Warum Verwundbarkeit für die Personalentwicklung wichtig ist

Superpower EQ

Bei der Arbeit müssen wir professionell sein – wie oft haben wir alle den Satz gehört? Jahrzehntelang schien es, als hätte das private Ich bei der Arbeit wenig zu suchen. Irgendwo kann ich es auch verstehen. Denn durch meine Arbeit bekomme ich einen Einblick in viele Branchen. Oft erzählen mir Menschen Geschichten, die mich regelrecht schockieren. Von Vertrauensmissbrauch. Von Intrigen. Von Gerüchten, die Schaden angerichtet haben. Die Schlussfolgerung ist meist dieselbe: Bei der Arbeit sollten wir weder Beziehungen aufbauen, noch sollten wir unser wahres Gesicht zeigen. Die Enttäuschung und der Schmerz sind für Viele zu groß.

Letztes Jahr habe ich mich auf eine sehr intensive wissenschaftliche Recherche zum Thema Resilienz eingelassen. Eines der Kernthemen meiner Arbeit bei Cocobiya. Dabei habe ich etwas Erstaunliches herausgefunden. Der Faktor Nummer 1, der uns widerstandsfähiger macht, sind unsere Beziehungen. Und zwar unsere Arbeitsbeziehungen, genauso wie unsere privaten Beziehungen. Anders ausgedrückt: Wenn uns die Beziehungen bei der Arbeit keine Sicherheit geben, wirkt sich das negativ auf unsere mentale Gesundheit aus. Und somit sind unsere Beziehungen bei der Arbeit der wichtigste Faktor, um kreativ und effizient arbeiten zu können.

Aber wie können wir Beziehungen am Arbeitsplatz pflegen, ohne negative Konsequenzen zu befürchten? Das Zauberwort lautet Verwundbarkeit. Verwundbarkeit ist ein Konzept, das Vertrauen und Beziehungen zwischen uns und anderen Menschen aufbaut und stärkt.

Was bedeutet Verwundbarkeit und was nicht?

Verwundbarkeit wird oft missverstanden und mit Schwäche oder Unsicherheit gleichgesetzt. In Wirklichkeit birgt sie eine transformative Superkraft für die individuelle und organisatorische Entwicklung.

Verwundbarkeit bedeutet nicht, Schwächen zuzugeben. Es geht um die Bereitschaft, sich authentisch und ehrlich zu zeigen. Dieses Konzept steht im Gegensatz zur traditionellen Vorstellung von Stärke, die oft mit Unnahbarkeit und Undurchdringlichkeit in Verbindung gebracht wird.

Verwundbarkeit meint nicht, völlig wehrlos und naiv zu sein. Es bedeutet auch nicht, zu viel zu teilen. Verwundbarkeit erfordert vielmehr die bewusste Entscheidung, sich trotz Risiken und möglichen negativen Konsequenzen zu öffnen. Aber nicht um jeden Preis. Es bedeutet, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen und den Mut zu haben, das wahre Selbst zu zeigen, mit allen Stärken und Schwächen. Um wirklich zu erkennen, wem gegenüber, in welcher Situation und in welcher Intensität wir uns verletzlich zeigen können, bedarf es einer gehörigen Portion emotionaler Intelligenz.

Was sind die Vorteile von Verwundbarkeit??

Verwundbarkeit am Arbeitsplatz bietet erstaunliche Vorteile für die Personalentwicklung und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Einige der beeindruckendsten Aspekte sind:

  • Förderung von Vertrauen und Zusammenarbeit: Wenn Menschen ihre Verletzlichkeit zeigen, wird eine Vertrauensbasis geschaffen. Teams, die einander vertrauen, arbeiten effektiver zusammen und sind besser in der Lage, gemeinsame Ziele zu erreichen.
  • Persönliche Entwicklung: Sich selbst zu zeigen, wie man wirklich ist, ermöglicht eine tiefere Selbsterkenntnis. Diese Authentizität führt zu einer kontinuierlichen persönlichen Entwicklung und zu einem besseren Verständnis der eigenen Stärken und Schwächen.
  • Innovationsförderung: Verwundbarkeit ermutigt dazu, neue Ideen zu teilen und innovative Lösungen zu entwickeln. Wenn Menschen sich trauen, unkonventionelle Gedanken einzubringen, wird die Innovationskraft eines Teams gestärkt.
  • Resilienz und psychisches Wohlbefinden: Die Fähigkeit, sich verletzlich zu zeigen, steht in engem Zusammenhang mit psychischer Resilienz. Menschen, die offen über ihre Herausforderungen sprechen können, entwickeln ein besseres psychisches Wohlbefinden und sind belastbarer.

