„Ein gelungenes Offboarding bedeutet Anerkennung“

Offboarding

Frau Gaßmann, wie steht es um das Offboarding in der hiesigen Geschäftswelt?
Angelika Gaßmann: Im Alltagsgeschäft achten die meisten Unternehmen mehr auf das Tagesgeschehen als auf Personalentwicklung und Prozessoptimierung. Das Ende einer Karriere innerhalb des Unternehmens fällt häufig komplett hinten runter. Unternehmen investieren viel in das Onboarding und vergessen dabei das Offboarding, das letztendlich aber den bleibenden Eindruck einer Organisation bestimmt. Anders als am Ende eines Jobs geht es beim Offboarding am Ende des Erwerbslebens um nicht weniger als um die Anerkennung der Lebensarbeitsleistung der Mitarbeitenden.

Wie lassen sich die Offboarding-Prozesse innerhalb eines Unternehmens verbessern?
Unternehmen sollten bestehende Prozesse und Standards hinterfragen sowie feste Rituale implementieren. Ziel soll sein, dass Mitarbeitende mit einem Gefühl der Wertschätzung gehen. Dafür müssen auch Führungskräfte sensibilisiert und weitergebildet werden. Wesentlich ist dabei auch die Kommunikation, um Erwartungen und Wünsche jener zu erkennen, die das Unternehmen verlassen.

Wie viel Zeit sollte ein gelungenes Offboarding in Anspruch nehmen?
Im Falle des Renteneintritts sollte im besten Fall drei Jahre im Voraus mit den Vorbereitungen begonnen werden. Im ersten Moment mag dies sehr lang scheinen, doch dabei sind die Ausschreibung der Stelle, das Auswahlverfahren der Nachfolge, Bewerbungsrunden und auch die Einarbeitung bedacht. Wenn möglich, ist das Tandem von alter und neuer Arbeitskraft förderlich für die Einarbeitung sowie für den Abschluss mit den Aufgaben der Person, die ausscheidet.

Wie sollte der Ausstieg kommuniziert werden?
In manchen Fällen ist nicht mehr zu sagen als in eine Rundmail passt. Doch darüber hinaus ist man immer auch des eigenen Abganges Schmied. Wenn ich jahrelang gute Arbeit in einem Unternehmen geleistet habe, sollte es in meinem Interesse sein, mein Wissen und meine Erfolge zu bewahren und alles geordnet zu übergeben. Das umfasst den Zugang zu Netzwerken und Informationen sowie das Hinterlassen einer geordneten Struktur. Nicht nur auf dem Schreibtisch, sondern ebenso in den Ideen, Prozessen, Abläufen und Ordnern. Gleichzeitig gehört zu jedem Abschied aber auch, zu feiern, was in der gemeinsamen Zeit erreicht wurde. Alles sollte darauf ausgerichtet sein, dass man im Guten und mit Dank und Würdigung auseinandergeht.

Was würde dies verhindern?
Ärger aufseiten der Menschen, die im Unternehmen bleiben, entsteht, wenn keine ordentliche Übergabe erfolgt ist oder der Schluss unkooperativ verläuft. Und auf der anderen Seite ist es unpassend, wenn das Offboarding nur den obligatorischen Blumenstrauß und die Schlüsselabgabe umfasst. Wie dies konkret ausgestaltet wird, muss miteinander besprochen werden.

Und wie geht es danach weiter?
Ein Unternehmen ist wie ein Mobile. Sobald sich an einer Stelle etwas bewegt, also Menschen das Unternehmen verlassen, schwingt das ganze Gebilde nach. Diese Art der Bewegung kann gut sein und für neue Impulse und notwendige Veränderungen sorgen, sie kann jedoch auch Unsicherheit auslösen. Gerade bei Kündigungswellen oder dem Ausscheiden von Leistungsträgern ist es ganz natürlich, dass Beschäftigte die eigene Position und Sicherheit hinterfragen. Es ist Führungsaufgabe, den verbliebenen Teams wieder Sicherheit zu vermitteln. Der Umgang mit denjenigen, die aus dem Unternehmen ausscheiden, ist dabei ein entscheidender Punkt. Hier können Unternehmen vieles gut machen, aber auch große Irritation erzeugen.

Was ist beim Renteneintritt zu beachten?
Es gehört aus meiner Sicht zur Verantwortung eines Unternehmens, vor allem des Personalmanagements, Beschäftigte frühzeitig über den Renteneintritt und die Rentengestaltung zu informieren. Dies ist auch im Sinne der Betriebe, sodass beispielsweise Altersteilzeitmodelle erprobt werden können und somit Übergaben besser gelingen.

Wie könnte so ein Altersteilzeitmodell aussehen?
Altersteilzeit bedeutet, dass eine Person ihre Arbeitszeit vor dem Renteneintritt reduziert. Beispielsweise wird die Arbeitszeit halbiert und die versicherungspflichtige Beschäftigung fortgesetzt. Gemäß des Altersteilzeitgesetzes wird das Gehalt halbiert und vom Arbeitgeber um 20 Prozent des reduzierten Gehalts aufgestockt. Der Arbeitgeber ist darüber hinaus verpflichtet, mindestens 80 Prozent der bisherigen Rentenversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers zu zahlen. Dieses Modell ermöglicht einen gleitenden Übergang in den Ruhestand. Aktuell besteht kein Anspruch auf Altersteilzeit, das Modell basiert auf Freiwilligkeit. Es wird nicht mehr aktiv durch die Arbeitspolitik gefördert, da die Menschen möglichst lange im Arbeitsprozess bleiben sollen.

