Wer in Firmenkultur investiert, spart bei der Personalgewinnung. Doch gerade wenn Unternehmen schnell wachsen, geht der Blick dafür mitunter verloren, wer man nun eigentlich ist. Aber unternehmerische Selbstfindung ist möglich. Ein Rat.
Laut Branchenverband Bitcom fehlen derzeit 43.000 IT-Spezialisten und sechs von zehn Unternehmen suchen vergeblich nach Fachkräften. Die Zahlen schwanken, aber seit Jahren klagt die Branche über Fachkräftemangel. Dagegen erhalten etliche Firmen täglich Initiativbewerbungen. Es gibt Hoteliers und Gastronomen, Maschinenbauer oder Handwerker, denen es ähnlich geht. Ihre Kollegen suchen händeringend Azubis und Mitarbeiter, während sie selbst gut zurechtkommen. Denn: Ihre Unternehmen sind eine Marke. Sie ziehen potenzielle Mitarbeiter an.
Doch wie entwickelt sich ein Unternehmen zu einer bekannten Marke? Wie wird erkennbar, wofür ein Unternehmen steht – auch ein kleines? Welche Vision es antreibt? Welche Werte werden dort gelebt? Oder: Welcher Arbeitsstil zeichnet es aus? Vor knapp zehn Jahre wuchs unser Unternehmen, aber das Team passte nicht mehr zusammen: Es gab auffällig viele Streitigkeiten, Ziele wurden nicht erreicht und Kunden zogen sich zurück.
In dieser Zeit habe ich das Buch „Weg zum erfolgreichen Unternehmer“ gelesen. Das allein hätte wahrscheinlich nicht die entscheidenden Impulse geliefert. Ich rate dazu, ein mehrtägiges Seminar zu besuchen, weil es eine größere Dynamik entwickelt. In meinem Fall kam hinzu, dass ich mit dem Workshop vier Coaching-Telefonate „eingekauft“ habe. Eine externe Begleitung halte ich in diesem Prozess ebenfalls für sinnvoll. Aus zwei Gründen: Einerseits mussten wir drei Geschäftsführer in bestimmten Zeitabständen immer wieder Stellung beziehen, was wir erreicht hatten und warum wir bestimmte Schritte nicht gemacht haben. Andererseits bekamen wir kontinuierlich eine Außensicht, die uns zu einer stärkeren Reflektion unserer Prozesse zwang. Dadurch haben wir mehr Tiefe erreicht.
Ausgangspunkt einer unternehmerischen Selbstfindung ist: Welche wichtigen Entscheidungen haben Sie in ihrem persönlichen und unternehmerischen Leben getroffen? Und was haben Sie in diesen Situationen gedacht und gefühlt? Und welche Werte haben Ihr Handeln geleitet? Jeder kommt da sicherlich auf zehn bis zwanzig Begriffe, die sich eventuell auch ähneln, wie Vertrauen und Ehrlichkeit. Trotzdem ist es wichtig, nochmals zu reduzieren – sich auf drei bis fünf essenzielle Werte zu konzentrieren. Sie werden immer auch Werte leben, die auf ersten Blick „schwammig“ wirken, beispielsweise Menschlichkeit. Machen Sie deutlich, was Sie darunter verstehen: Etwa Hilfsbereitschaft, Familie, Glaube, Freude und Spaß, Wahrheit, Wertschätzung. Je klarer und zugespitzter das Ergebnis ist, desto erkennbarer wird das Unternehmen für (potenzielle) Mitarbeiter und Kunden.
Das kostet viel Zeit und Energie. Speziell Macher müssen sich überwinden, sich mit scheinbar „philosophischen Fragen“ zu befassen statt das aktuelle Geschäft zu erledigen. Deshalb unterstützt eine externe Begleitung. Und: Die Investition lohnt sich. Natürlich ist der Prozess einfacher, wenn es nur einen Geschäftsführer oder Inhaber gibt. Allerdings vermute ich, dass der Prozess auch weniger intensiv und dadurch klärend ist. Doch das ist egal: Jedes Unternehmen hat seine Ausgangssituation und jedes Unternehmen sollte am Ende sein Ergebnis haben.
