Härte und Tapferkeit galten für Männer lange als Ideal. Das kostet viele von ihnen heute noch ihre Gesundheit. Wie kann dem entgegengewirkt werden?
Das lange zirkulierende geflügelte Wort vom Indianer, der keinen Schmerz kennt, findet sich bei Karl May ebenso wie in dem Kinderbuchklassiker der Der letzte Mohikaner von James Coopers aus dem Jahr 1826 wieder: „Ich hätte geglaubt […] ein indianischer Krieger sey geduldig, und sein Geist fühle nicht – kenne nicht die Qual, die sein Körper erduldet.“
Härte und Tapferkeit von Jungs wurden gerade in der frühkindlichen Erziehung der Boomer-Generation propagiert. So ist es nicht verwunderlich, dass Männer dieser Generation sich selbst nicht schonen und eine ähnliche Haltung auch von ihrem (beruflichen) Umfeld erwarten: Lange galt es als untrügliches Zeichen für größtmögliches Commitment zur Arbeit, wenn Mann nie oder nur wenig Urlaub nimmt, selten krank zu Hause bleibt oder aber selbst trotz Erkrankung zur Arbeit geht. Manch ein Mann ist sogar stolz, seit Jahren keinen Arzt aufgesucht zu haben – als ob der Friedhof nicht voll wäre mit Menschen, die sich für unersetzbar hielten. Und so sprechen die Statistiken für sich:
Männer-Gesundheit in Europa
- Männer im arbeitsfähigen Alter haben eine deutlich höhere Mortalitätsrate als Frauen im arbeitsfähigen Alter (210 Prozent höhere Mortalitätsrate im Alter von 15 bis 64 Jahren; 630.000 Männer pro Jahr gegenüber 300.000 Frauen).
- 50 Prozent der vorzeitigen Tode sind vermeidbar bei Männern. Die Hauptursachen dafür sind Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, schlechte Ernährung (zu viel Fett und rotes/verarbeitetes Fleisch und zu wenig Obst, Gemüse und Ballaststoffe), Übergewicht und mangelnde körperliche Betätigung.
- Männer verunfallen in allen Lebensbereichen häufiger als Frauen und sterben auch häufiger infolge von unfallbedingten Verletzungen. Drei Viertel aller Todesfälle im Straßenverkehr treten bei jungen Männern unter 25 Jahren auf.
- Insgesamt werden weniger Männer als Frauen mit depressiven Störungen diagnostiziert, die Suizidrate von Männern im Alter von 30-49 Jahren ist jedoch fünf Mal höher als unter den Frauen derselben Altersgruppe
Diese Ergebnisse kommen nicht von ungefähr und lassen sich auf eine frühe geschlechterstereotype Sozialisation bei Kindern, risiko-affines Verhalten und unzureichende Gesundheitsangebote zurückzuführen.
Männergrippe – (k)ein Grund zu lachen?
Wenn in der Werbung für ein Erkältungsprodukt der gestandene Mann mit Schnupfen im Bett liegt und wie ein Sterbender theatralisch „Schaaaaatz! Kannst Du meine Mama anrufen?“ röchelt, ist der erste Gedanke: Männergrippe halt. Diese scherzhafte Bezeichnung soll auf die übertriebene Wehleidigkeit bei einer leichten Erkrankung verweisen. Tatsächlich ist da aber etwas Wahres dran. So leiden Männer während eines grippalen Infekts wirklich mehr als Frauen. Grund dafür ist eine andere Reaktion des Immunsystems.
- Das Hormon Östrogen hemmt beispielsweise die Vermehrung von Viren und da bei Männern der Östrogenspiegel niedriger als bei Frauen ist, fällt auch die Virenaktivität höher aus.
- Der höhere Testosteronspiegel bei Männern spielt ebenfalls eine Rolle. Je mehr Testosteron, desto weniger Antikörper befinden sich im Körper, was dazu führt, dass beispielsweise nach einer Grippeimpfung deutlich mehr Antikörper bei Frauen als bei Männern festgestellt werden (dazu sehr sehenswert: die Sendung von Prof. Lesch zu Geschlechterunterschieden, unter anderem im Immunsystem).
- Frauen haben zudem viel regelmäßiger Schmerzen als Männer: einmal im Monat während der Menstruation und während einer Geburt über viele Stunden. Sie können Schmerzen entsprechend besser einordnen als Männer, die oft verängstigt reagieren und offenkundig leiden.
Was Unternehmen tun können
- Gesundheits-Check-ups: beispielsweise haben mehrere Einheiten von BNP Paribas Gesundheits-Check-ups für alle Mitarbeitenden und Führungskräfte eingeführt, um deutlich über den gesetzlichen Rahmen hinaus, Angebote zur Prävention zu bieten. Die Zeit wird als Arbeitszeit gewertet und hat damit einen sehr hohen Anreiz geschaffen, die Untersuchungen nicht auf die lange Bank zu schieben.
- Niederschwellige Betriebssportangebote und Team-Challenges: Alles was gemeinsam und direkt vom Arbeitsplatz weg unternommen werden kann, ist positiv zu werten, weil auch hier die Hürden fallen, um sich nach der Arbeit nochmal von der Couch aufzuraffen. Ebenfalls hilft es, dies gemeinsam im Team anzugehen – irgendjemand hilft dann immer, den inneren Schweinehund zu überwinden und mitzuziehen.
- Role Models: Ohne Fitness-Guru oder Ernährungsjünger zu werden – es hilft immer, wenn Vorbilder gezeigt werden, die zur Nachahmung animieren. Daher ist es sinnvoll, regelmäßig gelebte Beispiele aufzuzeigen, zum Beispiel auch in Teambesprechungen, wenn die Führungskräfte über die Wahrnehmung ihrer Vorsorgetermine berichtet.
- Niederschwellige Informationsangebote: BNP Paribas bietet beispielsweise einen #BrainSnack zum Thema Männergesundheit an, das heißt einen einstündigen Themen-Call, bei dem sich ungezwungen über Mythen und Vorbehalte mit Blick auf Vorsorgeuntersuchungen informiert werden kann.
Es ist #Movember: der November gepaart mit Schnurrbart (Moustache), der weltweit für Männergesundheit sensibilisieren soll. Denn genauso wie sich zunehmend zum Glück die Erkenntnis durchsetzt, dass es geschlechterspezifische Unterschiede bei gewissen Erkrankungen gibt, braucht es ein höheres Bewusstsein für die männliche Gesundheitsvorsorge – auf dass sie ihre Schmerzen nicht nur kennen, sondern bei Bedarf auch rechtzeitig behandeln lassen können. Es wäre ja schade um den letzten Mohikaner.
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