Die Hochschulabgänger sind oft nicht wirklich jobfit. Vor allem die Bachelor-Absolventen sind kaum für den Arbeitsmarkt vorbereitet. Die Lehre zielt zu sehr auf das Anhäufen von Wissen.
Fast können sie einem leidtun. Zuletzt wurde in den Medien ganz schön auf die Studenten eingeprügelt: zu angepasst, zu brav, zu pragmatisch seien sie; kein Interesse an Diskussionen und Auseinandersetzungen. Der Essay von der Journalistin und Dozentin Christiane Florin „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ bekam besonders viel Aufmerksamkeit. Eine pragmatische Generation, so sagt sie, interessiert sich nur noch für Credit Points und Scheine. Florin scheint verzweifelt.
Doch es sind nicht nur Freigeister wie sie, die ihr Missfallen über die Generation Y zum Ausdruck bringen. Auch viele Personalmanager zeigen sich – zumindest von den Bachelor-Absolventen – enttäuscht. Es mangele ihnen an Eigeninitiative, Analysefähigkeit, schlicht am gesunden Menschenverstand. Unterm Strich: Die Bachelors sind häufig nicht fit für den Arbeitsmarkt.
Woran liegt das aber? Christoph Fellinger, Talent Relationship Manager bei Beiersdorf, sieht den Grund in einem verschulten Studium. „Die Studierenden haben weniger als früher die Möglichkeit, Praxiserfahrungen zu sammeln“, sagt er. Zudem sei auch ein Problem, dass viele es gewohnt seien, auswendig zu lernen. „Sie sind nicht geübt in der Problemlösung.“ Bei den Master-Absolventen macht Fellinger das Problem in geringerem Umfang aus. Weil diese in der Regel schon mehrere Business-Projekte, Praktika und Case-Studies hinter sich gebracht haben, wenn sie anfangen zu arbeiten.
Vorteil Duales Studium
Beiersdorf selbst stellt durchaus Bachelor-Absolventen ein – beispielsweise in den Bereichen Einkauf und Marketing. Die haben dann allerdings häufig ein duales Studium bei dem Konzern absolviert, bei dem theoretisch erworbenes Wissen von den Studierenden direkt im Unternehmensalltag umgesetzt werden soll.
Auch bei der Allianz setzt man verstärkt auf die Kombination aus Praxisphasen im Unternehmen und theoretischem Unterricht beispielsweise in einer Universität. Versicherungsmanagement, Wirtschaftsinformatik sowie Insurance and Finance heißen die angebotenen dualen Studiengänge. „In der vorlesungsfreien Zeit werden die Studierenden in die Arbeitsabläufe integriert und sammeln Praxiserfahrung in unserem Unternehmen“, sagt Jens Herbig, Fachbereichsleiter für Personalentwicklung bei Allianz Deutschland.
Duale Studiengänge liegen im Trend. Man kann sogar sagen, dass sie in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt haben. Für die Unternehmen ist das insofern praktisch, als dass die Absolventen bereits im Vorfeld mit den Arbeitsbedingungen und Anforderungen im jeweiligen Unternehmen vertraut sind. Es bedeutet aber auch, dass sich junge Menschen bei der Arbeitgeberwahl frühzeitig festlegen müssen. Die Bachelor-Studenten, die diesen Weg nicht gehen, haben es auf dem Arbeitsmarkt wesentlich schwerer. Und das hat häufig damit zu tun, dass die Kompetenzen, die über den fachlichen Inhalt hinausgehen, oft zu wünschen übrig lassen.
Das liegt vor allem daran, dass man den Studierenden mit der Bologna-Reform ein System aufgezwungen hat, das ihnen kaum Freiheit lässt. Bis zum Bachelor-Abschluss dominiert häufig das Hecheln von Klausur zu Klausur. Nach der Prüfung wird das gepaukte Wissen dann wieder von der Festplatte gelöscht, weil der nächste Test schon wartet. Verständlich. Im Studium werden in erster Linie schnelles Studieren und gute Noten honoriert. Die Zulassung zu vielen Masterstudiengängen gibt es nur, wenn man bessere Noten hat als andere. Und natürlich haben die meisten das Abschlussziel Master. Denn der Bachelor gilt bei der großen Mehrheit als Abschluss zweiter Klasse. Mehr als jeder zweite Student sieht sich mit einem Bachelor-Abschluss nur unzureichend auf das Berufsleben vorbereitet. Das zeigt eine Befragung durch das Allensbach-Institut im Auftrag des Reemtsma Begabtenförderungswerks. Die Studierenden haben deutliche Zweifel an der Akzeptanz eines Bachelor-Abschlusses durch die Arbeitgeber. Und das nicht zu Unrecht.
