„Trust Rocks“ ist mein Motto auf Linkedin, in meiner Forschung und auch in meinem Leben. Das hört sich auf den ersten Blick beschwingt und richtig an – wer könnte schon etwas gegen Vertrauen haben? Es fordert aber auf den zweiten Blick durchaus eine Begründung – zumal, wenn dies der Wahlspruch einer Ökonomin ist. Vertrauen, der Wille sich verletzlich zu zeigen, sich auf eine andere Person (oder auch eine Organisation) ohne Sicherheitsnetz einzulassen, ist nämlich durchaus auch gefährlich. Wer vertraut, riskiert enttäuscht und betrogen zu werden. Und dieses Risiko lässt sich auch nicht absichern – der Vertrauenssprung bleibt ein mutiger Akt, der meist „nur“ durch Erfahrung, Intuition oder Gefühle angeregt wird. Zudem ist Vertrauen eine Beziehungsvariable. Um Vertrauen zu schaffen, müssen wir hart daran arbeiten oder ökonomisch ausgedrückt: Es muss erst investiert werden, bevor man eine Rendite erwarten kann. Was also verleitet mich trotz allem zu sagen, dass sich die Investition lohnt?
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Evidenzbasiert habe ich natürlich viele Studien auf meiner Seite. In einem Artikel im Harvard Business Review argumentiert Paul Zak, dass hohes Vertrauen in Unternehmen Stress um 74 Prozent reduziert, die Mitarbeiterproduktivität um 50 Prozent steigert und zu 76 Prozent mehr Engagement führt. Im Edelman Vertrauensbarometer heißt es, dass Mitarbeitende, die vertrauen, sich innerlich viel enger mit ihrem Arbeitgeber verbunden sehen und auch öffentlich für das Unternehmen eintreten. In einer Meta-Analyse wissenschaftlicher Studien zum Beitrag von Vertrauen kommt Jason Colquitt zwar auf etwas niedrigere Zusammenhänge, kann aber im Kern die Aussagen stützen. Zudem wirkt sich nach seiner Studie Vertrauen in die Führung auch positiv auf die Bereitschaft aus, im Unternehmen mutige Wege zu gehen – eine Verhaltensweise, die gerade in einer VUCA-Welt von grosser Bedeutung ist. Schliesslich zeigen Ökonomen wie Jeffrey Dyer, dass belastbares Vertrauen Transaktionskosten senkt – das ist von hohem Wert in einer Welt, die immer mehr auf Kooperation zwischen Organisationen setzt.
Das sind die nackten Fakten. Aber darüber hinaus: Vertrauen ist auch unabdingbare Voraussetzung für Resilienz und Agilität – beides Faktoren, die in der neuen Normalität zur DNA eines erfolgreichen Geschäftsmodells gehören.
Warum Vertrauen gerade in Krisen entscheidend ist
Krisen sind Prüfsteine für die organisationale Resilienz, die Widerstandsfähigkeit von Organisationen also, in Krisen zu überleben, sich an neue Situationen anzupassen und allenfalls sogar gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Möglich wird eine solche Resilienz, wenn die Organisationsmitglieder Wege aus der psychischen Bedrohung einer Krise finden. Krisen machen Angst, sie sind beunruhigend und sie führen in einer ersten Reaktion fast immer dazu, dass wir Menschen unsere Amygdala (Mandelhirn) bemühen und auf Flucht oder Kampf umstellen. Erst, wenn es gelingt, psychische Schutzfaktoren einzuschalten, können Analyse und Erarbeitung von Lösungskonzepten beginnen. Grundlegend hierfür ist Vertrauen. Und zwar Vertrauen in die Führung und Vertrauen darin, dass die Organisation und ihr Führungspersonal überlebensnotwendige Maßnahmen eingeleitet haben und sich – wenn auch allenfalls nur auf Sichtweite – in der neuen Situation zu bewegen weiß. Aber das allein reicht noch nicht. In einem zweiten Schritt braucht es die Köpfe, Hände und Herzen aller Mitarbeitenden: nur gemeinsam kann man neue Kosten-Einsparpotenziale ergründen, Prozesse umstellen oder neue Kunden ansprechen. Für den Wandel zu einer wie auch immer gearteten neuen Normalität braucht es also zusätzlich Freiräume und Vertrauen – Führungskräfte müssen lernen, Vertrauen zu schenken. Organisationale Resilienz wird nur zur Realität, wenn wir Vertrauen doppelt beherrschen: Wenn wir das Vertrauen (Herz und Kopf) der Mitarbeitenden gewinnen, gleichzeitig aber auch den Mut finden, Vertrauen großzügig zu schenken.
Agilität kann ohne Vertrauen nicht gelingen
Vertrauen ist gleichsam auch die wichtigste Währung in einem agilen Umfeld. Schon im agilen Manifest wird Vertrauen in Menschen, „in motivierte Individuen“, als Grundwert postuliert. Aber auch die (Personal-)Führungskonzepte, die als agilitätskonform gesehen werden, sind ohne Vertrauen nicht möglich. Agilität baut auf Selbstständigkeit auf – in agilen Methoden sind Teams für die „kundenorientierte Rundumbearbeitung“ verantwortlich und agile Organisationen nutzen dezentrale Koordinationsinstrumente, um Selbstorganisation zu ermöglichen. Das setzt aber voraus, dass man willig ist zu delegieren, Macht zu teilen, sich auf die Mitarbeitenden zu verlassen – es braucht also auch hier eine gehörige Portion „top-down“-Vertrauen. Zudem lebt Agilität von der Experimentierfreudigkeit und der Lernfähigkeit aller Beteiligten. Diese sind nicht ohne psychologische Sicherheit zu haben, es bedarf der Überzeugung, dass man „rumspinnen“ und „hinterfragen“ darf und damit, fußend auf Vertrauen, das Andersdenken nicht zu gravierenden persönlichen Nachteilen führt. Schließlich ist immer wieder von „schonungsloser Offenheit“ die Rede. Ein solcher auch als „radical candour“ bezeichneter Umgang erfordert allerdings sozialen Mut. Und er wird nur dort gelingen, wo sich Menschen belastbar und innig vertrauen.
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