Der Werkzeugkasten der Zukunft

Zukunft der Arbeit

Frau Jürgensmeier, wozu braucht es den Blick in die Zukunft?

Hanna Jürgensmeier: Unsere Gegenwart ist geprägt von Unsicherheiten und Wechselwirkungen, die sich in der Zukunft intensivieren werden. Menschen und Unternehmen müssen deshalb lernen, mit dem Unberechenbaren umzugehen, sich mit Zukünften auseinandersetzen. Wir verwenden hier bewusst die Mehrzahl, da die eine wahre Vorhersage nie möglich sein wird. Szenarien, wie wir sie entwerfen, dienen dazu, die abstrakte Zukunft nahbarer zu machen und Denkanstöße zu geben. Sie können dann als Handlungsempfehlung, Prävention oder auch zur kompletten Umstrukturierung genutzt werden.

Wie sieht solch eine Zukunftsberatung aus?

Unsere Arbeit teilt sich in systematische und kreative Teilschritte auf. Bei der Verarbeitung und Errechnung konkreter Daten für unsere Szenarien unterstützt uns eine Software. Kreativ arbeiten wir dann in Workshops, in denen wir versuchen, in die Zukunft zu schauen. Darin werden denkbare Zukunftsalternativen beschrieben, die wir diskutieren. Daraus erarbeiten wir dann mehrere Szenarien. Der gesamte Prozess dauert ungefähr drei Monate. Am Ende präsentieren wir unseren Kunden fünf bis acht Szenarien. Die Software allein spuckt uns in den meisten Fällen bis zu 200 verschiedene Szenarien aus, doch diese Zahl ist schwer greif- und handhabbar. Daher gruppieren wir die Ergebnisse und beschreiben einzelne Gruppen durch mehrere Szenarien, die den Großteil der Zukunftsoptionen abdecken.

Welche Daten brauchen Sie für die Entwicklung eines Szenarios?

Statt Aktenberge mit Unternehmensdaten zu wälzen, strukturieren wir das Marktumfeld und analysieren dieses auf künftige Herausforderungen. So regen wir beispielsweise an, sich vorzustellen, aus welchen Branchen oder Regionen zukünftige Wettbewerber kommen könnten. Wer hat eine Technologie oder Kompetenzen, die für unser eigenes Geschäftsmodell gefährlich werden könnten? Ein bekanntes Beispiel ist Airbnb für die Hotelbranche. Natürlich sind erhobene Unternehmensdaten zu den Umsätzen der letzten Jahre oder Höhe der Investitionen für unsere Arbeit hilfreich, aber nicht immer notwendig. Vor allem benötigen wir ein zukunftsoffenes Team des jeweiligen Unternehmens, dem wir viele Fragen stellen können. Interessant sind vor allem die Unsicherheiten der Beteiligten beim Blick in die Zukunft. Wenn wir nach persönlichen Einschätzungen fragen, dann nennen wir diese „Erwartungen“ und nicht „Wahrscheinlichkeiten“. Das Wort erweckte nämlich den Eindruck einer mathematischen Genauigkeit. Und die gibt es nicht, wenn wir über zukünftige Realitäten sprechen.

Wann wenden sich Unternehmen an Sie?

Unternehmen und andere Institutionen kommen meistens auf uns zu, wenn sie Entscheidungen unter unsicheren Umständen treffen müssen. Das können Investitions- oder Standortentscheidungen sein oder wie mit neuer Technologie umgegangen werden soll. Wenn man sich in der Gegenwart schon einmal mit einer möglichen Welt ohne Verbrennungsmotoren beschäftigt hat, erscheinen einem viele Veränderungen nicht mehr ganz so furchteinflößend. Generell ist alles, was die Ausrichtung eines Unternehmens oder einer Organisation betrifft, dazu geeignet, mittels Szenarien untersucht zu werden. Unsere Dienstleistung wird dann oft als entscheidungsunterstützendes Werkzeug genutzt. Wir beschreiben denkbare Zukünfte, hinterfragen erwartbare Entwicklungen, konzentrieren uns aber auch auf unliebsame Szenarien. Ein Beispiel: Wenn man fest davon ausgeht, dass der Brexit nicht eintritt, er dann dennoch kommt, dann hat man zumindest zuvor schonmal über diese Zukunft und die Konsequenzen nachgedacht

Wie gehen die Unternehmen mit den fertigen Szenarien um?

