Wie in alten Zeiten

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Sieben Könige und Kaiser gehörten zu den Eigentümern der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin. Mehrfach stand eine der ältesten deutschen Manufakturen vor dem Aus. Jetzt versucht ein Bankier mit weißem Gold schwarze Zahlen zu schreiben – ohne Personalabteilung.

Statt aus einem schnöden Pappteller können Currywurstliebhaber jetzt aus feinstem Berliner Porzellan speisen. Die Königliche Porzellanmanufaktur (KPM) hat einer der bekanntesten Erfindungen der Hauptstadt einen angemessenen Untersatz verpasst. Gemeinsam mit Würsten im Glas von Curry 36, einer der berühmtesten Wurstbuden der Stadt, sollen die Porzellanschalen vor allem an Berlin-Touristen verkauft werden und gleichzeitig Botschafter für die KPM und auch die Wurst sein. „Wir haben noch weitere Ideen in der Pipeline“, sagt Maurice Freiherr von Dalwigk, der Bevollmächtigte des KPM-Alleingesellschafters Jörg Woltmann.
Mit ungewöhnlichen Kreationen versucht sich eine der ältesten Manufakturen Deutschlands auf dem weltweiten Porzellanmarkt als lifestyleorientierte Luxusmarke zu behaupten. So fertigte die KPM etwa auch für die Handtaschen des italienischen Luxus-Labels Bottega Veneta Porzellanmedaillons. Und Edelkarossen von Bugatti wurden mit Tankdeckeln und Radkappen aus königlichem Porzellan verfeinert.

Die KPM hat eine wechselvolle und zuweilen turbulente Geschichte. Sie war im Eigentum von sieben deutschen Königen und Kaisern, jahrzehntelang im Staatsbesitz und stand in ihrer Geschichte mehrfach vor dem Aus. Seit 2006 versucht der Berliner Bankier Jörg Woltmann, das Haus wirtschaftlich voran zu bringen. Kein einfaches Unterfangen, schließlich schreibt es schon seit Jahrzehnten rote Zahlen. Erreichen wollte der Eigentümer sein Ziel eigentlich 2013, im Jahr des 250. Firmenjubiläums. Doch die Konsolidierung läuft noch. „Es ist wie mit dem Hausbau: Es dauert länger und ist teurer als geplant“, zitiert von Dalwigk den Eigentümer.
Der Porzellanmarkt ist schwierig. Billiganbieter, sich verändernde Essgewohnheiten und Familienstrukturen machen vielen Herstellern das Leben schwer. „Wer kauft heute noch ein Porzellanservice für zwölf Personen?“, fragt von Dalwigk. Es habe Zeiten gegeben, da habe ein Tafelservice von KPM in beinahe jeden bürgerlichen Haushalt Berlins gehört. Heute sei das anders. „Viele Familien sind Patchworkfamilien. Das macht sich auch auf den Tischen bemerkbar“, sagt er.

Im Archiv sind rund 150.000 Formen

Auch andere Hersteller wie die erst 1992 gegründete Porzellanmanufaktur Hering Berlin seien eine Herausforderung. Gründerin Stefanie Hering hat sich auf das gesellschaftliche Umfeld eingestellt und sich vom starren Service-Begriff gelöst. Das Geschirr ihrer Kollektionen ist miteinander kombinierbar.

„Hering Berlin konnte eine Manufaktur auf der grünen Wiese gründen. Wir bringen eine lange Tradition und ein großes Erbe mit“, beschreibt van Dalwigk einen gravierenden Unterschied. Von solch einem Erbe könne man sich nicht einfach lösen. Tafelservices verschiedenster Epochen wie Rokkoko, Klassizismus bis hin zu Jugendstil und neuer Sachlichkeit sind neben figürlichem Porzellan auch heute noch die wichtigsten Produkte des Hauses.

Von den zehn verschiedenen Service-Serien im Angebot wurden drei bereits unter dem Gründer der KPM, Friedrich dem Großen, entwickelt. Das Manufakturarchiv umfasst heute rund 150.000 Formen. Nicht verwunderlich daher auch der Anspruch, dass jedes fehlende Teil eines Services – und sei es auch noch so alt – nachbestellt werden kann.

Friedrich der Große war Gründer und der beste Kunde

Der Porzellanliebhaber Friedrich der Große, auch „Alter Fritz“ genannt, hatte die Manufaktur 1763 vom insolventen Seidenfabrikanten und Kunsthändler Johann Ernst Gotzkowsky übernommen, ihr den heutigen Namen und dem Porzellan das kobaltblaue Zepter als Logo gegeben. Der König war sein eigener bester Kunde: „Im Laufe der Jahre bestellte er für seine 21 Schlösser Tafelservices mit bis zu 450 Teilen“, erzählt Unternehmenssprecherin Theresa Haala.

