Bei der Auslegung des Mindestlohngesetzes (MiLoG) ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Arbeitnehmerentsenderecht zu beachten. Danach sind alle zwingend und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Bestandteile des Mindestlohns (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16).
Der Sachverhalt
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Telefonistin im Schichtdienst acht Stunden täglich zu einem Bruttomonatsgrundgehalt von zuletzt 1.280 Euro beschäftigt. In den Monaten Januar bis Juli 2015 zahlte die beklagte Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin jeweils neben dem Bruttogrundgehalt Wechselschichtzulagen in Höhe von 243,75 Euro brutto, Funkprämien in Höhe von 122,71 Euro brutto sowie Leistungsprämien in Höhe von 81,81 Euro brutto und 51,13 Euro brutto.
Die Arbeitnehmerin war der Ansicht, das monatliche Bruttogrundgehalt müsse bei durchschnittlich 182,5 Arbeitsstunden im Monat 1.551,25 Euro betragen. Sie klagte auf Zahlung der Differenzvergütung für den Zeitraum Januar bis Juli 2015.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben.
Die Entscheidung
Die Revision der Beklagten war zulässig und begründet. Nach dem BAG sei die Klagebegründung schon nicht schlüssig gewesen, da die Klägerin ihre Forderung nicht anhand der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden berechnet hat, sondern lediglich anhand der arbeitsvertraglich vereinbarten Stundenzahl. Der Anspruch auf Mindestlohn richte sich jedoch nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden.
Insbesondere aber sei der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn bereits durch Erfüllung erloschen, indem die Beklagte die Zahlung des monatlichen Bruttogrundgehalts sowie der weiteren Zulagen und Prämien geleistet habe. Denn ein Arbeitgeber habe den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 Euro ergebe.
Bei der Auslegung, welche Entgeltbestandteile unter den Mindestlohnbegriff fallen, legt das BAG eine Entscheidung des EuGH zur Arbeitnehmerentsendung zugrunde. Demnach seien alle zwingend und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Bestandteile des Mindestlohns.
Weiter beruft sich das BAG auf den Zweck des MiLoG. Vorrangiger Zweck des MiLoG sei es, jedem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewähren. Diesem Zweck diene jede dem Arbeitnehmer verbleibende Vergütungszahlung, unabhängig davon, zu welcher Tageszeit, unter welchen Umständen und in welcher Qualität die Arbeit erbracht wurde. Daher fehle nur solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen, die Erfüllungswirkung.
Somit komme neben dem monatlichen Bruttogrundgehalt auch den vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat gezahlten Zulagen und Prämien Erfüllungswirkung zu. Nach dem BAG ist eine Wechselschichtzulage eine im Synallagma stehende Geldleistung. Sie werde ergänzend zum Grundlohn gezahlt und sei als eine für die Arbeitsleistung erbrachte Leistung zu bewerten. Die Funkprämie honoriere ebenfalls die Arbeitsleistung, da die Beklagte die Prämie ohne Rücksicht darauf zahle, ob die Klägerin einzelne Kanäle im Abrechnungszeitraum tatsächlich bedient habe. Gleiches gelte für die Leistungszulagen.
Hinweise für die Praxis
Bei der Berechnung des Mindestlohns sind die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zu Grunde zu legen und nicht allein die arbeitsvertraglich vereinbarten Stunden. Der Arbeitgeber muss in der Summe aller Leistungen, die als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung entrichtet werden, den Mindestlohn erfüllen. Dabei ist zu beachten, dass diese Zahlungen vorbehaltlos und unwiderruflich gezahlt werden müssen.