Vielen Managern fällt es schwer, sich Niederlagen einzugestehen. Dabei wäre das für die persönliche Entwicklung gar nicht schlecht. Der Wirtschaftspsychologe Heinrich Wottawa sagt im Gespräch, warum das so ist.
Herr Professor Wottawa, gibt es Menschen, die ein Leben lang beruflich erfolgreich sind?
Bedauerlicherweise, ja.
Wieso ist das bedauerlich?
Probleme entstehen dann, wenn jemand als Führungskraft Verantwortung für andere hat. Wenn er in einem solchen Fall lediglich auf eine Überflieger-Karriere zurückblickt, bei der ihm alles leicht gefallen ist, dann wird er sehr wahrscheinlich das Problem haben, sich nur schwer in die Perspektive seiner Mitarbeiter – für die das Leben nicht ganz so einfach ist – hineinversetzen zu können.
Und dass jemand von Anfang an mit Empathie gesegnet ist und in der Organisation permanent nach oben steigt, ist eher selten?
Dass jemand Karriere als Spitzenmanager macht und sich gleichzeitig in die Persönlichkeit von Menschen hineinversetzen kann, die in einer ganz anderen subjektiven Welt leben, ist äußerst selten. Aber es fällt generell vielen Leuten schwer, die studiert und dann in einem Unternehmen irgendwelche Trainings durchlaufen haben, sich die Denkwelt von Menschen vorzustellen, die vielleicht den Hauptschulabschluss haben und in der Produktion Routinearbeit erledigen.
Kann man generell sagen, dass Empathie bei Menschen mit Führungsverantwortung eher wenig vorhanden ist?
Empathie hat jeder, die Frage ist: in welchem Ausmaß? Und in welchem Ausmaß wird sie geschult? Wie alle menschlichen Fähigkeiten und Potenziale, die ein Mensch hat, hängt es sehr davon ab, wie weit man sie trainiert. Nun haben wir aber zum Beispiel das Problem, dass viele Studiengänge wie BWL, Informatik oder Maschinenbau keine Ausbildungswege sind, die von sich aus Empathie fördern. Es gibt immer noch wenige Elemente in den Studienordnungen wie unter anderem die Gruppenarbeit, die solche Fähigkeiten unterstützen. Die Konsequenz ist dann, dass die Betreffenden nach Stellenantritt im Unternehmen entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen brauchen. Das müssen keine Trainings sein, das kann auch ein guter Vorgesetzter sein, der sie auf Defizite hinweist und mit ihnen an den notwendigen Kompetenzen arbeitet.
Hat sich in der Führungskräfteentwicklung und im Coaching nicht so einiges getan? Es werden doch in den Unternehmen heute viel mehr die sogenannten weichen Faktoren thematisiert – wie zum Beispiel die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Wenn Sie die Zeitspanne von – sagen wir – 30 Jahren bis heute nehmen, haben Sie absolut Recht. Es hat sich schon eine Unternehmenskultur durchgesetzt, in der man stärker auf Mitarbeiter Rücksicht nehmen soll. Und in der man vielleicht mehr Rücksicht nehmen muss, weil man nicht mehr jeden Mitarbeiter so ohne weiteres ersetzen kann. Auf der anderen Seite haben Sie das Problem, dass aus einer Erkenntnis noch lange kein entsprechendes Handeln entspringt. Wahrscheinlich haben viele Manager den Willen, mitarbeiterorientiert zu führen, können es aber nicht so richtig.
Und das Nicht-Können hat vermutlich häufig für diese Führungskräfte keine Konsequenzen.
Wir haben in vielen Unternehmen immer noch das Problem, dass sowohl die Beförderung als auch die Bewertung von Führungskräften überwiegend von der Sachleistung abhängig ist. Der gute Vertriebler wird zum Vertriebsteamleiter und der gute Ingenieur zum Abteilungsleiter. Es wird dabei noch zu wenig auf echte Führungsqualitäten wert gelegt – auch wenn sich da in den vergangenen Jahren manches verbessert hat.
Würden Sie sagen, es ist heutzutage auf der Managerebene einfacher zu scheitern, weil die Leistungskultur sich intensiviert hat und die zu erreichenden Ziele immer höher gesetzt werden?
Da gibt es eine große Heterogenität der Unternehmen. Es gibt manche Firmen, bei denen die Ziele so hoch gesetzt werden, dass man sie grundsätzlich nicht erreichen kann. Da geht es darum, möglichst nah an den optimalen Zustand zu kommen. Und wenn dann statt der gesetzten zehn Prozent Umsatzzuwachs nur acht rauskommen, sind dennoch alle glücklich. Aber natürlich gibt es auch Zielvereinbarungen, die man ernst nehmen muss, und wenn man diese Ziele nicht erreicht, ist es schon etwas unangenehmer. Allerdings muss ich betonen, dass das Verfehlen von Zielen für mich noch kein Scheitern ist. Da muss mehr passieren.
