Warum wir alle mehr Fragen stellen sollten

Superpower EQ

Ein bunt zusammengewürfeltes Team trifft sich bereits zum zehnten Mal. Es soll ein elektronisches Produkt entwickeln, welches den Markt revolutionieren soll. Dieses eine Meeting ist sehr relevant, denn in dieser Besprechung wird die theoretische Entwicklung abgeschlossen und das Produkt in die Produktion gegeben. Die Projektleiterin richtet daher das Wort an das gesamte Team: „Wenn ihr noch Anmerkungen, Fragen oder Kritik habt, ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Wenn es dann an die praktische Produktentwicklung geht, können wir nichts mehr verändern.“

Es steht ein Elefant im Raum. Alle spüren es. In Wahrheit haben einige Personen im Raum massive Bedenken hinsichtlich der Nutzerfreundlichkeit des Gerätes. Manche denken sogar, dass ihr Produkt kein echtes USP (Alleinstellungsmerkmal) hat. Doch niemand meldet sich zu Wort. Manche rutschen nervös auf ihren Stühlen hin und her – andere schauen weg. Niemand möchte ungemütlich sein. Niemand möchte dafür verantwortlich sein, dass der Produktlaunch verzögert wird. Niemand möchte der Sündenbock sein. Daher schweigen sie alle.

Das Produkt wird somit entwickelt – in großer Stückzahl. Mit hoffnungsvollen Augen und latentem Bauchweh schaut sich das Team den Verkaufserfolg an. Nach Monaten der Beobachtung wird das schmerzhafte Fazit gezogen: Das Produkt floppte. Aus Gründen, die vielen Personen im Kopf schwirrten und die sie nicht ausgesprochen haben, weil es in diesem Team nicht üblich ist, kritische Fragen und Bemerkungen zu stellen. Hätte der Misserfolg verhindert werden können? Sehr wahrscheinlich. In diesem Artikel möchte ich über die Bedeutsamkeit einer Fragenkultur sprechen. Denn ich bin davon überzeugt: Eine zielgerichtete Fragenkultur ist die Grundlage von Innovation, Kreativität und wirtschaftlichem Erfolg für jede Organisation.

Die Bedeutung einer Fragenkultur

In einem Unternehmen, in dem eine Fragenkultur etabliert wird, wird das Stellen von konstruktiven und ungemütlichen Fragen gefördert, geschätzt und als integraler Bestandteil des Arbeitsalltages angesehen. Bei diesem Ansatz geht es nicht primär darum, Antworten zu erhalten. Vielmehr geht es darum, den Status quo stetig zu hinterfragen, tieferes Verständnis und neue Perspektiven zu entwickeln und nach innovativen Lösungen zu suchen.

Eine offene Fragenkultur in Unternehmen bietet folgende Vorteile:

  1. Innovation und Kreativität:
    Indem die gesamte Belegschaft ermutigt wird, Fragen zu stellen – so banal sie zunächst auch klingen mögen – können neue Wege gedacht und verbunden werden. Scheinbar gegensätzliche Punkte lassen sich miteinander verbinden, was zu mehr Innovation führen kann. Eine erhöhte Kreativität und Innovation kann zu Produkten und Dienstleistungen führen, die sich von der Konkurrenz abheben und dadurch einen deutlichen Wettbewerbsvorteil bieten.
  2. Problemlösung:
    Im oben beschriebenen Fall hätten die ungemütlichen Fragen dabei geholfen, mögliche Schwachstellen des Produktes frühzeitig zu erkennen. So wäre es möglich gewesen, fundierte Lösungsansätze zu finden, um das Produkt zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu bringen. Eine effektive Fragenkultur ermöglicht es, komplexe Probleme zu analysieren und sie gezielter zu bewältigen.
  3. Lernen und Entwicklung:
    Stetiges Fragenstellen fördert eine Kultur des permanenten Lernens. Denn wer Fragen stellt und sich mit diesen eingehend beschäftigt, lernt auch, neue Standpunkte einzunehmen und Dinge zu hinterfragen. So können Unternehmen das lebenslange Lernen in ihrer Kultur etablieren. Es ermutigt Mitarbeitende außerdem, neues Wissen zu entdecken und ihre Kompetenzen zu erweitern, was wiederum zu einem kompetenteren und vielseitigeren Team führt.
  4. Kundenzentrierter Ansatz:
    Gerade in fachspezifischen Teams sehen oftmals die kompetenten Mitarbeitenden den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr: Sie betrachten zu sehr das Produkt oder die Dienstleistung aus der Brille ihrer Expertise anstatt aus der Brille der potenziellen Kundschaft. Durch das gezielte Stellen von Fragen können die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt gerückt werden. So kann das Unternehmen Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die den Kundenanforderungen gerecht werden.
  5. Adaptabilität:
    Eine Fragenkultur ermöglicht es Unternehmen, sich an die stetigen Veränderungen des Marktes anzupassen und proaktiv auf neue Herausforderungen zu reagieren.

