Wellness-Washing: Eine Lüge zum Wohlfühlen

Trügerische Benefits

Heute schmückt sich fast jedes Unternehmen mit Initiativen, die auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden abzielen. Doch nicht immer stecken hinter der Fassade einer lockeren Atmosphäre und eines modernen Arbeitsumfelds echte Werte. Wellness-Washing beschreibt ein Phänomen, bei dem sich Unternehmen selbst ein arbeitnehmerfreundliches Image verleihen, ohne jedoch die realen Herausforderungen anzugehen, die das Wohlbefinden der Mitarbeitenden beeinträchtigen. Bei diesen Betrieben sind die Programme und Initiativen mehr Schein als Sein. Der Begriff ist abgeleitet von dem Konzept des Greenwashing. Dabei propagieren Unternehmen ein umweltfreundliches Image, während ihr tatsächliches Handeln in völligem Widerspruch dazu steht. Während Greenwashing in erster Linie Konsumentinnen und Konsumenten täuscht, ist Wellness-Washing vor allem Etikettenschwindel im Employer Branding und Recruiting; es gibt fälschlicherweise vor, ein gesundheitsbewusster und gesundheitsfördernder Arbeitsplatz zu sein.

Unternehmen sind sich bewusst, dass die mentale Gesundheit als Thema an Bedeutung zugenommen hat. Sie selbst merken die Auswirkungen immer deutlicher, wenn die Psyche der Mitarbeitenden leidet. Nicht nur die Zahl der Krankheitstage aufgrund psychischer Belastung und Erschöpfung ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Psychische Erkrankungen sind auch die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit in Deutschland. Die Gründe liegen nicht nur im Arbeitsumfeld; mit der Coronapandemie, einer unsicheren Wirtschaftslage, dem Krieg in der Ukraine sowie den dramatischen Auswirkungen des Klimawandels leben wir in einem Zeitalter der multiplen Krisen. Doch ein ungesunder Arbeitsplatz mit vielen Belastungsfaktoren wie Stress und hohem Leistungsdruck kann zu psychischen Störungen und Erkrankungen beitragen.

Hinzu kommt, dass mit der Generation Z eine neue Generation von Beschäftigten die Bühne betritt. Jüngere Menschen stellen andere Ansprüche an die Arbeitswelt und zeigen ein erhöhtes Bewusstsein für ihre eigene körperliche und mentale Gesundheit. Entsprechend wollen sie diese auch am Arbeitsplatz gefördert wissen. Die größten Motivationstreiber im Beruf sind für Gen Z zwar immer noch die finanzielle Vergütung und Aufstiegschancen, denn gerade in Krisenzeiten wollen auch sie eine gewisse Sicherheit und Stabilität. Doch fordern die nach 1995 Geborenen gleichzeitig mehr Freizeit und Flexibilität und erwarten von ihrem Arbeitgeber, dass dieser sie ganzheitlich unterstützt und fördert.

Außerdem wechseln Arbeitnehmende der jüngeren Generationen öfter den Job als ihre Vorgängergenerationen, häufig auch, weil sie sich nicht mehr mit dem Unternehmen identifizieren. In Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels müssen Unternehmen daher mehr bieten als Homeoffice, Obstkörbe und flexible Arbeitszeiten. Neben finanziellen Anreizen und Karriereförderung sollten sie eine generationengerechte Unternehmenskultur bieten, die auch ein holistisch angesetztes betriebliches Gesundheitsmanagement umfasst.

Fake-Benefits von echtem Mehrwert unterscheiden

Es ist daher naheliegend, dass Wellness-Washing im Recruiting verwendet wird, um die besten Fachkräfte durch Wohlfühlwäsche ins eigene Unternehmen zu locken. Für Jobinteressierte ist nicht immer leicht zu erkennen, hinter welchen Benefit-Paketen eine authentische Unternehmenskultur steckt und welche Werte lediglich auf dem Papier, nicht aber im Arbeitsalltag zu finden sind.

Yogakurse, Fitnessarmbänder und Off-Sites sind für sich genommen keine schlechten Maßnahmen oder Initiativen. Sie können durchaus einen Mehrwert bieten und sind nicht automatisch ein Zeichen von Wellness-Washing.

Doch wenn sich die Mental-Health-Initiativen in solchen Feigenblättern erschöpfen, sollten die Alarmglocken läuten. Gute Anhaltspunkte dafür sind zum Beispiel:

  • Wenn beteuert wird, dass das Kollegium eine große Familie ist. Das deutet auf fehlende Grenzen hin.
  • Wenn von einer individuellen Work-Life-Balance gesprochen wird, mit der sich der Arbeitgeber seiner Verantwortung entzieht.
  • Wenn keine regelmäßigen Austauschformate vorgesehen sind, bei denen sich das Unternehmen Feedback zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden einholt.
  • Wenn Leistungen wie vorhandene Parkplätze, Obstkörbe und kostenlose Getränke als etwas Außergewöhnliches dargestellt werden und die einzigen Benefits sind.