Zu wenig Soft Skills
Die Studienzeiten haben sich mit der Reform zwar verkürzt. Aber zu welchem Preis? Denn die Lerninhalte sind annähernd gleichgeblieben. Die Folge ist unter anderem, dass die dringend benötigten Soft Skills zu kurz kommen. Das hat auch Tobias Wagner, Leiter Karriere bei dem IT- und Software-Dienstleister Datev, beobachtet. Soft Skills wie Teamfähigkeit gelten als Klassiker. Darüber hinaus gibt es eine Menge anderer fächerübergreifender Kompetenzen, die die Arbeitgeber heute als äußerst wichtig betrachten. Wagner ist der Ansicht, dass der Abstraktionsgrad zahlreicher Arbeitsanforderungen sich erhöht hat, ebenso die Komplexität. „Neben der reinen Wiedergabe oder schematischen Anwendung von erlerntem Wissen gewinnen deshalb Fähigkeiten zur Analyse komplexer Sachverhalte und Abhängigkeiten sowie strategisches beziehungsweise vernetztes Denken mehr und mehr an Bedeutung“, betont er.
Das Pharmaunternehmen Bayer hat zusammen mit anderen Unternehmen ein Kompetenznetzwerk für innovatives Employer Branding und Personalmarketing (Queb) gegründet und vier wichtige Zusatzkompetenzen definiert, die neben dem Fachwissen der Hochschulabsolventen für Unternehmen von entscheidender Bedeutung sind: praktische Erfahrungen, Methodenkompetenz, interkulturelle Kompetenz sowie Sozialkompetenz. Nach der Beobachtung von Bernd Manfred Schmitz, der bei Bayer für das Hochschulmarketing verantwortlich ist, gibt es nur einige Hochschulen, die bereits erkannt haben, dass die rein fachliche Vermittlung von Wissen noch nicht ausreichend berufsqualifizierend ist. „Diese Universitäten bieten zum Beispiel zusätzliche zeitliche Freiräume, damit die Studenten Praxissemester absolvieren können, um dort wichtige praktische Erfahrungen zu sammeln“, sagt Schmitz.
Entscheidend ist bei der Diskussion die Frage, wer eigentlich die Verantwortung für die Jobfitness der Hochschulabsolventen trägt. „Wir können die komplette Verantwortung nicht allein auf die Studieneinrichtungen schieben“, sagt Jens Herbig von der Allianz. „Arbeitgeber, die Hochschulen und die Studierenden – sie alle stehen in der Verantwortung. Es ist immer ein Dreiklang.“ Die Allianz bietet zum Beispiel bereits für Studierende Seminare und Events zu Themen wie Projektmanagement, Konfliktfähigkeit oder Verhandeln an – in den Hochschulen. Das komme gut an, so Herbig.
Enorme Erwartungen
Svenja Hofert betrachtet die Debatte noch grundsätzlicher. „Was Bildung ist, ist unklar geworden“, sagt die Karriereberaterin und Autorin. Auch das Bild, das wir von Akademikern haben, sei ins Rutschen geraten. Svenja Hofert sieht das Studium zum Beispiel nicht als unmittelbare Berufsausbildung. In ihren Augen ist es in erster Linie dazu da, die jungen Menschen zum Denken und Lösen komplexer Aufgaben zu befähigen. Sie kritisiert, dass die Arbeitgeber häufig fertige Mitarbeiter erwarten, die sofort einsetzbar sind. Die Erwartungen sollen zu hundert Prozent erfüllt werden. „Sie sind oft wenig bereit, die Leute anzulernen“, sagt sie. Die Anforderungen an die junge Generation sind im Vergleich zu früher eindeutig größer geworden.
Jens Herbig sieht die Sache nicht so dramatisch und betont, dass die Allianz immer hinreichend Bewerber hat, die die Anforderungen der jeweiligen Stellen erfüllen. Herbig bezieht dies ausdrücklich auch auf die fächerübergreifenden Kompetenzen. Für das Vorstandsassistenten-Programm beispielsweise, bei dem die Manager von morgen gesucht werden, sollen die Kandidaten unter anderem eine gewisse Grundveranlagung zum Führen zeigen können. „Da will ich gerne sehen, ob jemand – vielleicht auch neben dem Studium – schon Konflikte geregelt oder gezeigt hat, ob er oder sie Entscheidungen treffen kann.“ Im Rahmen des Vorstandsassistenten-Programm habe man da sehr positive Erfahrungen gemacht, betont Jens Herbig.
