehr Arbeitnehmern sollen künftig ein Recht auf befristete Teilzeit erhalten. Insbesondere der damit verbundene Anspruch nach Ablauf der befristeten Teilzeit in die Vollzeit zurückzukehren, stellt Arbeitgeber vor große organisatorische Herausforderungen. Denn wegen des Rückkehrrechtes in Vollzeitz kann der Arbeitgeber die durch die befristete Teilzeit entstandene Vakanz nur mit einem befristeten Arbeitsverhältnis in Teilzeit ausfüllen. Anderenfalls hätte er nach der Rückkehr in Vollzeit eine Doppelbesetzung der Stelle zu befürchten. Bei der derzeitigen Lage am Arbeitsmarkt (Stichwort: Fachkräftemangel), dürfte es Unternehmen jedenfalls bei höherqualifizierten Tätigkeiten schwer fallen, eine Position befristet und das auch noch mit geringerem Stundenvolumen zu besetzen. Für kleinere Unternehmen (46 bis 200 Arbeitnehmern) beabsichtigt die GroKo eine Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber einzuführen, die allerdings nur schwer nachvollzogen werden kann. Nach dem Koalitionsvertrag muss „einem pro angefangenen 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anspruch auf befristete Teilzeit gewährt werden.“ Anträge weiterer Arbeitnehmer sollen abgelehnt werden können. Wenn mit dem vorstehenden Programmsatz gemeint sein soll, dass der Arbeitgeber nur einem von 15 Arbeitnehmern den Anspruch auf befristete Teilzeit gewähren muss, bleibt derzeit noch unklar nach welchen Kriterien der jeweils Anspruchsberechtigte pro 15 Arbeitnehmer ausgewählt werden soll.
3. Arbeitszeit – Verlagerung auf die Tarifpartner
Das bereits vor der Wahl heiß diskutierte Thema Arbeitszeit will die Regierung wohl den Tarifpartnern überlassen. In das Arbeitszeitgesetz soll eine Tariföffnungsklausel eingefügt werden, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität zu erproben. Hiermit sollen für tarifgebundene Unternehmen „Experimentierräume“ geschaffen werden. Insbesondere soll auf Basis dieser Tarifverträge auch die wöchentliche Höchstarbeitszeit durch Betriebsvereinbarungen weiter flexibilisiert werden können. Hiermit könnte die Koalition den Weg für eine wöchentliche Betrachtung der zulässigen Höchstarbeitszeit, so wie es in der EU-Arbeitszeitrichtlinie bestimmt ist, ebnen. Das deutsche Arbeitszeitgesetz sieht derzeit eine tägliche Höchstarbeitsgrenze von maximal zehn Stunden vor, was insbesondere in der IT-/Tech-Branche als zu starr betrachtet wird.
Ob die Tariföffnung wirklich das probate Mittel ist, um sich den Anforderungen der „Arbeitswelt 4.0“ stellen zu können, muss in Ansehung der bisherigen Tariflandschaft zum Thema Arbeitszeit abgewartet werden.
4. Betriebsverfassungsrecht – Erleichterung der Wahl von Betriebsräten
Das vereinfachte Wahlverfahren nach § 14a BetrVG soll zukünftig für Betriebe mit fünf bis 100 Arbeitnehmern zwingend gelten – bisher lag der Schwellenwert bei 50 Arbeitnehmern. Für Betriebe mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern sollen wahlweise das vereinfachte oder das allgemeine Wahlverfahren Anwendung finden. Hierdurch werden Betriebsratswahlen vereinfacht. Ob dies in der Praxis die offenbar von den Koalitionspartnern gewünschte vermehrte Wahl von Betriebsräten zur Folge haben wird, erscheint fraglich.
5. Arbeiten 4.0
Zu diesem für die HR-Abteilungen wichtigsten Zukunftsthema geht der Koalitionsvertrag nicht über bloße Programmsätze hinaus („Wir wollen mobile Arbeit fördern und erleichtern“). Der Arbeitnehmer soll einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber haben, sollte dieser mobile Arbeit ablehnen. Arbeitnehmer sollen durch einen verbesserten Beschäftigtendatenschutz vor „dem gläsernen Arbeitnehmer“ geschützt werden. Schließlich sollen neue Geschäftsmodelle gefördert und gleichzeitig die Tarifbindung gestärkt werden. Bei dem so wichtigen Thema Digitalisierung/Arbeiten 4.0 bleibt die GroKo also sehr vage.
6. Werk-/ Dienstverträge und Arbeitnehmerüberlassung
Die durch die letzte Regierung initiierte Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) und die damit einhergehende massive Rechtsunsicherheit bei der Beschäftigung von Fremdpersonal hat die Unternehmen zuletzt vor große Herausforderungen gestellt. Wer gehofft hatte, die neue GroKo werde die gröbsten Belastungen für Unternehmen im AÜG reparieren und eine zur Rechtsklarheit beitragende Abgrenzungsregel zwischen Werk-/ Dienstverträgen einerseits und Arbeits-/ Arbeitnehmerüberlassungsverträgen andererseits implementieren, wird durch den Koalitionsvertrag enttäuscht. Denn anders als in den Sondierungsgesprächen vorgesehen, soll die Evaluierung des AÜG nicht bereits im Jahr 2019, sondern erst im Jahr 2020 stattfinden.
