Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dauert es noch viele Jahre, bis Frauen weltweit die gleichen Chancen, Gehälter und Rechte haben wie ihre männlichen Zeitgenossen. Mirijam Trunk möchte, dass wir hierzulande nicht so lange darauf warten müssen. Die 31-Jährige ist Chief Crossmedia Officer bei RTL Deutschland und verantwortet seit 2022 zusätzlich den Bereich Nachhaltigkeit, Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion des Kölner Medienunternehmens.
Nun gibt es schon sehr viele (ziemlich gute) Publikationen zum Thema Vielfalt – etwa Christiane Funkens Sheconomy, Carolin Kebekus’ Es kann nur eine geben oder Alice Hasters Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten. Was kann Trunk also Neues zu diesem Diskurs beitragen?
Das Neue sind in diesem Fall ihre persönlichen Karriereerfahrungen. Also Dinge, die sie auf ihrem Weg von der Reporterin über die Geschäftsführung der Bertelsmann Audio Alliance bis hin zu ihrer aktuellen Position bei RTL Deutschland gelernt hat – und so lautet der Titel ihres Sachbuch-Debüts auch Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte.
Um ihre eigene Perspektive als weiße, westdeutsche, nicht behinderte Frau zu erweitern, hat sie weitere Frauen aus ihrem Netzwerk kontaktiert – darunter etwa Bestsellerautorin Tupoka Ogette, Unternehmerin Tijen Onaran, Influencerin Louisa Dellert – und erfolgreiche Managerinnen wie Fintech-Gründerin Miriam Wohlfarth, Aufsichtsrätin Simone Menne oder DB-Cargo-Vorstandsvorsitzende Sigrid Nikutta.
Die Gespräche lässt sie mittels Zitatpassagen in ihren Text einfließen und verbindet sie mit ihren persönlichen Anekdoten, um dann die Evidenz mit einem Netz an Studienergebnissen, Zahlen und Fakten zu erweitern. Insgesamt 15 Frauen hat sie im Verlauf gesprochen, allesamt in „Positionen relevanter Mitbestimmung“. Diese Wendung fällt öfter im Text, sie ist der Leitstern des Anliegens – Trunk möchte die Hürden für Frauen abbauen. Dabei geht es nicht zwingend um eine steile Karriere, sondern um Chancengleichheit. Damit wendet sie sich mit ihrem Buch auch an Männer, die mit ihrer Rolle als Versorger fremdeln. Am Ende folgt ein Appell an all jene Verbündete und Mentoren, die sich dieses Buch hoffentlich zu Gemüte geführt haben, um ihre Macht einzusetzen, damit sich etwas ändert: „Wenn ihr an einem Tisch mit Entscheidern sitzt und rechts, links und gegenüber sehen alle aus wie ihr selbst: sagt etwas.“
Aber die vordergründige Lesart ist dann doch die eines Karriereratgebers. Dieser wendet sich mitunter direkt an die Leserinnen und formuliert Tipps wie: Hinterfrage es, als loyal gelten zu wollen, fechte nicht jeden Kampf aus, setze Grenzen, rede über deine Erfolge, finde deinen Drive. Sie präsentiert ihre Erzählung äußerst strukturiert in Kurzkapiteln und Listen. Besonders gelungen ist der Auftakt über Sprache. Darin geht sie Begriffe durch, mit denen Frauen versehen werden, wie „emotional“, „schwierig“ oder „loyal“, die jedoch dringend hinterfragt werden sollten. Es folgen Hinweise für authentisches und profitables Netzwerken und schlussendlich die Spielregeln im Machtsystem. Sie vermittelt, dass es keine Gerechtigkeit gibt, wenn es um Macht geht: Diskriminierte Gruppen müssen viel mehr als privilegierte tun, um voranzukommen. Das gilt es anzuerkennen, um sich dann auf die eigenen Möglichkeiten zu besinnen. Denn wir müssen weg von dem Bild, dass eine Frau im Vorstand reicht, um diesen divers zu machen. Trunk verweist hier auf verschiedene Kinderserien, die repräsentieren, was viele für normal halten: Eine Schlumpfine bei den Schlümpfen, eine Hermine im Harry-Potter-Kosmos, eine Gaby bei TKKG. Damit sich wirklich etwas bewegt, braucht es mehr als eine Frau in einer Männerrunde.
Sie schreibt pointiert, verständlich und strukturiert. Trotz des ernsten Hintergrunds gelingt ihr eine vergnügte Lockerheit, und sie versucht, nicht durch Wissen zu beeindrucken, sondern erklärt anschaulich. Ihr Stil bleibt dabei nah an ihrer persönlichen, gesprochenen Sprache und so treffen wir also neben faktenreichen Studienauswertungen auch auf Wendungen wie „kacke“, „hardcore“ oder „crazy“. Etwas lieblos zusammengeschrieben ist das Kapitel über „Gendergerechte Sprache“ und manchmal treffen wir auf Unsinnigkeiten wie „weibliche Managerinnen“. Doch das Anliegen dieses Projekts ist voll erfüllt worden: „Männer sind das DIN-A4-Blatt, die Norm, der Prototyp, das Normal in der Arbeitswelt“, schreibt Trunk. Die aktuelle Herausforderung sei also, einen neuen Standard zu definieren: „Denn alle im DIN-A4-Format ist keine Option.“
Mirijam Trunk, Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte. Penguin Verlag, 22 Euro, 320 Seiten. Erschienen im März 2023.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Spielen. Das Heft können Sie hier bestellen.