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Arbeitsrecht

Im Sommer ist das neue Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen in Kraft getreten. Damit soll die Gleichstellung der Geschlechter bei der Vergütung erreicht werden. Doch zufriedenstellend sind die erlassenen Regelungen für keine der beiden Seiten.

Bereits der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als auch der Regierungsentwurf wurden in der einschlägigen Fachliteratur scharf kritisiert. Die Vorwürfe reichten von der Negation seiner als Begründung vorgebrachten Ursache, der sogenannten Gender Pay Gap, über die inhaltliche Ausgestaltung bis hin zur Vernachlässigung des grundlegenden juristischen Handwerkszeugs. Die Kritik ging sogar so weit, dass mancher Autor noch nach der Veröffentlichung des Regierungsentwurfs angeregt hat, das aktuelle Gesetzesvorhaben zu verwerfen und neu anzusetzen.

Die inhaltlichen Kritikpunkte an dem Gesetz sind derart zahlreich, dass eine detaillierte Zusammenfassung aller angegriffenen Punkte den Rahmen sprengen würde. Die Kritik lässt sich aber in vier übergeordnete Blöcke einteilen: die mangelhafte und unzureichende Ausgestaltung des individuellen Auskunftsanspruchs der Arbeitnehmer, die Rechtsfolgen bei der Verweigerung der Auskunft durch den Arbeitgeber, das voraussichtlich wirkungslose – weil freiwillige – Prüfverfahren der Arbeitgeber zur Entgeltgleichheit und, last but not least, der bürokratische Aufwand, den das Gesetz bei den betroffenen Arbeitgebern verursacht.

Der Auskunftsanspruch

In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber hat jede/r Beschäftigte grundsätzlich einen individuellen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber bezüglich des sogenannten Vergleichsentgelts. Der Auskunftsanspruch besteht allerdings nur, wenn die Beschäftigten eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit bestimmen und diese Tätigkeit von mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts ausgeübt wird. Der Anspruch umfasst auch die Kriterien zur Festlegung des Entgelts.

Allein die genannten Voraussetzungen werfen viele Fragen auf, die vom Gesetz nicht beantwortet werden. Während eine Definition der gleichen Tätigkeit noch gelingen mag, ist der Begriff der Gleichwertigkeit sehr unbestimmt und erklärungsbedürftig. Nach der gesetzlichen Definition soll eine gleichwertige Tätigkeit vorliegen, wenn weibliche und männliche Beschäftigte unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu diesen Faktoren sollen auch die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen zählen. Hinzu können Fertigkeiten, zu tragende Verantwortung oder die jeweilige Belastung kommen. An dieser Stelle ist Streit vorprogrammiert, denn der Arbeitgeber ist nicht zu einer Auskunft verpflichtet, wenn er die Tätigkeit für nicht vergleichbar hält.

Das vom Arbeitgeber zu benennende Vergleichsentgelt ist der „auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete statistische Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts“ vergleichbarer Arbeitnehmer des jeweils anderen Geschlechts. Bei tarifgebundenen oder tarifanwendenden Arbeitgebern genügt die Angabe des Vergleichsentgelts des anderen Geschlechts in der gleichen Entgeltgruppe.

Bei den anderen Arbeitgebern ist das Verfahren dagegen höchst kompliziert ausgestaltet. Zunächst ist die Vergleichsgruppe zu ermitteln. Diese besteht aus allen Beschäftigten, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Im zweiten Schritt muss der Arbeitgeber das durchschnittliche Bruttoentgelt eines jeden Beschäftigten in der Vergleichsgruppe berechnen, bei Teilzeitmitarbeitern hochgerechnet auf das Vollzeitäquivalent. Beim Bruttoentgelt sind neben dem Grundgehalt auch sämtliche zusätzlichen Entgeltbestandteile zu berücksichtigen, wie Sonderzahlungen, private Dienstwagennutzung, Überstundenzuschläge, Fahrtkostenzuschüsse. Die Liste kann mühelos fortgesetzt werden.