Solche Formulierungen und fehlenden Punkte deuten darauf hin, dass es sich hier lediglich um symbolische Gesten handelt. Der Unterschied liegt, einfach ausgedrückt, in der Intention, die ein Unternehmen hat. Wenn der Arbeitgeber sich ernsthaft um die Gesundheit seiner Mitarbeitenden kümmert, gehen die Maßnahmen über Plattitüden und blinden Aktionismus hinaus.

Woran sich gute Initiativen erkennen lassen

Bei Unternehmen, die es ernst meinen, beläuft sich das Angebot nicht nur auf einzelne Initiativen, sondern ist in feste Prozesse und Strukturen integriert, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen.

Dafür muss das betriebliche Gesundheitsmanagement ausreichend Ressourcen zur Verfügung haben. Nur so hat ein Programm auch einen echten Einfluss auf den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden. Wenn das Geld für Initiativen mehrheitlich in die Marketingabteilung fließt, läuft etwas falsch, auch wenn es unerlässlich ist, dass diese schriftlich festgehalten und großflächig kommuniziert werden.

Bei der Erstellung des Programms sollte nicht nur für, sondern auch mit der Belegschaft entschieden werden. Dazu ist eine offene und transparente Kommunikation auf Augenhöhe unerlässlich. So offensichtlich es erscheint: Wie man der Belegschaft helfen kann, lässt sich am leichtesten in Erfahrung bringen, indem man sie fragt. Eine Befragung ist die Chance, Mitarbeitende als Mitwirkende zu inkludieren. Feedback aus erster Hand bildet Einblicke und Bedürfnisse in Bezug auf den erlebten Arbeitsalltag ab.

Durch Mitarbeitendengespräche und regelmäßige Feedback-Formate lässt sich feststellen, an welchen Stellen Verbesserungspotenzial besteht und wo die Belastungsfaktoren liegen. Wenn die eigentlichen Probleme eine schlechte Fehlerkultur und ein zu hohes Arbeitspensum sind, schafft auch eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio keine Abhilfe.

Lösungen sollten also anhand der realen Probleme entwickelt und nicht blind aus einem Maßnahmenkatalog ausgewählt werden. Konkrete Herausforderungen können nur mit konkreten Maßnahmen gemeistert werden. Ein echtes Bemühen um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden drückt sich unter anderem so aus:

  • ein existenzsicherndes Gehalt, das im Bestfall auch transparent nachvollziehbar ist,
  • gute Sozialleistungen, die auch für freie Mitarbeitende und Beschäftigte in Zeitarbeit gelten,
  • flache Hierarchien, die auch als solche umgesetzt werden,
  • eine Unternehmenskultur, die auf psychologischer Sicherheit, Respekt und Vertrauen beruht,
  • offene und klare Kommunikationswege,
  • klar verteilte Kompetenzen (intern oder an externe Dienstleister).

Weichspülgang mit Folgen

Was passiert aber, wenn ein Unternehmen beim Employer Branding übertrieben hat und der Etikettenschwindel auffliegt? Wellness-Washing kann ernsthafte Folgen für Unternehmen haben. Wenn Slogans und Gesten als Lippenbekenntnisse enttarnt werden, verlieren Unternehmen nicht nur ihre Fachkräfte. Sie büßen auch ihre Glaubwürdigkeit ein, genau wie die Loyalität und die Motivation ihrer Mitarbeitenden.

Und die Folgen werden im Zweifel nicht nur intern bekannt: Die eigene Selbstdarstellung ist schnell um die neuesten Employer-Branding-Buzzwords ergänzt. Die Abrechnung kommt in Form schmerzhaft ehrlicher Bewertungen auf Plattformen wie Kununu oder Glassdoor.

Dagegen sind Unternehmen, die ernst zu nehmende Mental-Health-Programme haben und sich um das Wohlbefinden ihrer Angestellten kümmern, auch wirtschaftlich erfolgreicher. Denn ihre Mitarbeitenden arbeiten nicht nur produktiver und sorgfältiger, sie bleiben auch länger im gleichen Job, wodurch weniger Wissen verloren geht und Recruiting-Kosten eingespart werden. Die mentale Gesundheit durch entsprechende Programme im eigenen Unternehmen zu fördern, lohnt sich also in jedem Fall.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Flexibilität. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Mareike Bruns, Mental Health Specialist bei Auntie

Mareike Bruns

Mareike Bruns ist Mental Health Specialist bei Auntie, einem Start-up, das Mitarbeitende beim Thema psychische Gesundheit unterstützt.

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