Auch heute speisen laut von Dalwigk viele Staatslenker von Ost bis West von dem königlichen Porzellan. Doch um weitere und neue Käufergruppen anzusprechen, muss die KPM kreativ sein. „Wir wollen einzelne Serien um Ergänzungsprodukte erweitern“, sagt er. Man müsse immer wieder neue Impulse setzen und mit neuen Themen Interesse für das Gesamtthema wecken. Hoffnungen setze er auch in den Trend zum Selberkochen: „Die Leute legen auch viel Wert auf eine hochwertige Küchenausstattung, dazu gehört auch gutes Geschirr.“

Neben dem deutschen Markt will das Unternehmen mit einem derzeitigen Jahresumsatz von etwa zehn Millionen Euro auch im Ausland stärker wachsen. In 16 Länder werde derzeit exportiert, sagt Haala. Dazu zählen vor allem Japan, China, Taiwan und die USA. Aber auch Südostasien und der Nahe Osten gehören zu wichtigen Märkten. Dass ausgerechnet Chinesen, die Erfinder des Porzellans, deutsche Produkte kaufen, verwundert bei der KPM niemanden. „Chinesen lieben deutsches Porzellan“, sagt Haala. Das macht sich auch die älteste der deutschen Porzellanmanufakturen zunutze: Die Luxusmarke Meißen eröffnete 2013 ihre erste Boutique in Shanghai.

Der Aufbau von neuen Vertriebswegen sei seit dem Kauf des Unternehmens 2006 eine der wichtigsten Aufgaben der KPM, erläutert von Dalwigk. Bis 2004 war die Manufaktur im Besitz des Landes Berlin. „Das Land hat mächtig investiert und den Grundstein gelegt für die Weiterentwicklung des Unternehmens. In verschiedenen Bereichen gab es aber extremen Nachholbedarf“, sagt er. Daher seien Umstrukturierungen nötig gewesen. In Vertrieb, Marketing, Design und Produktion seien Führungsebenen neu geordnet und Verantwortlichkeiten abgesteckt worden. Das Fehlen klarer Strukturen habe vorher auch die Kommunikation untereinander erschwert, ergänzt Haala. Kündigungen habe es bei der Übernahme nicht gegeben, nur eine natürliche Fluktuation im Laufe der Jahre.

Den heute noch rund 150 von damals etwa 170 Mitarbeitern dürften diese Veränderungen relativ sanft erschienen sein, ging es doch in den Vorjahren deutlich turbulenter zu. Vor der Ära Woltmann hatten sich binnen zwölf Jahren neun Geschäftsführer die Klinke in die Hand gegeben. 2004 hatte der Kaiser-Urenkel Franz Wilhelm Prinz von Preußen den Betrieb gekauft. Doch der Erfolg blieb aus. Woltmann, der das Geschäft mit seiner Bank finanziert hatte, rettete die KPM schließlich selbst mit 13,5 Millionen Euro. Er kaufte einen Teil des alten Werksgeländes in Berlin-Tiergarten zurück und steckte weitere Millionen in den Betrieb.
In Berlin-Tiergarten, direkt am Spreeufer, steht die Manufaktur seit 1873. Die Lage war damals besonders günstig. Rohstoffe und Produkte konnten gut per Schiff transportiert werden. Vieles erinnert heute noch an die Vergangenheit, zum Beispiel die historische, 1.000 Quadratmeter große Ringkammer-Ofenhalle, in der eine Verkaufsausstellung untergebracht ist.
Auch in der benachbarten Manufaktur lebt die Tradition fort. „Wir haben zwar moderne Maschinen, aber viele Arbeitsschritte laufen heute noch so ab wie früher“, erzählt Haala bei einem Rundgang. Beim Mischen der Rohstoffe im Keller helfen heute Maschinen – wie auch beim Transport der flüssigen Porzellanmasse, die aussieht wie Schlagsahne. Per Hand füllen Arbeiter die Masse aber mit Schläuchen oder Kannen in die Gipsformen, die ebenfalls manuell hergestellt werden. Viele Teile werden gegossen, andere aber auch noch gedreht.

