Wie frech darf Personalmarketing sein?

Employer Branding

Aussicht beschissen? Perspektive top!“ Mit diesen Worten warben die Helios-Kliniken im Herbst vergangenen Jahres um Auszubildende. Das dazugehörige Foto: Eine junge Frau, die lächelnd, wie für ein Foto posierend, in eine hochgehaltene Bettpfanne blickt. #EchtesLeben, lautet der Claim. Dass diese Recruiting-Kampagne unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen hat, mag kaum überraschen. Finden einige die Verbindung von Fäkalien und Beförderung schlicht daneben, gibt es laut Alexander Schröder viele, die die Kampagne als mutig und humorvoll ansehen. Alexander Schröder ist Leiter Employer Branding bei Helios und bestätigt: Diese Kampagne polarisiert bewusst. „Wir wollten keinen Shitstorm entfachen, auf jeden Fall aber provozieren. Dazu haben wir uns der Vorurteile über die Berufsbilder in der Pflege bedient, die unserer Meinung nach fast schon klischeehaft in den Köpfen der Menschen verhaftet sind.“ Marketing sei schließlich etwas, an dem sich die Menschen stark reiben können. Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist dabei laut Schröder das oberste Ziel gewesen.

Mehr Wagnis durch den Fachkräftemangel

Sich bei der Werbung um Pflegepersonal provokativ zu zeigen und mehr zu wagen kommt derzeit häufiger vor. Das Klinikum Bielefeld jedenfalls sorgt mit der Kampagne #teildesganzen mit Sätzen wie „Heute schon in Scheiße gegriffen?“ sogar noch drastischer für Aufmerksamkeit, als es die Helios-Kliniken tun. Daniela Eisele-Wijnbergen, Professorin für Human Resource Management an der HSBA Hamburg School of Business Administration, bringt die wagemutigen Kampagnen mit der dringenden Suche nach Pflegepersonal in Verbindung: Krankenhäuser würden versuchen, mit mehr Kreativität hervorzustechen. Die beschriebenen Recruiting-Maßnahmen schießen ihrer Meinung nach aber nicht über das Ziel hinaus. Sie seien extravagant und anders und entsprächen damit dem Zeitgeist. „Vor 20 Jahren hätte man sich das nicht getraut. Durch Social Media haben die Unternehmen heute jedoch die Möglichkeit, eine Anzeige beziehungsweise einen Spot schneller wieder vom Markt zu nehmen, sodass weniger Scheu vor ausgefalleneren Aktionen besteht“, sagt Eisele-Wijnbergen. Branchenübergreifend fielen die Recruiting-Kampagnen der jüngsten Zeit kaum durch freche Elemente und Wagemut auf. Für Andreas Ernst, Geschäftsführer von Jung von Matt Next Alster in Hamburg, hat das Personalmarketing gar einen Nachholbedarf, was Kreativität und Mut betrifft. Infolge hinke es hinter dem Niveau guter Kommunikation hinterher, die auffällig und mutig sein müsse. „Wenn ich die Menschen zum Lachen oder Schmunzeln bringe, bewirke ich viel mehr als mit nüchternen Informationen. So begeistere, inspiriere, erreiche ich sie“, sagt Ernst. Menschen wollen schließlich unterhalten werden. All dies sei im Personalmarketing jedoch kaum zu finden.

Es darf ein bisschen frecher ­werden, …

Jetzt, wo der Wettbewerb härter wird und die Unternehmen händeringend nach Talenten suchen, sollten Recruiting-Kampagnen insgesamt kreativer und frecher werden. Doch wie frech dürfen sie sein? Wo liegen die Grenzen? Wann ist der Grad an Frechmut – ein Neologismus, den viele durch den Personalmarketingexperten Jörg Buckmann kennen – zu viel?

Die Forschung liefert wenig Hinweise. „Zwar gibt es wissenschaftliche Studien über die Wahrnehmung von Werbung, aber solche, die das Muster der Wirksamkeit von frechen Elementen im Personalmarketing großflächig untersucht haben, sind mir nicht bekannt“, sagt Eisele-Wijnbergen. Zudem sei nicht definiert, was Frechheit und Wagemut im beschriebenen Kontext überhaupt ausmache.

Laut Jung-von-Matt-Werber Andreas Ernst geht es um ein gekonntes Spiel mit der Emotionalität, dem Grad an Mut und der richtigen Lautstärke. Bei alldem sei auch immer auf den Wettbewerb zu schauen: „Wenn viele andere im Marktumfeld auch laut werden, ist es irgendwann nur noch ein Geschrei, bei dem man versucht, sich zu überbieten“, sagt er. In diese Falle dürften Unternehmen nicht tappen.

