Letztens sprach ich mit einer Bekannten über das wichtige Thema „Well-Being in der Arbeitswelt“. Die Erfahrung, die sie mit mir teilte, erschütterte mich und machte mich wütend. Sie sagte: „Ich arbeite seit Monaten circa 70 Stunden pro Woche. Mein Unternehmen bietet seit Neuestem ein Well-Being-Programm an, im Rahmen dessen man Yoga und andere sportliche Kurse besuchen kann. Seitdem schmückt mein Unternehmen sich in aller Öffentlichkeit mit Slogans, dass die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden ihre Hauptsache sei.
Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitenden bei einer 70-Stunden-Woche Sportkurse zur Verfügung stellen, dann ist das zunächst einmal eine nette Geste. Jedoch ist es nicht verwunderlich, wenn Mitarbeitende sich dadurch nicht gesehen fühlen, sondern das Programm mit aufgedrückter Dankbarkeit zur Kenntnis nehmen.
In diesem Beitrag möchte ich den Trend Well-Being (auf Deutsch: Wohlbefinden) aufgreifen und auf die Risiken aufmerksam machen, die mit dem sogenannten Well-Being-Washing einhergehen.
Der Well-Being-Trend
Jede Person, die in der medialen Business-Welt unterwegs ist, sich Business-Podcasts anhört oder durch den eigenen Linkedin-Feed scrollt, schnappt zwangsläufig glänzende Buzzwords auf, die wie auf der Zunge zu zergehen scheinen. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich sehr viele Unternehmen vorschnell mit gutklingenden Phrasen schmücken und von sich behaupten: „Wir haben flache Hierarchien“ oder auch „Die Gesundheit unserer Mitarbeitenden liegt uns am Herzen.“
Gerade Letzteres erlebt aktuell einen Mega-Trend: Well-Being. Mit dem steigenden Fachkräftemangel liegt es im Interesse eines jeden Unternehmens, gute Fachkräfte zu halten und neue anzuziehen. Die Lösung? Möglichst vehement zu zeigen, dass der potenzielle Arbeitgeber in die Gesundheit der Mitarbeitenden investiert. So können bestehende Beschäftigte gehalten und neue angezogen werden – so zumindest die Hoffnung.
Well-Being ist eine schöne Möglichkeit, um zu zeigen: „Uns liegt das Wohl unserer Belegschaft am Herzen.“ Unternehmen, die es damit wirklich ernst meinen, sind die langfristigen Sieger. Unternehmen, die Well-Being als Marketing-Masche und leere Phrase nutzen, werden wiederum an Glaubwürdigkeit verlieren.
Das Well-Being-Washing
Angelehnt an das Konzept Greenwashing steht Well-Being-Washing für Folgendes: Wenn Unternehmen Produkte und Maßnahmen anbieten, die als gesundheitsfördernd angepriesen werden, jedoch nicht zur körperlichen oder mentalen Gesundheit beitragen. Dazu können unter anderem die berüchtigten Obstkörbe, Tischkicker, Fitnessarmbänder und Yoga-Kurse zählen.
Nur, dass wir uns hier richtig verstehen: Ich finde das Signal, das Unternehmen damit aussenden, großartig. Dass sich die Gesundheit der Belegschaft zunehmend auf dem Radar der Unternehmen befindet, ist eine sehr positive Entwicklung.
Aber die Gefahr lauert an einer anderen Stelle:
- Wenn Well-Being als Manipulationsinstrument eingesetzt wird: Meine Bekannte, wie auch viele andere, haben das Gefühl, durch die Well-Being-Programme ihres Unternehmens „in dessen Schuld“ zu stehen. Nachdem ihr Unternehmen durch verschiedenste Well-Being-Initiativen in sie investiert hat, ist es für viele umso schwerer, eine gesunde Grenze zu setzen. Dadurch können 70-Stunden-Wochen für die Mitarbeitenden gefühlt legitimiert werden.