Klar ist: Wir leben in einem System, in dem man versucht, die Anforderungen an das Potenzial des Menschen anzupassen. Wenn ein Unternehmen eine vernünftige Personalentwicklung hat, dann wird es versuchen, aus dem Potenzial des Mitarbeiters möglichst viel herauszuholen. Deswegen ist das Risiko des Scheiterns bei Menschen mit hohem Potenzial auch relativ hoch, weil man ihnen besonders schwierige Aufgaben zuweist.
Ist das Scheitern eines Menschen grundsätzlich etwas Subjektives oder spielt da auch die Sichtweise des gesellschaftlichen Umfeldes eine Rolle?
Es gibt sicherlich Formen des Scheiterns, bei denen die subjektive und die gesellschaftliche Einschätzung übereinstimmen, wenn zum Beispiel ein Spitzenmanager einen Machtkampf im Unternehmen verliert und gehen muss. Aber es gibt auch subjektives Scheitern, das andere Menschen nie als solches verstehen würden. Wenn jemand seit seiner Jugend davon träumt, unbedingt eine Spitzenkarriere zu machen, aber nicht über die Leitung einer Abteilung hinauskommt, dann ist er in seinen Augen vielleicht gescheitert, niemand sonst würde ihn aber als Versager sehen. Das Scheitern ist in diesem Fall die Diskrepanz zwischen dem, was man persönlich als Erfolg antizipiert hatte, und dem, was man tatsächlich erreicht hat.
Warum tun wir uns so schwer, Niederlagen selbst einzugestehen, also zu sagen: „Hier bin ich gescheitert“?
Nicht jeder Misserfolg ist ein Scheitern. Aber es gibt in der Tat psychologische Mechanismen, wie man auf suboptimale Ergebnisse oder Misserfolge reagiert. Und darin unterscheiden sich die Menschen – nämlich zum Beispiel, ob sie was aus dem Misserfolg lernen oder misserfolgsresistent durch die Gegend rennen.
Wie reagieren tendenziell Führungskräfte auf Misserfolge?
Bei Menschen mit großer Verantwortung haben Sie in der Regel eine hohe Ausprägung von hedonistischer Verzerrung.
Was ist das?
Stellen Sie sich vor, Sie treffen eine Entscheidung. Diese kann ein Erfolg oder Misserfolg sein. Wenn es ein Erfolg ist, halten Sie sich für einen tollen Hecht und bilden sich viel auf Ihre Kompetenz oder Hartnäckigkeit ein. Das führt dazu, dass man sich selbst gut vorkommt, eine Veränderungsresistenz bildet und die Menschen in seiner Umgebung ein wenig abwertet.
Und was passiert bei einem Misserfolg?
In der Regel schiebt man die Verantwortung dafür auf jemand anderes ab oder macht äußere Umstände, die man vorher nicht sehen oder beeinflussen konnte, verantwortlich. Und wenn es gar nicht anderes geht, sagt sich die Führungskraft, dass bei jedem mal ein Misserfolg vorkommen kann. Die hedonistische Verzerrung ist notwendig, um mit großer Verantwortung umgehen zu können, sonst wäre sie zu belastend. Sie führt aber ebenfalls dazu, dass man aus Misserfolgen nichts lernt: Denn wenn die anderen schuld sind, dann ist es ja nicht meine Aufgabe, mich zu verändern.
Und neigen Männer eher zur hedonistischen Verzerrung als Frauen?
Ja. Männer lernen tendenziell weniger aus suboptimalen Ergebnissen als Frauen, die stärker dazu neigen, auch Misserfolge sich selbst zuzuschreiben.
Ist das auch ein Grund dafür, warum es mehr Männer in Führungspositionen gibt?
Das kann sein. Das Entscheidende ist: Ohne eine gewisse hedonistische Verzerrung kann man mit Verantwortung nicht umgehen. Ein Manager trifft eine Vielzahl an Entscheidungen, einige davon sind sicherlich suboptimal. Daran kann er jedoch nicht die ganze Zeit denken, sonst hält er seinen Job nicht durch. Wenn allerdings die Verzerrung überhand nimmt, kommt man sich zwar als toller Hecht vor, irgendwann ist man jedoch der Einzige, der das so sieht.
Ist es also grundsätzlich gut, wenn jemand in seiner Karriere Niederlagen erlebt hat, weil man aus ihnen lernen kann?
Ja. Wenn jemand relativ spät zum ersten Mal in seinem Leben scheitert, sagen wir mit 40, wird er damit meist nur schlecht umgehen können.
Warum wird es umso schwieriger mit dem Misserfolg umzugehen, je älter man ist?
Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer katastrophalen Situation – es ist die erste Ihres Lebens – und Sie haben noch nie erlebt, dass man daraus neu gestärkt hervorgehen kann. Wenn Sie 40 oder älter sind, dann hängt an diesem Scheitern viel dran und es ist schwieriger, den Optimismus zu bewahren. Wenn es Ihnen mit 18 passiert, ist es wesentlich weniger dramatisch, weil in der Regel geringere Konsequenzen damit verbunden sind. Und aus dem Erleben – „Auch das habe ich geschafft“ – schöpft man dann viel Kraft für später.