Es gibt Fälle, in denen unsere Arbeit nur zu einem Aktenzeichen wird. Teilweise kritisieren unsere Szenarien ja die Zukunftsfestigkeit der gegenwärtigen Abläufe in Unternehmen. Wir ermutigen unsere Kunden aber immer, auch mit dunklen Szenarien optimistisch umzugehen und Chancen und Handlungsoptionen aus ihnen resultieren zu lassen. Dies erfordert allerdings Flexibilität und Anstrengung. Ob unsere Prognosen wirklich implementiert werden und Verhaltensänderungen nach sich ziehen, darauf können wir keinen Einfluss nehmen. Wir können nur beraten und dazu ermutigen, auch mal neue Schritte zu wagen und ein Stück weiterzugehen.

Ich persönlich habe auch noch nie erlebt, dass wir einen Konzern eine komplette Zukunftslosigkeit prognostiziert hätten. Anhand von düsteren Szenarien einen Notfallplan zu entwickeln, kann sich auch positiv auf die gegenwärtige Krisenkompetenz auswirken. Wir fragen auch spezifisch nach Wunsch-Zukünften, aus denen sich sehr viel ableiten lässt. Nehmen wir beispielsweise an, dass ein Unternehmen aus der Technologiebranche den Wunsch nach oder die Erwartung auf ein bestimmtes Produkt äußert, das die Fertigung erheblich erleichtern würde. In diesem Fall könnten wir davon ausgehen, dass das Geschäftsmodell von dieser einen Innovation abhängig gemacht wird. Wenn wir dann mit Szenarien arbeiten, die ohne die gewünschte Innovation existieren, dann kann das wirklich augenöffnend sein.

Kommt es auch zu Szenarien, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen?

Da unsere Szenarien rein auf Logik basieren, steckt überall ein bisschen Wahrheit drin. Bei unseren Szenarien handelt es sich außerdem um recht extreme Beschreibungen, sowohl für die Unternehmen an sich als auch für den Markt und die Welt, in der sie sich befinden. Die Prognosen sollen als Denkwerkzeuge dienen und Unternehmen dazu anregen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Wenn wir uns vorstellen, dass die Gegenwart einen Mittelpunkt darstellt, dann ziehen unsere Szenarien in verschiedene Richtungen, die denkbar sind. In welche Richtung sich die Realität dann bewegt, müssen wir dann abwarten.

Was wird Ihrer Meinung nach im Diskurs rund um die Zukunft der Arbeit nicht genug beachtet?

Wir sehen immer wieder, wie sehr Extrempositionen schwanken können. Während wir vor zwei Jahren noch über die Reduzierung der Lebens- oder Wochenarbeitszeit gesprochen haben, gibt es jetzt immer mehr Forderungen nach einer Erhöhung der Stundenanzahl, die den Fachkräftemangel beheben soll. Daher sehen wir, wie unberechenbar die Entwicklungen in einem demographisch so gut beobachteten Feld sind. Diese Volatilität der Arbeitswelt ist durch ihre Vernetztheit zu erklären. Durch den anhaltenden Krieg in der Ukraine und nicht zuletzt auch durch die Corona-Pandemie sind wir alle aufgewacht und haben mitbekommen, wie verletzlich beispielweise unsere Lieferketten sind. Diese Abhängigkeiten wirken sich dann natürlich auch immer auf den Arbeitsmarkt aus.

Die Herausforderung ist nun, sehr flexibel und zukunftsoffen an die Gegenwart heranzugehen und immer unterschiedliche Optionen zu erwägen. Vielleicht sollten wir anfangen, die Vollzeitbeschäftigung in Frage zu stellen, hinterfragen, was automatisierte werden kann und wo die menschliche Hand noch nötig ist.

Zur Gesprächspartnerin:

Hanna Jürgensmeier ist Prokuristin bei Scenario Management International.

Hanna Jürgensmeier ist Prokuristin bei Scenario Management International – einer auf Zukunftsszenarien spezialisierten Beratung für Strategie und Innovationen. Zu ihren Veröffentlichungen zählt unter anderem „Szenarien und Perspektiven für KI-basierte Arbeitswelten„.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Jasmin Nimmrich, Volontärin Human Resources Manager

Jasmin Nimmrich

Volontärin
Quadriga Media GmbH
Jasmin Nimmrich war Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Zuvor hat sie einen Bachelor in Politik und Wirtschaft an der Universität Potsdam abgeschlossen.

Weitere Artikel