Personal ist schwer zu finden

Auch bei der Glasur kommen Maschinen nur teilweise zum Einsatz: „Das geht nur bei flachen Stücken wie etwa Tellern“, erläutert die Sprecherin. Den Rest erledigt ein Mitarbeiter: Jedes Teil taucht er mit zwei Fingern geschickt in einen großen Bottich und schwenkt es anschließend kurz mit einer geschickten Bewegung aus dem Handgelenk, damit sich die Glasur gut verteilt. Vor dem zweiten Brenndurchgang bürstet ein Kollege die Glasur am Boden der Teller, Tassen und vielen anderen Stücke sorgfältig ab, damit sich der Belag im fast 1.000 Grad Celsius heißen Ofen nicht mit den Abstellflächen verbindet und die Teile ankleben. Dass das blaue Zepter per Hand gestempelt wird, versteht sich beinahe von selbst. Auch die Verzierungen und Malereien entstehen in Handarbeit.

Auf dem freien Markt gutes Personal zu finden sei schwierig: „Wir können nicht einfach eine Stellenanzeige bei Monster schalten“, sagt von Dalwigk mit Blick auf die sehr spezialisierten und künstlerischen Tätigkeiten. Die KPM bilde ihre Porzellanmaler, Industriekeramiker und Gipsformgießer seit jeher am liebsten selbst aus. Das sei oft ein langwieriger Prozess: „Die Ausbildung zum Porzellanmaler dauert dreieinhalb Jahre. Bis er eigenständig Projekte übernehmen kann, braucht er noch einmal so lang.“

Eine HR-Abteilung hat das Unternehmen nicht. „Dafür sind wir einfach zu klein“, sagt der Beauftragte. Die Rekrutierung von Mitarbeitern übernähmen die Abteilungsleiter zusammen mit der Geschäftsführung selbst, ergänzt Haala. Die Personalsuche laufe oft auch über persönliche Kontakte. „Wir sind eine kleine Branche. Da fragt man auch mal im Freundeskreis“, so die Sprecherin.

Wissen behutsam weitergeben

Bei KPM ist alles etwas langsamer – wie aus einer vergangenen Zeit. Der Großteil der Mitarbeiter ist in der Produktion und Malerei tätig und das oft schon seit Jahrzehnten. „Wir müssen unser Personal in einer anderen Art und Weise managen“, betont von Dalwigk. Wir wollen die traditionellen Fertigungsverfahren und unser Wissen bewahren und weitergeben – immer wieder behutsam an die nächste Generation.“ Es gehe darum, keine Lücken entstehen zu lassen, die zu Problemen führen könnten.

Dass ein mittelständisches Unternehmen dieser Größe keine Personalabteilung hat, sei nicht außergewöhnlich und zwangsläufig problematisch, sagt Mittelstandsberater Rainer Nollens. „Wenn der Chef die Firma gut im Griff hat, kann sie auch ohne HR-Abteilung funktionieren“, sagt er. Es gebe durchaus Firmen mit flachen Hierarchien, die auch ohne Personalabteilung liefen. Unter den Unternehmen mit einer entsprechenden HR-Abteilung gebe es große Unterschiede. In manchen liege der Schwerpunkt auf der Buchhaltung und juristischer Expertise. „Andere haben eine professionelle Personalentwicklung“, sagt Nollens.

Die viele Handarbeit – zum Teil sind pro Produkt hunderte Handgriffe nötig – machen das Berliner Porzellan teuer. Modernste Technik wie etwa 3-D-Drucker oder Computer, die beim Entwerfen neuer Formen helfen könnten, sucht man bei der KPM vergebens. Aber gerade diese Handarbeit sei ein wichtiges Attribut, mit dem die KPM punkten könne, ergänzt von Dalwigk. „Handmade in Berlin – diese Botschaft wollen wir raustragen.“
Um der hochwertigen Handarbeit deutschlandweit wieder ein Gesicht zu geben, habe die KPM mit weiteren Manufakturen vor fünf Jahren die Initiative „Deutsche Manufakturen. Handmade-in-Germany“ gegründet, erzählt von Dalwigk. Die Initiative hat inzwischen 25 Mitglieder, darunter die Accente Möbelwerke, den Manschettenknopfhersteller Deumer, den Handschuhproduzenten Roeckl oder Graf von Faber-Castell. Im vergangenen Jahr präsentierten sich zahlreiche Manufakturen erstmals gemeinsam bei einer Leistungsschau auf dem KPM-Gelände. Auch in diesem Jahr lädt die KPM wieder zu einer solchen Ausstellung ein.Von Dalwigk ist zuversichtlich, dass die Tradition hier weiter Bestand hat: „Jörg Woltmann gibt dem Unternehmen die Zeit, die es braucht. Es gehe nicht um einen Sprint, sondern eher um einen Langstreckenlauf.“

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Anja Sokolow

Anja Sokolow

Journalistin

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