Arbeitgeber oder Staat: Wer zahlt für Quarantäne?

Arbeitsrecht

Nach §§28,30 Abs.1 IfSG werden notwendige Schutzmaßnahmen – vor allem die vorsorgliche Quarantäne – bereits gegenüber Personen veranlasst, bei denen ein Verdacht einer Ansteckung mit Covid-19 besteht. Trifft die vorsorgliche Quarantäne einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin, kann es sein, dass er oder sie im Homeoffice Arbeitsleistungen erbringen kann. Ist die Tätigkeit im Homeoffice jedoch nicht möglich, stellen sich zwei Fragen: Hat der oder die häuslich abgesonderte Beschäftigte einen Entgeltanspruch? Wer hat die wirtschaftliche Belastung aus dem Entgeltsanspruch zu tragen?

Hat der oder die häuslich abgesonderte Beschäftigte einen Entgeltanspruch?

Im Arbeitsrecht existiert der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“. Bei einer vorsorglichen Quarantäne nach §30 IfSG hätte der Grundsatz für den oder die häuslich abgesonderte Beschäftigte, der beziehungsweise die keine Arbeitsleistung im Homeoffice erbringen kann, zur Folge, dass mangels Arbeitsleistung kein Entgeltanspruch besteht. Der Grundsatz kennt jedoch einige Ausnahmekonstellationen. Unter anderem sollen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei einem Verdienstausfall in Folge einer vorsorglichen Quarantäne nicht schutzlos bleiben. Aus diesem Grund kann nach dem Infektionsschutzgesetz ein Entschädigungsanspruch bestehen (§56 Abs.1 S.2 IfSG). Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs ist, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitsnehmerin durch die Quarantäne einen Verdienstausfall erleidet. Besteht der Entschädigungsanspruch, fungiert der Arbeitgeber als Zahlstelle. Für bis zu sechs Wochen zahlt er die Entschädigung an den oder die Beschäftigte und führt die Sozialversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle ab (§56 Abs.5 S.1, §57 Abs.1 S.4 IfSG). Die Beschäftigten sind bei einer vorsorglichen Quarantäne also gegen einen Verdienstausfall abgesichert.

Wer hat die wirtschaftliche Belastung aus dem Entgeltsanspruch zu tragen?

Erhält der oder die Beschäftigte eine Entschädigung nach §56 Abs.1 S.2 IfSG sieht das Infektionsschutzgesetz vor, dass die zuständige Behörde dem Arbeitgeber die Entschädigungszahlung und die abgeführten Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten hat (§56 Abs.5 S.3, §57 Abs.1 S.4 2.Halbsatz IfSG). Auf den ersten Blick erscheint das eine klare Rechtslage zu sein. Dennoch musste sich die Gerichtsbarkeit zuletzt mit dem Erstattungsanspruch des Arbeitgebers vermehrt auseinandersetzen. Ganz aktuell hatte das Verwaltungsgericht Koblenz in einem Urteil (Urteil vom 10.05.2021, Az.:3K107/21.KO) einem klagenden Arbeitgeber bei einer 14-tägigen vorsorglichen Quarantäne kein Erstattungsanspruch zusprechen wollen.

Über welchen Sachverhalt hatte das Verwaltungsgericht Koblenz konkret zu entscheiden?

Die zuständige Kreisverwaltung nahm an, dass eine Arbeitnehmerin einer Bäckereikette ansteckungsverdächtig ist und ordnete die häusliche Absonderung für insgesamt 14Tage an. Der Arbeitgeber leistete die Entschädigungszahlung nach §56 Abs.1 S.2 IfSG und machte gegenüber der zuständigen Behörde den Erstattungsanspruch geltend. Die zuständige Behörde lehnte jedoch eine Erstattung in voller Höhe ab und verwies darauf, dass der Arbeitgeber für die ersten fünf Tage gemäß §616 S.1 BGB zur Entgeltfortzahlung verpflichtet war. In diesem Zeitraum bestand für die Arbeitnehmerin daher kein Verdienstausfall. Der Arbeitgeber hatte in diesen fünf Tagen nach der Auffassung der zuständigen Behörde also nicht eine Entschädigung nach §56 Abs.1 S.2 IfSG, sondern Entgeltfortzahlung nach §616 S.1 BGB geleistet. Die Arbeitgeberin erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage.

Und was hat das Verwaltungsgericht Koblenz entschieden?