Voraussetzung, um sich bei der Arbeit verwundbar zu zeigen

Zwei Ebenen sind entscheidend, um sich bei der Arbeit verwundbar zu zeigen:

Die persönliche Ebene

Verwundbarkeit bedeutet nicht, sich bedingungslos zu öffnen. Daher ist es sehr hilfreich, Situationen mittels emotionaler Intelligenz zu „lesen“ und sich zu fragen: „Ist es für mich gerade sicher genug, um mich in dieser Situation zu öffnen?“ Es ist unsere Aufgabe, emotionale Intelligenz zu trainieren, um zu erkennen, wann, wo und wie wir uns unserem Gegenüber öffnen können. Dafür gibt es keine Patentlösung. Aber wenn wir uns in emotionaler Intelligenz trainieren, können wir unsere eigenen Emotionen und die unserer Mitmenschen besser erkennen, verstehen und interpretieren. Eine große Chance, mit Situationen adäquat umzugehen.

Du kennst sicherlich Kolleginnen und Kollegen, die einfach drauf los reden und zu viel mit dir teilen. Teammitglieder, die zu Over-Sharing tendieren. Over-Sharing ist eine Art Kompensationstechnik: Wir schaffen es nicht, unsere destruktiven Emotionen selbst zu regulieren. Daher suchen wir Abhilfe im Außen durch unangemessenes und intensives Teilen von Informationen. Das ist nicht Verwundbarkeit.

Um Verwundbarkeit in ihrer Wirkungskraft zu entfalten, müssen wir ein grundlegendes Verständnis dafür entwickeln, …

  • … wann wir etwas teilen.
  • … wie viel wir teilen.
  • … mit wem wir etwas teilen.
  • … in welcher Intensität wir etwas teilen.

Verwundbarkeit bei der Arbeit zu leben, bedeutet nicht, sich emotional nackt zu machen.

Die Ebene der Organisation

Die Bereitschaft zur Verwundbarkeit erfordert eine unterstützende Arbeitskultur, die Offenheit, Vertrauen und Empathie fördert. Hier sind einige Voraussetzungen, die genau das ermöglichen:

  • Vertrauensvolle Umgebung: Eine Atmosphäre des Vertrauens ist entscheidend, damit sich Mitarbeitende öffnen können. Führungskräfte und Teammitglieder sollten eine Kultur des Vertrauens schaffen, in der Offenheit und Ehrlichkeit geschätzt werden.
  • Akzeptanz von Fehlern: Verwundbarkeit ist eng mit der Bereitschaft verbunden, Fehler zuzugeben. In einem Umfeld, in dem Fehler als Lernchancen betrachtet werden, fühlen sich Menschen eher ermutigt, ihre Schwächen anzuerkennen und offen darüber zu sprechen.
  • Unterstützende Führung: Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung von Verwundbarkeit. Eine offene Kommunikation von oben nach unten und umgekehrt, schafft eine Kultur, in der sich alle Beteiligten wohl dabei fühlen, ihre Gedanken, Bedenken und Ideen zu teilen.
  • Gemeinsame Werte: Eine klare Definition und Betonung gemeinsamer Werte innerhalb des Teams oder der Organisation fördern ein Gemeinschaftsgefühl. Wenn zu diesen Werten Authentizität und Respekt gehören, wird die Verwundbarkeit als positiv empfunden.

Das Konzept der Verwundbarkeit mag zunächst paradox erscheinen, aber in der Welt der Personalentwicklung entfaltet es eine Superpower. Indem wir uns erlauben, authentisch zu sein und uns zu zeigen, schaffen wir eine Arbeitsumgebung, in der Vertrauen, Zusammenarbeit und persönliches Wachstum gedeihen können. Unternehmen, die die Verwundbarkeit fördern, legen den Grundstein für eine zukunftsorientierte, dynamische und menschenzentrierte Arbeitskultur. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass wahre Stärke oft in der Bereitschaft liegt, sich zu öffnen und gemeinsam voranzugehen.

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Beriwan Almaami

Beriwan Almaami ist Gründerin und CEO von Cocobiya und hat den Online-Kurs Resilienztraining am Arbeitsplatz entwickelt. In ihrer Kolumne Superpower EQ schreibt sie über die Bedeutung von emotionaler Intelligenz als wichtigsten Erfolgsfaktor für Führungskräfte und Teamarbeit.

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