Auch eine Abgrenzungsregel zwischen selbständiger und unselbständiger Beschäftigung findet sich nicht im Koalitionsvertrag. Die GroKo beabsichtigt lediglich eine Vereinfachung des Statusfeststellungsverfahrens für Selbständige. In der Praxis hat sich das Statusfeststellungsverfahren angesichts langer Verfahrensdauer und nicht immer widerspruchfreien Entscheidungen durch die Clearing-Stelle der Deutschen Rentenversicherung als nur selten hilfreich erwiesen.
7. Compliance
Schließlich berührt auch die von der GroKo geplante Verschärfung von Unternehmenssanktionen die Tätigkeit von HR-Managern. Eine Vielzahl von Rechtsverstößen im Arbeitsrecht ist mit Bußgeldern und/ oder Straftatbeständen belegt. Die im Koalitionsvertrag geplante Erweiterung des Sanktionsinstrumentariums verdeutlicht daher abermals die Bedeutung von Compliance im HR-Bereich.
Bislang lag es im Ermessen der Behörde, ob auch das Unternehmen für Rechtsverstöße einzelner Mitarbeiter belangt wird (zum Beispiel der Arbeitsschutzbehörde für Arbeitszeitverstöße). Die GroKo beabsichtigt nun vom Opportunitätsprinzip des Ordnungswidrigkeitenrechts abzukehren. Die Behörden sind dann verpflichtet etwaige Rechtsverstöße zu ahnden, was Verhandlungslösungen mit den Behörden deutlich schwieriger gestalten wird. Auch das „Sanktionsinstrumentarium“ soll erweitert werden. Der Koalitionsvertrag begründet das damit, dass die bislang geltende Bußgeldobergrenze (10 Millionen!) für große Unternehmen zu gering bemessen ist. Die Höhe der Geldsanktion soll sich ähnlich der neuen Datenschutzgrundverordnung an der Wirtschaftskraft des Unternehmens bemessen. Die Höchstgrenze soll bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 100 Millionen Eure bei 10% des Umsatzes liegen.
8. Andeutung eines Paradigmenwechsel im Kündigungsschutzrecht
An versteckter Stelle im Koalitionsvertrag schlachtet die GroKo nicht weniger als eine heilige Kuh des deutschen Arbeitsrechts, nämlich den Grundsatz, dass der auf Bestandsschutz ausgerichtete Kündigungsschutz unabhängig vom Einkommen des Arbeitnehmers gilt. Finanzinstitute sollen sich von ihren „Risikoträgern“ im Sinne von § 2 Abs. 8 Institutsvergütungsverordnung leichter, nämlich wie von einem leitenden Angestellten im Sinne des Kündigungsschutz trennen können, sofern deren jährliche Grundvergütung das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung überschreitet (derzeit im Westen: 234.000 Euro, im Osten: 208.000 Euro). Der Antrag des Arbeitgebers auf gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung bedarf dann keiner Begründung mehr. Ein solcher Auflösungsantrag bei leitenden Angestellten knüpft nicht an deren Vergütung, sondern deren Stellung und Personalkompetenz im Unternehmen an.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelung nur dazu dient, den Standort Deutschland für Finanzinstitute in Ansehung des Brexits attraktiver zu machen – so die Begründung im Koalitionsvertrag – oder ob die GroKo einen Paradigmenwechsel im Kündigungsschutz einleitet und eine einkommensorientierte Abfindungslösung auch für andere Branchen einführt.
Fazit
Die zu erwartenden Änderungen im Teilzeit- und Befristungsrecht werden zu drastischen Einschränkungen für Arbeitgeber führen. Das Flexibilisierungstool Befristung wird sicherlich in der kommenden Legislaturperiode an Bedeutsamkeit erheblich einbüßen. HR-Abteilungen sind gut beraten, die Rechtsetzung der GroKo in diesem Bereich genau zu verfolgen.
Zu begrüßen ist, dass – jedenfalls bis nach Abschluss der für 2020 anstehenden Evaluierung – zumindest von weiteren Regulierungen des AÜG als weiterem Flexibilisierungsinstrument abgesehen wurde. Abzuwarten bleibt, welche konkreten Projekte der Gesetzgeber im Rahmen der Digitalisierung der Arbeitswelt angehen wird. Die Regelungen im Koalitionsvertrag zu den neuralgischen Punkten der „Arbeitswelt 4.0“ – Arbeitszeit, Arbeitsort, moderne Beschäftigungsformen á la Crowdworking etc. – sind noch wenig konkret.