Wie kann eine Fragenkultur gefördert werden?

Eine erfolgreiche Fragenkultur entsteht nicht ohne weiteres Zutun. Es erfordert eine bewusste Förderung und gezielte Unterstützung durch das Management.

Diese Schritte können Unternehmen einleiten, um eine gesunde Fragenkultur zu etablieren:

  1. Psychologische Sicherheit:
    Diesen Punkt bringe ich gefühlt bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck, denn die psychologische Sicherheit ist meiner Meinung nach die wichtigste Grundlage jeder effizienten und zielgerichteten Zusammenarbeit. Wenn psychologische Sicherheit in einem Team existiert, traut sich jedes Teammitglied, Fragen und Aussagen zu äußern, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Hierdurch kann eine offene Kommunikation gefördert und gelebt werden.
  2. Führung durch Vorbild:
    Führungskräfte sollten immer mit einem guten Beispiel vorangehen und Neugier demonstrieren. Indem sie eine offene Einstellung gegenüber Fragen zeigen und selbst welche stellen, ermutigen sie ihre Mitarbeitenden, dasselbe zu tun.
  3. Ermutigung zur Neugier:
    Emotionale und physische Belohnungen motivieren die Belegschaft, weiterhin Fragen zu stellen und innovative Ideen einzubringen. Führungskräfte sollten ihre Mitarbeitenden anerkennen und ihnen aufzeigen, wie wichtig deren Beitrag zur Entwicklung des Unternehmens ist.
  4. Regelmäßige Feedbackschleifen:
    War die Frage zu direkt? Bin ich meinen Kollegen damit auf die Füße getreten? Ist mein Gegenüber durch meine Frage nun eingeschnappt? Um solche Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen, können Teams regelmäßige Feedbackrunden durchführen, in denen alle Personen mitteilen können, wie es ihnen mit der Fragenkultur geht und welche Änderungen sie sich in der Art des Fragen-Stellens wünschen.
  5. Lern- und Schulungsinitiativen:
    Eine Investition in das Trainieren der emotionalen Intelligenz kann dabei helfen, das kritische Denken, die Empathiefähigkeit und die sozialen Fähigkeiten der Belegschaft zu fördern.

Alle erfolgreichen Unternehmen, die ich bisher kennenlernen durfte, weisen eine wertschätzende Fragenkultur auf. Bei manchen dieser Unternehmen ist diese Form der Kultur sehr stark ausgeprägt, bei anderen steckt diese Entwicklung noch in den Kinderschuhen. Daher kann ich alle Teams und Unternehmens nur dazu motivieren, sich dieser Idee anzunehmen.

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Beriwan Almaami

Beriwan Almaami ist Gründerin und CEO von Cocobiya und hat den Online-Kurs Resilienztraining am Arbeitsplatz entwickelt. In ihrer Kolumne Superpower EQ schreibt sie über die Bedeutung von emotionaler Intelligenz als wichtigsten Erfolgsfaktor für Führungskräfte und Teamarbeit.

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