Wichtig: Es geht nicht um einen Wunschtraum, der sich künftig für Ihr Unternehmen erfüllen soll. Es geht um die wichtigsten Werte, die Sie heute leben! Andernfalls geben die Werte keine klare Orientierung für den Alltag. Natürlich sind diese entwickelten Werte nicht festgemauert für alle Zeit. Ein Unternehmer und ein Unternehmen entwickeln sich: Unsere ursprünglichen Werte haben wir im Laufe der zehn Jahre um zwei weitere ergänzt.
Transparenz und Vorbildfunktion
Wie können Sie dann diesen Prozess auf Geschäftsführungsebene ins gesamte Unternehmen integrieren? Es ist entscheidend, diesen Prozess für alle Mitarbeiter transparent zu machen und im Alltag vorzuleben und Verhalten zu korrigieren. Gehört etwa Ehrlichkeit zu den Unternehmenswerten, dann sollten Mitarbeiter auch einem externen Anrufer sagen, dass der Chef nicht gestört werden möchte, weil er konzentriert an einem Projekt arbeitet statt der üblichen Floskel: Der Chef ist im Meeting. Das schärft vor allem das Mitdenken und Verhalten in anderen Situationen.
Ein bewährtes Tool ist die tägliche Erfolgsgeschichte. Mitarbeiter sollen über Mail und Intranet ihre Erfolge mitteilen. Das kann ein positives Kundenfeedback sein oder ein abgeschlossenes Projekt, die Lösung eines kniffligen IT-Problems oder ein großer Verkaufserfolg. Die Werte müssen „erhitzt“ werden, damit sie allen präsent werden oder bleiben und sie sich mit ihrer Arbeit daran orientieren. Denn vieles, was Mitarbeiter im Alltag machen, erscheint ihnen selbstverständlich oder wird lediglich in der Kaffeepause erzählt. Die „Erfolgsgeschichten“ lassen jedoch alle daran teilhaben und motivieren, die eigenen mitzuteilen.
Arbeitgeber-Preise sind ebenfalls eine beliebte Marketing-Strategie bei der Mitarbeitergewinnung. Doch vor allem ist es für Unternehmen sinnvoll an derartigen Wettbewerben teilzunehmen, um zu sehen, wo es steht und wo es sich noch verbessern kann. Und natürlich lernen Sie interessante Ideen anderer Unternehmen kennen. Dann heißt es: Prüfe alles und behalte das Gute. Diese Ideen müssen allerdings zu dem Unternehmen passen und mit Leben gefüllt werden.
Beispielsweise stehen in den Räumen etlicher Unternehmen Tischkicker. Aber sie werden nicht genutzt, weil sich die Mitarbeiter nicht trauen. Denn: Der Chef sieht das und hat den Eindruck, seine Angestellten tun nichts. Uns drei Geschäftsführer sehen die Mitarbeiter immer wieder am Tischkicker. Für die Kletterwände in unseren beiden Gebäuden sind wir inzwischen bekannt. Die Initiative dafür kam von Mitarbeitern. Die Idee dahinter: Um kreativ zu arbeiten, benötigen wir einen klaren Kopf. Den holen wir uns schneller durch Bewegung, Spaß und Erholung statt verkrampft auf den Bildschirm zu stieren. Dadurch setzen wir zwei unserer Werte um: Nämlich individuelle und gemeinsame Bestleistung, die ohne kreative Pausen nicht möglich ist, sowie Menschlichkeit und Gesundheit.
Wenn nun alle eine Unternehmen eine eigene Kultur entwickeln, gibt es dann einen Fachkräftemangel? Rechnerisch bestimmt. Kreative Ideen, um junge Menschen für ein Berufsbild zu gewinnen, Migranten zu integrieren oder im Ausland nach neuen Kollegen zu suchen, sind notwendig. Allerdings sollte Unternehmern auch nicht bange werden. Die Mitarbeiter entwickeln sich und die Firmenkultur ändert sich ebenfalls. Eine Fluktuation wird es immer geben, weil Mitarbeiter für sich einen anderen Arbeitsstil suchen.