Auch das Verwaltungsgericht Koblenz stellte in seinem Urteil entscheidend auf §616 S.1 BGB ab. Nach dieser Vorschrift bleibt der Vergütungsanspruch eines Arbeitnehmers beziehungsweise einer Arbeitnehmerin aufrechterhalten, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit ohne Verschulden durch einen in seiner Person liegenden Grund verhindert wird. Das Verwaltungsgericht, das sich insoweit der überwiegenden Auffassung angeschlossen hat, hat angenommen, dass auch die vorsorgliche Quarantäne ein Grund in der Person des/der Beschäftigten darstellt. Er oder sie wird dadurch in der Regel an der Arbeitsleistung gehindert. Damit der Vergütungsanspruch entgegen dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ aufrechterhalten bleibt, ist erforderlich, dass die Verhinderung nur für einen nicht erheblichen Zeitraum besteht. Die gewöhnlich diskutierten Fallgruppen sind die Verhinderung durch die Wahrnehmung von Behörden- oder Arztterminen sowie persönliche Ereignisse, wie Todesfälle naher Angehöriger, die eigene Hochzeit oder die Geburt eines Kindes. Ob auch eine unter Umständen wochenlang andauernde vorsorgliche Quarantäne die Voraussetzung einer „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ erfüllt, rückte erst mit Beginn der Covid-19-Pandemie in den Mittelpunkt der Diskussion. Wenn nämlich der Zeitraum der vorsorglichen Quarantäne einen verhältnismäßig nicht erhebliche Zeitraum darstellt, bleibt der Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung verpflichtet und der/die betroffene Beschäftigte erleidet keinen Verdienstausfall. Da die Entgeltzahlung des Arbeitgebers in diesem Fall keine Entschädigung im Sinne von §56 Abs.1 S.2 IfSG darstellt, hat der Arbeitgeber auch keinen Erstattungsanspruch.

Das Verwaltungsgericht Koblenz kam in seinem Urteil vom 10. Mai 2021 genau zu diesem Ergebnis und nahm an, dass eine 14-tägige Verhinderung an der Arbeitsleistung infolge einer häuslichen Absonderung eine verhältnismäßige nicht erhebliche Zeit darstellt. Das Gericht stellte aufgrund des Merkmals „verhältnismäßig“ in erster Linie auf das Verhältnis zwischen Dauer des Arbeits- beziehungsweise Dienstverhältnisses und der Dauer der Arbeitsverhinderung ab und nahm an, dass jedenfalls bei einer Beschäftigungsdauer von mindestens einem Jahr grundsätzlich eine höchstens 14-tägige Arbeitsverhinderung infolge einer vorsorglichen Quarantäne noch als nicht erhebliche Zeit anzusehen sei. Außerdem stützt sich das Verwaltungsgericht Koblenz auf ein Urteil des BAG aus dem Jahr 1978, das noch zum damaligen Bundesseuchengesetz, dem Vorgänger des Infektionsschutzgesetzes, erging und ein sechswöchiges Tätigkeitsverbot nach dem Bundesseuchengesetz bei einem länger andauernden, unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis noch als verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum ansah.

Die Auffassung des Verwaltungsgericht Koblenz ist keineswegs unumstritten. Das LG Münster (Urteil vom 15. April 2021, Az.:8O345/20) ging bei einer ebenfalls 14-tägigen häuslichen Absonderung davon aus, dass die Voraussetzungen des §616 S.1 BGB nicht erfüllt sind und es sich nicht mehr um einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum handelt. Die Argumente, auf die sich das LG Münster stützt, erscheinen vorzugswürdig. Durch eine weite Auslegung des Merkmals „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ würde die Behörde ihre Erstattungspflicht zu Lasten des Arbeitgebers aushebeln können. Da §616 S.1 BGB tragende Prinzipien des Schuldrechts zur Entlastung des Sozialstaats durchbricht, liegt es aber nahe, an dieser Stelle eine enge Auslegung vorzunehmen.

Fazit

Ob der Arbeitgeber oder der Staat die wirtschaftliche Belastung einer Quarantäne eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin zu tragen hat, wird die Rechtsprechung in der Zukunft noch weitergehend ausdifferenzieren. Das Verwaltungsgericht Koblenz hat den Weg dafür freigemacht, indem es die Berufung zugelassen hat. Die Problematik kann aber nur zu tragen treten, wenn im Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitgeber und dem oder der Beschäftigten die Anwendung des §616 BGB nicht ausgeschlossen ist. Im Rahmen der Arbeitsvertragsgestaltung kann §616 S.1 BGB nämlich abbedungen werden. Dies hat bei einer häuslichen Absonderung eines oder einer Beschäftigten zur Folge, dass es auf jeden Fall zu einem Verdienstausfall kommt und der Arbeitgeber für die vorausgezahlte Entschädigung nach §56 IfSG eine Erstattung verlangen kann.

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Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners 

Pascal Verma

Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei nbs Partners in Hamburg. Seine Tätigkeits- und Beratungsschwerpunkte liegen im Arbeitsrecht und im Datenschutzrecht.

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