Ein altersunfreundlicher Vorstoß der Arbeitspolitik.
Das stimmt, doch eine erfreuliche Neuerung ist, dass ab dem 1. Januar 2023 die Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten wegfallen. Damit lässt sich der Ruhestand – und auch die Übergangsphase in die Rente – freier und monetär entspannter gestalten. Denn zuvor war der Hinzuverdienst gedeckelt und hat für viele Menschen den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente finanziell erschwert. Dieses und ähnliche Instrumente erlauben einen selbstbestimmten Renteneintritt, indem sie die Geldsorgen, aber auch potenzielle gesundheitliche Belastungen minimieren.

Ab wann sollte das Thema Rente im Unternehmen behandelt werden?
Dabei müssen wir zwischen dem regulären und dem individuellen Renteneintrittsalter unterscheiden. Regulär pendeln wir uns gerade auf 65 bis 67 Jahre ein, ganz individuell schließen einige aber schon viel früher oder gar später mit ihrem Erwerbsleben ab. Ein beliebtes Alter ist auch die 63, da man ab dann, mit den entsprechenden Beitragsjahren, Rentenbezüge erhält. Veranstaltungen und Workshops zur Vorbereitung auf das Rentenalter können sich an Beschäftigte um die 60 oder auch schon um die 55 richten.

Besteht hier nicht die Gefahr eines Quiet Quitting der älteren Generation, wenn sie sich schon Jahre vorher Gedanken über den Abschluss
des Erwerbslebens machen soll?
Hier müssen wir vorsichtig sein, denn ganz schnell tappen wir in Altersstereotype und unterstellen Menschen im vorangeschrittenen Alter Motivationslosigkeit und reduzierte Leistungsfähigkeit. Sobald ich als Führungskraft jemanden auf das Abstellgleis stelle und aufgrund des Alters den Anspruch auf Fortbildung und Mitwirkung versage, produziere ich selbst die Demotivation und Frustration im Unternehmen. Es sollte gezielt gegen derartige Denkweisen vorgegangen werden, sonst laufen wir auf eine sich selbst erfüllende Prophezeiung hinaus.

In Ihrem Buch wird auch der Begriff Unruhestand genannt, der die Rente als eine dritte Lebensphase beschreibt. Ist diese verzögerte Selbsterfüllung ein erstrebenswertes Konzept?
Gerade beim Thema der Selbsterfüllung wird der Unterschied der Generationen deutlich. Viele jüngere Menschen streben in der Gestaltung ihres Arbeitsalltags nach einer Balance zwischen Karriere und Privatleben. Die Generationen, die aktuell in den Ruhestand eintreten oder schon eingetreten sind, erkennen jedoch erst jetzt, dass sie häufig einen zu großen Schwerpunkt auf die Arbeit gelegt haben. Im Nachhinein stehen dann also noch ganz viele andere Dinge im Leben an, die erlebt werden möchten. In meinen Workshops erzählen viele, dass sie bereuen, während des Erwerbslebens der Partnerschaft, den Kindern oder auch einfach nur dem Leben neben der Arbeit nicht genug Platz eingeräumt zu haben. Eine Thematisierung der Rentengestaltung im Unternehmen kann dabei helfen, dass Menschen dies nicht erst im Rentenalter erkennen. Ich bin überzeugt, dass sie nicht weniger motiviert ihre Arbeit verrichten, wenn sie in anderen Lebensbereichen versorgt und erfolgreich sind. Diese mentale Stabilität ist genauso wie eine Leistungsstabilität im Interesse jedes Arbeitgebers.

Sie ziehen in Ihrem Buch Analogien zum Sterben. Warum?
Auch wenn es krass klingt: Die Emotionen, die Menschen im Umgang mit dem Tod haben, ähneln jenen, die wir bei Abschieden empfinden, also auch beim Beenden eines Arbeitsverhältnisses. Dazu kommt, dass es uns immer noch schwerfällt über das Ende zu sprechen. Sobald wir eine Lebensphase beenden, stellen sich Fragen wie: Was bin ich danach und was muss ich noch klären? Die Analogie zum Sterben hilft dabei, zu verstehen, wie sich Menschen während des Offboardings fühlen. Aber das Ende muss nicht immer gleich ein Ende bedeuten, sondern kann auch ein großartiger Anfang sein. 

Zur Gesprächspartnerin
Angelika Gaßmann ist Personal- und Organisationsentwicklerin und gibt Fortbildungen zum Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Sie ist Herausgeberin von Offboarding. Fach- und Führungskräfte verlassen die Organisation. Das Buch behandelt aus verschiedenen Perspektiven den Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand sowie das Beenden eines Arbeitsverhältnisses. Es erschien im Mai 2022.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Employee Lifecycle. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Jasmin Nimmrich, Volontärin Human Resources Manager

Jasmin Nimmrich

Volontärin
Quadriga Media GmbH
Jasmin Nimmrich war Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Zuvor hat sie einen Bachelor in Politik und Wirtschaft an der Universität Potsdam abgeschlossen.

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