Was meinen Sie: Gibt es sie überhaupt noch, die viel zitierte Lähmschicht? Als der Begriff in den Neunzigern geprägt wurde, war mangelnde Informationsweitergabe durch das mittlere Management das Hauptmerkmal des Schlagwortes. Und, ja, schauen wir genauer hin, hat sich dieser Zustand trotz neuer Kanäle und Technik in vielen Unternehmen kaum geändert – die Kommunikation zwischen den Ebenen läuft schleppend, notwendige Veränderungsimpulse verhallen und teilweise verschwinden wie „von Geisterhand“ relevante und wichtige Informationen, bevor sie die betreffenden Mitarbeitenden erreicht haben.
Undankbare Doppelrolle: Viele Erwartungen, zu wenig Informationen
Wechseln wir einmal die Perspektive und schlüpfen in die Schuhe des mittleren Managements, so sehen wir, dass ihre Doppelrolle keine einfache ist: Auf der einen Seite selbst von den Veränderungen, neuen Ansprüchen der VUCA-Welt und agilen Strukturen innerhalb von „New Work“ betroffen, sollen sie Sprachrohr der Unternehmensleitung sowie Motivator und Initiator für die Mitarbeitenden sein. Zeit zum Luftholen oder Kommunizieren? Oftmals Fehlanzeige. Stattdessen an der Tagesordnung: Überfordernde Szenarien aus zu kommunizierenden Zahlen, Daten und Fakten nach oben und vielen Fragen von Teamleitern oder Mitarbeitenden von unten.
Blicken wir in die Ursachen-Schublade der Lähmungserscheinungen, so tauchen in Interviews und Fokusgruppen-Befragungen Aussagen auf wie „ich wusste nicht, ob ich die Informationen an meine Mitarbeitenden weitergeben darf und soll“, „ich kannte die Erwartungen nicht, was mit den Infos oder Präsentationen geschehen muss“, „ich habe selbst nur die Hälfte der Informationen verstanden, konnte im Führungskräfte-Call dazu aus Projektgründen nicht dabei sein.“
Kurz gesagt: Das mittlere Management wird dann zur Lähmschicht, wenn es zu wenig Informationen bekommt, zu wenig mitgenommen wird, zu wenig versteht. Der eine ist dann entweder selbst wie gelähmt und wählt die Vogel Strauß-Taktik, Kopf in den Sand, nichts passiert. Der andere versucht, seine Rolle auszufüllen und allen gerecht zu werden, scheitert aber am Ende auch. Zwangsläufig. An sich oder an der Menge des Drucks. Noch ein anderer macht einfach weiter wie bisher, hält dabei die wenigen verfügbaren Informationen zurück, um wenigstens noch einen kleinen Teil seiner Machtposition behaupten zu können.
Rollen mit Leben füllen
Und die Lösung? Was braucht es, damit gern, offen und an den richtigen Stellen kommuniziert wird? Unsere Erfahrung sagt: In erster Linie operative Umsetzungs-Hilfe und Befähigung für die Führungskräfte, um die eigenen Rollen mit Leben füllen zu können. Was jeder Einzelne brauchen kann, wird dann meist erst im direkten Gespräch klar:
- Mangelt es an wichtigen Informationen?
- Ist unklar, ob und welche Informationen weitergegeben werden können und sollen?
- Fehlt die Zeit, mit den Mitarbeitern zu kommunizieren?
- Hab ich als Führungskraft vielleicht notwendige Skills in Sachen Kommunikation noch nicht?
- Oder ist drohender Machtverlust ein Thema?
Wie kann HR das mittlere Management unterstützen?
Sowohl die Interne Kommunikation als auch Human Resources sind dann gefragt, Unterstützung zu geben. Konkrete Angebote könnten sein:
1. Zeit geben: Sorgen Sie in Gesprächen mit Ihrer Geschäftsführung dafür, den Führungskräften Zeit und Raum zu geben, um mit den Mitarbeitenden kommunizieren zu können. Vor allem in Veränderungsprozessen erhöht sich der Aufwand für Kommunikation um ein x-faches.
2. Bewusst machen: Oft ist Führungskräften nicht selbstverständlich klar, wie intensiv der Informationsbedarf der Kolleginnen und Kollegen der Ebenen darunter ist und welche Relevanz auch Themen haben, die vordergründig mit dem Tagesgeschäft nichts zu tun haben. Die alltägliche Distanz zwischen Geschäftsführung und Mitarbeitern sorgt schnell dafür, dass der Informations- und Beteiligungsbedarf der Mitarbeiterschaft unterschätzt wird. Weiterer wichtiger Punkt: Auch die Führungskräfte sind Betroffene der Veränderungen, müssen verstehen, was diese für sie persönlich bedeuten. Tun sie das nicht, tragen sie die Veränderungen womöglich nicht mit und halten Informationen zurück, um ihre Position zu sichern – eine Lähmschicht entsteht. Adressieren Sie daher die Führungskräfte in ihrer Kommunikation direkt, erklären Sie die persönlichen Konsequenzen und initiieren Sie einen Austausch.
3. Führungskräfte befähigen: Sich selbst einzugestehen, dass man im kommunikativen Bereich vielleicht noch die eine oder andere Schwäche hat, fällt nicht jedem leicht. Führungskräfte müssen deshalb ermuntert werden, sich in ihren Kompetenzen weiterzubilden und etwaige Bedarfe anzumelden. Egal, ob systemisches Coaching oder Technikschulung – die Erwartungen an das mittlere Management sind von allen Seiten hoch. Human Resources sollte die Führungskräfte ganz aktiv dabei unterstützen, im ersten Schritt die eigene Stabilität zu finden, um dann als Stabilisatoren im Gesamtsystem fungieren zu können.
4. Informationen suchen und sammeln: Manchmal müssen Informationen im ersten Schritt gesucht werden, um sie dann aufbereiten und wieder verteilen zu können. Aus ihrer übergeordneten Funktion heraus können die Interne Kommunikation oder auch HR diese Arbeit übernehmen und daraus die passenden Materialien für die Führungsebenen bereitstellen (Achtung: Bitte kein Gießkannen-Prinzip über alle Ebenen.).
5. Stimmungen erspüren: Eine Interne Kommunikation und auch HR horchen in alle Bereiche des Unternehmens hinein und kennen Stimmungen und Schwingungen. Wer braucht was in welcher Form? Wo stehen Änderungen an? Welcher Bereich scheint gerade in der Kommunikation noch Nachholbedarf zu haben und braucht eine helfende Hand? Dazu zählt im besten Falle dann auch die operative Unterstützung bei der Organisation von neuen Formaten für bestimmte Bereiche oder der Einrichtung von Kanälen für das gesamte Unternehmen.
Wer Bewegung in die sogenannte Lähmschicht bringen möchte, muss in Kommunikation und Kompetenzen investieren. Es lohnt sich, das mittlere Management als besonders relevante Zielgruppe im Unternehmen zu erkennen und entsprechend zu unterstützen. Dazu gehört auch eine gute Portion Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen und der Mut zur Fehlerkultur. Doch es lohnt sich, denn Motivation und Engagement auf allen Ebenen sind am Ende des Weges die Belohnung für Mühe, Schweiß und auch so manche Leidensträne.