Anschließend muss der Arbeitgeber den Median – also nicht, wie etwa zu erwarten, den Durchschnitt – aus den ermittelten Bruttoentgelten bilden. Der Median ist der Wert, der in der Mitte steht, wenn die Beträge der Größe nach sortiert werden. Bei einer geraden Anzahl von Beträgen errechnet sich der Median aus der Hälfte der Summe der beiden in der Mitte liegenden Beträge. Das Abstellen auf den Median als anzugebenden Wert wurde zu Recht mehrfach heftig kritisiert. Er trifft keine Aussage über eine Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts. So ist es durchaus möglich, dass eine Arbeitnehmerin weniger verdient als der Median bei den männlichen Beschäftigten. Liegt sie aber gleichzeitig auch unter dem Median bei den weiblichen Beschäftigten, kann von einer Benachteiligung wegen des Geschlechts keine Rede sein. Denkbar ist auch, dass eine Frau in einem Frauen diskriminierenden Vergütungsschema über dem Median der Männer verdient, aber aus diesem Grund nach Auskunftserteilung fälschlich keine Benachteiligung annehmen wird.

Es zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass die Arbeitgeber sich einem erheblichen bürokratischen Aufwand zur Ermittlung von Vergleichsgruppen, Errechnung der Bruttoentgelte der Vergleichsgruppe und Bildung des Medians ausgesetzt sehen, ohne dass hieraus ein tatsächlicher Mehrwert für die Arbeitnehmer entstünde. Schlimmstenfalls ist folgendes Szenario denkbar: Eine Arbeitnehmerin verdient, ohne Vorliegen einer Diskriminierung, unter dem angegebenen Median der männlichen Beschäftigten und erhebt Klage auf Entgeltgleichheit. Der Arbeitgeber obsiegt zwar, hat aber beim Arbeitsgericht in erster Instanz stets die Kosten seines eigenen Anwalts zu tragen. Der Arbeitnehmer trägt neben seinen Anwaltskosten noch die Gerichtskosten. Für beide Seiten wird das Ergebnis unbefriedigend sein, beide haben finanzielle Nachteile erlitten. Das führt zu Unfrieden im Betrieb. Auch ein nichtdiskriminierender Arbeitgeber sieht sich nun diesem Risiko ausgesetzt.

Rechtsfolgen bei Verweigerung

Unterlässt der Arbeitgeber die Erfüllung seiner Auskunftspflicht, trägt er nach dem neuen Gesetz im Streitfall die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt. Ob diese Beweislastumkehr auch greift, wenn der Arbeitgeber zwar eine Auskunft erteilt, diese aber nicht korrekt ist, und welches Ausmaß des Unterlassens die Beweislastumkehr auslöst, ist bislang völlig offen. Der Wortlaut des Gesetzes muss wohl so verstanden werden, dass jegliche, auch fahrlässige Nichterfüllung der Auskunftspflicht eine Beweislastumkehr zur Folge hat. Dabei wird sicherlich die Frage zu klären sein, ob die fahrlässig falsche Auskunft über einzelne Teile des Anspruchs genauso zu behandeln ist wie die Weigerung des Arbeitgebers, überhaupt eine Auskunft zu erteilen.

Dramatische Folgen kann ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer insbesondere dann haben, wenn er für die Zeit vor der Einführung des Gesetzes geltend gemacht wird. Der Entgeltgleichstellungsanspruch und damit verbundene Nachzahlungen können von den Arbeitnehmern bis zur Grenze der dreijährigen Regelverjährung nachgefordert werden. Davon betroffene Arbeitgeber sollten sich hierfür im Vorfeld wappnen. Dies umfasst die Dokumentation der in der Vergangenheit für die Entgeltermittlung bestehenden Kriterien ebenso wie möglicherweise im Einzelfall bestehende besondere Qualifikationen, Erfahrungen oder Kenntnisse eines Arbeitnehmers zur Begründung für dessen (höheres) Gehalt.

Das wird einer Herkulesaufgabe gleichkommen, da zumeist nicht sämtliche Einzelheiten einer Gehaltsverhandlung dokumentiert worden sind.