Die Noten müssen super sein
Nun hat die Allianz als Arbeitgeber auch eine Top-Marke und kann sich unter vielen sehr guten Bewerbungen die besten aussuchen. Im Rahmen des durchschnittlichen Bewerbungsprozesses ist es jedoch immer noch ziemlich schwierig mit der von den Medien geforderten Persönlichkeit zu punkten, wenn sie nicht in einen Lebenslauf passt, in dem der rote Faden klar zu erkennen ist. Die Unangepassten, die Quereinsteiger, diejenigen, die vielfältige Erfahrungen gemacht haben, aber vielleicht schon etwas älter sind, haben bei Bewerbungen in der Regel das Nachsehen. In Ausschreibungen wird insbesondere nach Prädikatsexamen und überdurchschnittlichen Abschlüssen gefragt. Die Noten müssen super sein, die Vita lückenlos, und das Praktikum sollte bei einer Top-Adresse absolviert worden sein. Daran erkennt man einen High Potential. Zielstrebigkeit ist das A und O. Verständlich, dass das die Generation Y unter Druck setzt. „Die jungen Leute haben Angst, das Falsche zu tun“, sagt Svenja Hofert. Die Beraterin hält es für notwendig, dass die Ausbildungswege flexibler werden. Beispiel: Traineeprogramme. Die könnte man noch mehr öffnen für Ältere oder Quereinsteiger, sagt sie. Beispiele dafür gibt es. Sky oder Enterprise Rent-a-Car gehören dazu. Doch es sind Ausnahmen.
Die Wirtschaft braucht eigentlich Absolventen, die mit Freiheit umgehen können, die Eigeninitiative zeigen und nicht nur darauf warten, bis sie Aufgaben zugeschoben bekommen. Kaum eine Stellenanzeige kommt heute ohne den Begriff des unternehmerischen Denkens aus. Die Mitarbeiter sollen also so handeln, als ob es sich bei dem Unternehmen um ihr eigenes Geschäft handelt: Verantwortung übernehmen, bereit sein, über die engen Grenzen des eigentlichen Wirkungsbereichs zu denken und zu handeln. Voraussetzung dafür müsste aber sein, dass die jungen Leute im Studium Zeit haben, sich zu finden, dass sie lernen, was ihre Stärken und Schwächen sind, dass sie sich auch mal ausprobieren. Entwicklung von Persönlichkeit dauert.
Offen für vielfältige Wege
Unternehmen wandeln sich immer schneller. Wer weiß, wie die Wirtschafts- und Arbeitswelt morgen aussieht? Sich einmal Fachwissen auf Vorrat anzueignen, wird auf Dauer deshalb nicht reichen, weil es immer schneller veraltet. Mit dem Sammeln von Zeugnissen und Zertifikaten kommt man da gar nicht hinterher. Facebook hat kürzlich einen 18-jährigen Programmierer eingestellt – ohne Studium und Ausbildung. In Deutschland kann man sich das schwer vorstellen. Es wäre wichtig, dass Unternehmen und Hochschulen sich noch offener zeigen, für vielfältige Lebenswege. Deutschland wird seine Wettbewerbsfähigkeit nicht allein mit Prädikatsexamen erhalten, sondern mit kreativen Köpfen, die den Willen haben, Risiken einzugehen. Dazu müssen die jungen Menschen – ob Akademiker oder nicht – ermutigt werden.
Christiane Florin schimpft in ihrem Essay über eine Generation, die den Diskurs öde findet und vorgefertigte Stundenpläne haben will. Wo ist da eigentlich der Ehrgeiz geblieben, die Studierenden zum eigenständigen Denken anzuregen, sie für Themen zu begeistern? Die Lehrenden sollten sie unterstützen, freiheitsliebende Menschen zu werden, damit sie die nötige Lebenskompetenz erwerben und mit den Anforderungen einer dynamischen Wirtschaftswelt Schritt halten können. Das kostet Zeit. Es lohnt sich jedoch, den Studierenden diese Zeit zu geben. Die wesentlich kürzeren Studienzeiten, die die Bologna-Reform gebracht hat, bringen den Studenten und auch den Unternehmen häufig leider nur Frust.