Was Männer nie gefragt werden

Personalmanagement

Als sie 2017 in den Freenet-Aufsichtsrat gewählt wurde, avancierte die Digitalexpertin Fränzi Kühne zum Medienstar. Doch die Interview­fragen der Presse drehten sich hauptsächlich um ihre Frisur und ihr Frausein. Nun hat sie den Spieß umgedreht und männliche Promis mit solchen Fragen konfrontiert.

Das erste Interview nach ihrer Aufsichtsratsberufung erschien vor vier Jahren in der Zeit. Fränzi Kühne war damals Inhaberin und Geschäftsführerin der Digitalagentur TLGG, sie gehört laut Edition F zu den 25 wichtigsten Frauen der digitalen Zukunft, setzte mit ihrer Agentur Millionen um und beriet Kunden wie die Lufthansa, Spotify oder die Deutsche Bahn.

Die Zeit-Redakteurin trifft Fränzi Kühne damals einen Tag vor der Hauptversammlung des Telekommunikationsunternehmens Freenet: Vor 600 Aktionärinnen und Anteilsinhabern wird sie ihre siebenminütige Rede halten. Die Einstiegsfrage eines Interviews entscheidet oft darüber, ob es überhaupt weitergelesen wird, sie ist Anreiz und Neugiertrigger, sie legt die Tonalität eines Gesprächs fest. „Verraten Sie uns, was Sie in Ihrem Koffer haben? Was werden Sie morgen anziehen?“, will die Wochenzeitung als Erstes von Fränzi Kühne wissen. Fränzi Kühne beantwortet allerlei solcher Fragen gewissenhaft und ehrlich. Bis ihr ein Jahr später eine Impulsgeberin sagt: „Es geht fast nur um deine Klamotten, um dein Aussehen, um deine Familienpflichten.“ Es handelt sich um die Maschinenbauingenieurin Martina Merz, die damals selbst einige Aufsichtsratsmandate innehatte und seit 2019 dem Vorstand des Industriekonzerns Thyssenkrupp vorsitzt. Einem männlichen Aufsichtsratsmitglied würde man solche Fragen nie stellen, sagt Merz zu Fränzi Kühne. Sie wundert sich, dass es nie um Digitalisierung gehe, das Thema der Stunde, für das Kühne stehe.

Würden Männer zu Mode, Zweifeln und Familie befragt, wie lauteten wohl die Antworten? Fränzi Kühne wollte es wissen und schrieb ein Buch, für das sie berühmte Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Kultur zu den Themen befragte, über die sie sich jahrelang äußern musste: Was können Sie, was junge Frauen nicht können? (Sie wurde gefragt: Was können Sie, was ältere Männer nicht können?) Verraten Sie uns, was Sie in Ihrem Koffer haben? Wie bringen Sie Familie und Karriere unter einen Hut? Haben Sie das Gefühl, dass Sie für Ihre Karriere persönlich viel opfern mussten?

Sie fragt 50 Männer für das Projekt an, 22 sagen zu. Darunter der Geschäftsführer des Zeit Verlages Rainer Esser, der Verleger der Berliner Zeitung Holger Friedrich, der Chefarzt für Geburtsmedizin Lars Hellmeyer oder der Sternekoch Christian Rach. Sie befragte auch den Ex-Siemens-CEO Joe Kaeser, den Deutsche-Bank-Konzernsprecher Jörg Eigendorf und den Bundesaußenminister Heiko Maas.

Fränzi Kühne fasst die Antworten auf die jeweiligen Fragen zusammen und stellt die Vita der Persönlichkeiten in kurzen Erzählungen vor. Sie denkt quasi schreibend über das Gesagte nach, vermittelt, wie sie sich dabei fühlt, was sie irritiert, wie Mimik und Gestik der Männer Aufschluss über tradiertes Denken gaben. Fränzi Kühne hat dabei ein Händchen für szenisches Erzählen, ihre Gedanken sind klar, die Sprache ist durchdacht. Sie zitiert aus Studien und überprüft ihre eigenen Annahmen immer wieder selbst.

Die Lektüre zeigt: Antworten auf solch persönliche Fragen sind äußerst interessant, sie machen diese erfolgreichen Männer nahbar, zeigen Brüche und Unsicherheiten, sie offenbaren, worüber sie sich nie Gedanken gemacht haben, was ihnen Schwierigkeiten bereitet oder bei welchen Themen sie ausweichen. Hier wird ein wichtiges Anliegen der Autorin deutlich: Es geht nicht darum, dass diese Fragen nicht mehr gestellt werden sollen. Fränzi Kühne möchte lediglich, dass auch Männer des öffentlichen Lebens sie beantworten müssen. Es ist ein Appell, in der Wirtschaftsberichterstattung für mehr Abwechslung und Irritation zu sorgen. Bislang werden Männer nämlich nur nach Vorbildern, persönlichen Opfern oder ihrer Familie befragt, wenn es in einem Porträt menscheln soll. Gleichzeitig müsse die Berichterstattung über Frauen inhaltsbezogener werden, fordert Fränzi Kühne, die Anfang 2020 aus ihrer Agentur ausgestiegen ist. Heute ist sie Autorin, Aufsichtsrätin und Mitglied des Allbright-Stiftungsrats.

Fränzi Kühne wurde nach ihrer Rede bei der Freenet-Hauptversammlung übrigens mit 99,72 Prozent Zustimmung gewählt, das beste Ergebnis von allen.

© Fischer

Fränzi Kühne: Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal, 240 Seiten, Fischer Verlag, 14 Euro. Erschienen im Mai 2021.

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Jeanne Wellnitz (c) Mirella Frangella Photography

Jeanne Wellnitz

Redakteurin
Quadriga
Jeanne Wellnitz ist Senior-Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert. Zuvor war sie von Februar 2015 an für den Human Resources Manager tätig, zuletzt als interimistische leitende Redakteurin. Die gebürtige Berlinerin arbeitet zusätzlich als freie Rezensentin für das Büchermagazin und die Psychologie Heute und ist Autorin des Kompendiums „Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren“ (2020) und der Journalistenwerkstatt „Gendersensible Sprache. Faires Formulieren im Journalismus“ (2022). Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und beim Magazin KOM volontiert.

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