Prüfverfahren und Berichterstattung

Private Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten sind aufgefordert, mithilfe betrieblicher Prüfverfahren ihre Entgeltregelungen sowie deren Anwendung regelmäßig auf die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots zu überprüfen. Werden bei diesen Prüfverfahren Benachteiligungen festgestellt, hat der Arbeitgeber Maßnahmen zu deren Beseitigung zu ergreifen. Will der Arbeitgeber der gesetzlichen Aufforderung zur Prüfung gerecht werden, muss diese geradezu wissenschaftlichen Standards genügen.

Auch wenn der Gesetzeswortlaut „Arbeitgeber sind aufgefordert“ mehrdeutig klingt, statuiert dies keine echte gesetzliche Pflicht. Den Arbeitgebern ist von einer Durchführung dieser Verfahren dringend abzuraten, da ihnen hieraus nur Nachteile entstehen können. Entweder zeigt das Prüfverfahren keine Diskriminierung. In diesem Fall war es entbehrlich, hat aber Kosten verursacht. Wird aber eine Diskriminierung offenbar, sind die Beschäftigten zwingend zu informieren, was eine Klagewelle – wiederum bis zu den Grenzen der Verjährung – auslösen kann. Der Arbeitgeber kann sich durch das Prüfverfahren daher nur „ins eigene Fleisch schneiden“, weshalb er es nicht freiwillig durchführen wird.

Eine echte Pflicht zur Berichterstattung trifft Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern, die zur Erstellung eines Lageberichts (gemäß
§ 264 HGB) verpflichtet sind. Die Pflicht zur Berichterstattung besteht alle drei Jahre bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern respektive alle fünf Jahre bei tarifgebundenen/-anwendenden Arbeitgeber. Es muss ein Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit erstellt werden. Der Bericht hat den jeweils vorgenannten Zeitraum zu umfassen und Angaben zur Beschäftigtenzahl, zu Maßnahmen zur Förderung allgemeiner Gleichheit und zur Herstellung von Entgeltgleichheit von Frauen und Männern zu beinhalten. Eine Sanktion bei Nichterfüllung der Berichtspflicht sieht das Gesetz allerdings nicht vor.

Fazit und Ausblick

Das Gesetz wurde aufgrund einer behaupteten Gender Pay Gap erlassen. Ob es eine solche überhaupt gibt und wie hoch sie tatsächlich ausfällt, ist allerdings umstritten. Das neue Entgelttransparenzgesetz wird jedenfalls nicht dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Das Gesetz verfehlt seinen Zweck und ist daher misslungen. Es ist für die Arbeitgeber mit erheblichem personellen und finanziellen Aufwand verbunden, für die Arbeitnehmer bringt es kaum Vorteile und ist mithin unbefriedigend.

Die größte Gefahr für die Arbeitgeber besteht aber in der Nicht- oder der falschen Erteilung der individuellen Auskunft. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Entgeltstrukturen müssen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachvollziehbar und bestenfalls prozesssicher dokumentiert werden. Für die Zukunft sollten Stellenausschreibungen individuell formuliert werden, um eine Vergleichbarkeit zu vermeiden. Außerdem müssen sachliche Kriterien der Entgeltfindung stets ausführlich und schriftlich festgehalten werden.

Mit den ersten Anfragen ist ab November 2017 zu rechnen. Ab diesem Zeitpunkt kann der Auskunftsanspruch geltend gemacht werden. Die verbleibende Zeit sollten betroffene Arbeitgeber dringend nutzen und Abläufe für die Auskunftserteilung ausarbeiten. Das beinhaltet unter anderem, einen Weg zur zulässigen Übermittlung personenbezogener Daten zu finden.

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(c) Fotografie Pohsegger

Jan Axtmann

Rechtsanwalt für Arbeitsrecht
MELCHERS Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Jan Axtmann ist Associate im Mannheimer Büro von Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan LLP am Standort Mannheim. Axtmann promovierte in den Bereichen Sport-, Schiedsverfahrens- und Europarecht.

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