… aber es muss glaubhaft sein

Insbesondere besteht die Gefahr, nicht mehr glaubhaft zu sein. „Wenn man laut, bunt und frech wird, dann sollte es auch passen. Einer Behörde zum Beispiel nimmt man einen solchen Auftritt nicht ab“, sagt Eisele-Wijnbergen und erinnert sich an eine Recruiting-Kampagne eines städtischen Finanzamtes vor ein paar Jahren, die entsprechend daneben ging. Der Grad an Mut und die Art der Kreativität muss also der Unternehmenskultur entsprechen. Wenn ein eher konservatives Industrieunternehmen beispielsweise mit tanzenden Jugendlichen via Tiktok Auszubildende anwirbt, könnte es peinlich werden, weil das gezeigte lässige Lebensgefühl aufgesetzt wirkt. Stehe ein Unternehmen indes davor, mit einer frechen Kampagne lockere Türen einzutreten, weil es sich intern schon im Wandel befinde, führe zielgerichteter Mut durchaus zum Erfolg. Dies sei beim Jung-von-Matt-
Kundenunternehmen Robert Bosch beispielsweise der Fall, erzählt Andreas Ernst. „Von dem Industrietechnikunternehmen und Automobilzulieferer haben viele Menschen möglicherweise noch ein eher konservatives Unternehmensbild im Kopf, doch in Sachen Innovation und Agilität bewegt sich bei Bosch einiges.“ Der Geschäftsbereich Bosch Hausgeräte etwa setze auf flache Hierarchien und agile Arbeitsweisen, um nur ein Beispiel zu nennen. Laut Ernsts Schilderung hat die selbstironisch angelegte Produktkampagne für den Mischkonzern #LikeABosch, die zunächst allein für den Bereich „Internet of Things“ entwickelt wurde, letztlich zu einem großen Stück den Boden bereitet für einen Imagewandel nach außen wie innen – und die Weichen gestellt, auch bei der Suche nach Mitarbeitenden mehr Mut zu zeigen. So wurden die #LikeABosch-Clips, in denen sich der nerdige Hauptdarsteller Shawn durch ein vernetztes Haus, in dem alles – vom Kühlschrank bis hin zum Rasenmäher – smart und „like a Bosch“ funktioniert, ausgeweitet auf das Personalmarketing.

Die Mitarbeitenden einbeziehen

Auch die #EchtesLeben-Kampagne von Helios steht nicht für sich alleine. Sie ist das Resultat eines längeren Prozesses innerhalb des Klinikkonzerns, bei dem es darum ging, sich als Arbeitgeber neu zu positionieren und entsprechende Botschaften zu entwickeln, wie Alexander Schröder berichtet. Dabei sei man partizipativ vorgegangen – auch was die Kreation betrifft. „Wir haben unsere Mitarbeitenden befragt, was ihnen wichtig ist hinsichtlich unserer Kommunikation nach außen, und festgestellt, dass sie ein Bedürfnis nach Authentizität und ehrlichen Botschaften haben“, sagt Schröder. Fast niemand befürworte, mit einer beschönigenden Darstellung à la Schwarzwaldklinik nach außen zu treten. So sei letztlich die Idee entstanden, Vorurteile über die Berufsbilder in der Pflege aufzugreifen und damit zu kokettieren, um Aufmerksamkeit zu erzielen.
Letztlich hat Helios ein Realistic Job Review gegeben, wie es Eisele-Wijnbergen bezeichnet. Sie hält es für einen guten Weg, beim Personalmarketing einerseits nichts zu verbergen, die Dinge aber andererseits dennoch positiv zu kommunizieren. Das Einbeziehen der Menschen im Unternehmen sei dabei sinnvoll: „Wenn man mit den negativen Aspekten im Job spielt, sollte man seine Mitarbeitenden sehr gut kennen und sichergehen, dass sie sich mit der Kampagne identifizieren und sich nicht bloßgestellt fühlen.“

Wo Vorsicht geboten ist

„Der Respekt vor den Mitarbeitenden, vor Menschen insgesamt, muss immer bewahrt bleiben“, sagt Schröder. Das persönliche Wertesystem ist dem Personaler zufolge ein guter Gradmesser, was No-Gos beim Einsatz von Wagemut im Personalmarketing angeht. „Bei vielen Themen verbietet es allein der Anstand, damit zu werben“, sagt Schröder. Dazu gehöre zum Beispiel, kranke Menschen abzubilden, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Kritisch wird es zudem, wenn die Themen Sexismus und Diversity berührt werden, da hier die Grenzen zu Diskriminierung oder Stigmatisierung nah sind.

Und auch beim Werben mit Kindern ist Vorsicht geboten. Das zeigt in besonderer Weise ein satirisch angelegter Spot der BayernLB vor drei Jahren. Unter dem Claim „Mission Traumjob“ befragte die Protagonistin Ronja von Rönne Kinder zu ihren Berufswünschen, kanzelte ihre Vorstellungen dann ab und empfahl ihnen, bei der BayernLB zu arbeiten, wenn sie erwachsen sind. Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Von Rönne wurde als Kinderhasserin beschimpft, die Kinder psychisch misshandele. Viele Menschen hatten scheinbar nicht gemerkt, dass alles konstruiert und nicht ernst gemeint war. Wer Humor im Personalmarketing einsetzt, muss sich also vorher damit auseinandersetzen, dass Ironie nicht immer verstanden wird – und dass bei manch einem der Spaß eben früher aufhört als bei anderen. Sich möglichst unangreifbar zu machen ist laut Marketingprofi Andreas Ernst aber auch nicht die Lösung. So bleibt es für die Personalmarketing-Verantwortlichen eine Herausforderung, mit kreativen Ideen aufzufallen, ohne damit völlig ins Fettnäpfchen zu treten. Feinstimmiger Humor ist eine große Kunst!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Risiko. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Petra Walther ist freie Journalistin in Bonn.

Petra Walther

Petra Walther ist freie Journalistin in Bonn.

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