Gender Diversity: Wie gelingt eine Karriere ohne Barriere?

Leadership

Das Geschlecht spielt in Deutschland noch immer eine erhebliche Rolle im Berufsleben. Insbesondere für Frauen gehören Lohnunterschiede, Rollenklischees und Sexismus zum beruflichen Alltag. Klare Richtlinien im Hinblick auf Gender Diversity und ihre konsequente Umsetzung sorgen in Unternehmen für mehr Fairness und Teilhabe.

Diskriminiert, diffamiert und sexuell belästigt: Gleichberechtigung im Beruf scheint für viele Frauen noch immer ein weit entferntes Ziel. Obwohl viele Hürden bereits gefallen sind, gilt Gender Diversity in zahlreichen deutschen Betrieben weiterhin als Fremdwort. Rechtliche Vorgaben wie das Entgelttransparenzgesetz haben daran bislang nur bedingt etwas geändert. So verdienten Frauen im Jahr 2020 nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Schnitt immer noch 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Statistik besagt außerdem, dass sich in den Führungsetagen nach wie vor deutlich mehr Chefs als Chefinnen tummeln. Und selbst sexualisierte Kommentare, Geschlechtstypisierung oder sogar Übergriffe gehören in der Post-MeToo-Ära für viele Mitarbeiterinnen bis heute zur Realität im Job. Wie die Stiftung des Weltwirtschaftsforums (WEF) berichtet, verschärft die Corona-Pandemie diese Situation noch zusätzlich. Deutlich zeigt sich das insbesondere am internationalen Gleichstellungsindex, in dem Deutschland auf Platz elf von 156 fiel. 2006 belegte die Bundesrepublik noch Rang fünf. Kein Wunder also, dass der Ruf nach echtem Wandel in der Arbeitswelt und rechtlichen Rahmenbedingung wie einer allgemein verbindlichen Frauenquote in Führungsetagen lauter wird. Gesetze können in Sachen berufliche Chancengleichheit jedoch nur als Leitplanken für eventuelle Grenzüberschreitungen gelten. Das Wesentliche muss die Unternehmenskultur vorgeben.

Vor dem Gesetz sind alle gleich

Zwischen den Geschlechtern klafft in Deutschland eine der größten Lohnlücken Europas. Als Gründe werden dafür häufig die Unvereinbarkeit von Job und Familie sowie persönliche Präferenzen bei der Berufswahl genannt. So sind beispielsweise soziale oder personennahe Dienstleistungen wie in der Kranken- und Altenpflege oder Drogerie häufig schlechter entlohnt als technische Berufe. Auch längere, familienbedingte Erwerbsunterbrechungen – sei es durch die Geburt des Kindes oder die Pflege von Angehörigen – gehen oft mit Lohnverlusten einher. In diesem Zusammenhang spielen auch Hürden beim Wiedereinstieg ins Berufsleben eine Rolle. Insbesondere Mütter mit minderjährigen Kindern sind aufgrund von Arbeitsbedingungen, -zeiten und -verträgen in vielen Branchen lediglich in Teilzeit beschäftigt oder auf Minijobbasis tätig. Das hat nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Karrierechancen. In zahlreichen Betrieben gelten Spitzenpositionen in Teilzeit oder als Jobsharing-Modell immer noch als unvereinbar. In anderen Unternehmen wiederum hindern Rollenstereotype und geschlechtsspezifische Zuschreibungen bei Arbeitsbewertung, Leistungserfassung oder Stellenbesetzung Frauen am Aufstieg im Job. Dabei hat sich spätestens während der Corona-Pandemie gezeigt: Führungsaufgaben müssen nicht an eine mindestens zehnstündige Präsenz im Büro gebunden sein. Leadership kann auch via Onlineplattform, Videokonferenz und Telefon funktionieren.

Daneben gibt es zahlreiche und viel zitierte Studien, die die Vorteile einer auf Vielfalt basierten Personalpolitik hervorheben. Schließlich verbessert Diversity insbesondere in Frauenfragen mehr als nur das Image als Arbeitgeber. Sie gilt als handfester Wirtschaftsfaktor, der sich direkt in der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens widerspiegelt. Außerdem, so schreibt es das Gesetz vor, ist Chancengleichheit durch Personalpolitik eine direkte Konsequenz verschiedener rechtlicher Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Darin finden sich nicht nur explizite Verbote von sexueller Belästigung, Mobbing und Benachteiligungen in diversen personalpolitischen Kontexten. Das Gesetz schreibt beispielsweise auch Schulungen zur Verhinderung von Diskriminierung vor. Bei Zuwiderhandlungen können Betroffene einen Anspruch auf Entschädigung geltend machen. Für das Unternehmen wird die bewusste oder unbewusste Benachteiligung eines Geschlechts dadurch vor allem zum Kostenfaktor. Insbesondere Verstöße gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung können erhebliche finanzielle Belastungen verursachen. Wenn beispielsweise der Anspruch auf Weihnachtsgeld an scheinbar neutrale Kriterien wie eine Vollzeitbeschäftigung geknüpft ist, weibliche Angestellte dadurch aber mittelbar benachteiligt werden, summieren sich mögliche Zahlungen auf einen hohen Gesamtbetrag. Schließlich ist unter Umständen ein nicht unerheblicher Teil der Belegschaft betroffen.