- Wenn es mehr Schein als Sein ist: Unternehmen, die Well-Being-Washing betreiben, gehen das Risiko ein, ihre Belegschaft bitter zu enttäuschen und Glaubwürdigkeit zu verlieren. Daher sollten Unternehmen sehr vorsichtig damit sein, sich mit schön klingenden Slogans zu schmücken, wenn das eigentliche Well-Being-Programm nur oberflächlich ist.
- Wenn es wie ein Hohn klingt: ein generisches Well-Being-Programm für die gesamte Belegschaft? Das im besten Fall auch noch in der Freizeit absolviert werden soll? Das ist kein Zeichen von Wertschätzung, sondern von Ignoranz! Mitarbeitende fühlen sich durch solche Programme nicht geschätzt, sondern haben eher das Gefühl, dass ihnen eine unpassende Schablone aufgesetzt wird.
Fünf Wege, wie Unternehmen Well-Being-Washing vorbeugen können
Wenn Vorgesetzte und Arbeitgeber es mit der Gesundheit der Mitarbeitenden wirklich ernst meinen, dann sollte das Well-Being-Programm unbedingt folgende Punkte vermeiden:
- Leere Versprechungen: Unternehmen, die erst Großes ankündigen und dann keine Taten folgen lassen, verlieren an Glaubwürdigkeit. Vorträge und Keynote-Speeches, auf denen nichts Tieferes folgt, kratzen nur an der Oberfläche und erzeugen den Eindruck, dass Unternehmen nicht wirklich an der Gesundheit der Belegschaft interessiert sind.
- Oberflächliche Ansätze: Der Obstkorb und der Tischkicker sind sehr nette Gesten, die jedoch das Problem der Belegschaft nicht in ihrer Wurzel ansprechen. Wenn Sie ein Well-Being-Programm aufsetzen, das der Belegschaft weiterhelfen soll, dann stellen Sie sicher, dass die Angebote relevant sind und wirklich gebraucht werden.
- Generische Ansätze: Es ist verlockend, eine Lösung zu finden und sie im ganzen Unternehmen implementieren zu wollen. Dieser Ansatz führt jedoch leider oftmals ins Leere, da die Inhalte die Bedürfnisse der individuellen Mitarbeitenden nicht abholen.
- Verantwortlichkeiten umzulagern: Wenn es Organisationsprobleme gibt, hilft es nicht, Mitarbeitenden Coachings zu verschreiben. Für ein aufrichtiges, gelingendes Well-Being-Programm ist es wichtig, an den richtigen Stellen anzusetzen, um Veränderung zu bewirken.
- Die Annahme, dass es schnell gehen wird: Gerade, wenn es um die Gesundheit der Mitarbeitenden geht, bewegen wir uns auf vielen Ebenen gleichzeitig: Es ist die Psyche der Individuen, ihr körperliches Wohlbefinden und das Miteinander im Unternehmen. Kurzum: Es geht um nichts Geringeres als um die gesamte Unternehmenskultur. Eine Kultur zu verändern, benötigt Zeit und Ausdauer, stetige Evaluation und Neukalibrierung.
Wenn euch die Gesundheit der Belegschaft am Herzen liegt, ist das eine wunderbare Sache, die Unternehmen zukunftsfähig machen wird. Daher ist es sehr wichtig, bei diesem Thema bedacht vorzugehen, um nicht Well-Being-Washing zu betreiben – der Grat ist sehr schmal.
Übrigens: Eine emotional intelligente Belegschaft ist sehr förderlich für eine offene Feedback-Kultur. Eine offene Feedback-Kultur wiederum ist die beste Voraussetzung, um Well-Being-Washing vorzubeugen. Emotional intelligente Mitarbeitende sind proaktive Mitgestalterinnen und Mitgestalter, die selbstsicher Feedback geben und ihre Meinung bekunden können.
So können sie ihr Unternehmen rechtzeitig auf die Gefahr aufmerksam machen, dass die getroffenen Gesundheitsmaßnahmen in die Richtung von Well-Being-Washing abdriften.
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