Ein weiterer rechtlicher Baustein ist das Gesetz zur Förderung der Transparenz in Entgeltstrukturen. Es räumt Beschäftigten in Betrieben ohne Tarifverträge, aber mit mindestens 200 Angestellten, ein Recht auf Auskunft über Gehaltsstrukturen ein. Auch durch die Frauenquote, die auf eine gleichberechtigte Besetzung in Führungspositionen abzielt, hat sich zumindest in den Vorstandsetagen börsennotierter Unternehmen etwas in Richtung Chancengleichheit bewegt. Um dem Ungleichgewicht auf breiterer Fläche entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung zudem Maßnahmen wie den flächendeckenden Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen sowie die Zahlung von Elterngeld und Elterngeldplus in die Wege geleitet.

Leitplanken und neue Konzepte

Neben der Einhaltung bestehender Gesetze und Regularien ist es ebenso wichtig, eine gendergerechte Unternehmenskultur zu entwickeln und Diskriminierung zu verhindern. Vor allem Offenheit und Feingefühl spielen eine große Rolle, beispielsweise beim Thema gleichberechtigte Sprache im Unternehmen. An alten Mustern festzuhalten oder ein lapidares „Die Sternchen nerven“ blockiert tendenziell eher, als dass es hilft. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass in der Schweiz das Frauenwahlrecht bis 1971 nicht anerkannt wurde, weil die Verfassung nicht gendergerecht formuliert war. Gleiche Rechte existierten bis dahin nur für „Schweizer“, nicht aber für „Schweizerinnen“. Unternehmen sollten daher aktiv Veränderungsprozesse anstoßen, indem sie vermeintliche Traditionen, alte Strukturen und zugewiesene Rollenklischees hinterfragen. In der externen und internen Kommunikation auf das generische Maskulinum zu verzichten, genügt nicht. Vielmehr braucht es ein generelles Verständnis für bestehende Nachteile, die das Grundgesetz ausdrücklich als solche anerkennt.

Neuere Konzepte, die Fair Language mit Integration, Prävention und Gleichstellungscoaching verbinden, zeigen in diesem Zusammenhang bereits in einigen Betrieben Wirkung. Neben der Definition von geschlechtspolitischen Zielen gilt es bei einem solchen Vorgehen, den Istzustand zu analysieren, konkrete Hemmnisse wie diskriminierende Verfahren oder Praktiken zu identifizieren und daraus Alternativen abzuleiten. Dazu müssen sich Verantwortliche unter anderem mit Stellenausschreibungen, Auswahlverfahren, Personalführung, Gehaltsfragen und Arbeitszeitmodellen beschäftigen, um entsprechende Lösungsansätze zu erarbeiten. Die Einrichtung einer Beschwerdestelle gehört beispielsweise ebenso dazu wie Sensibilisierungstrainings. Im Hinblick auf die Digitalisierung, den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel sollte der Maßnahmenkatalog auch anonymisierte Recruiting-Prozesse sowie einen verbindlichen Code of Conduct beinhalten. Letzteres definiert klare Verhaltenslinien, Werte und Sanktionen bei Verstößen. Steht diese gemeinsame Vision, kann sie im nächsten Schritt allerdings nur zur Realität werden, wenn sie im täglichen Miteinander auch gelebt wird. Es sind alle gefragt, sich aktiv gegen Diskriminierung sowie für eine offene und inklusive Kultur einzusetzen, in der alle Geschlechter jederzeit auf Augenhöhe zusammenarbeiten können.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Gender. Das Heft können Sie hier bestellen.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Felix Korten, Rechtsanwalt

Felix Korten

Felix Korten ist Rechtsanwalt und Vorstand der Kanzlei Korten Rechtsanwälte mit Standorten in Hamburg, München und Göttingen. Der Jurist verfügt über langjährige Erfahrung als Geschäftsführer mehrerer Gesellschaften. 2021 wurde er in den Senat der Wirtschaft berufen.

Weitere Artikel