Feindliche Führung

Leadership

Negatives Führungsverhalten rückt mehr und mehr in den Fokus der Forschung, auch weil sich daraus erhebliche Konsequenzen für Unternehmen und Mitarbeiter ergeben. Ein Überblick

Führung wurde in der Forschung lange Zeit nur als positives Phänomen betrachtet und entsprechend liegen mittlerweile tausende von Studien vor, in denen die positiven Auswirkungen verschiedenster Aspekte der Führung untersucht werden. Erst in den letzten Jahren – befeuert durch Wirtschaftsskandale, die nicht zuletzt im Zuge der Finanzkrise bekannt wurden – finden sich verstärkt Versuche, auch die „dunkle Seite“ der Führung auszuleuchten. Das ist unter anderem aufgrund der Gefahr negativen Führungsverhaltens für die allgemeine Wahrnehmung von Führung und Führungskräften wichtig: So finden sich empirische Hinweise, dass negative Erfahrungen mit Führungskräften das Bild von Führung bei Mitarbeitern besonders stark prägen. In der Folge werden solche Erfahrungen auch auf Führungskräfte übertragen, mit denen man noch gar keinen Kontakt hatte – mit negativen Folgen für deren Führungserfolg.

Wie so häufig, wenn sich die Wissenschaft einem neuen Feld zuwendet, wurde mittlerweile eine ganze Reihe neuer Konzepte negativer Führung entwickelt, die sich inhaltlich allerdings nur wenig unterscheiden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf das Konzept des feindseligen Führungsverhaltens (abusive supervision), das vergleichsweise gut erforscht und inhaltlich relativ breit angelegt ist.

Der Begriff „feindselige Führung“

Feindselige Führung wird definiert als das Ausmaß, in dem direkte Vorgesetzte aus Sicht ihrer Mitarbeiter andauernd feindseliges verbales und nonverbales Verhalten zeigen, wobei körperlich-aggressives Verhalten ausdrücklich ausgeschlossen wird. Dazu zählen spezifische Verhaltensweisen wie

• lautes und verärgertes Anschreien
• öffentliche Kritik und „Zum-Sündenbock“-Stempeln
• öffentliches Bloßstellen und Lächerlichmachen
• Herabsetzung und Nötigung
• Unhöflichkeit und Grobheit
• Darstellung von Leistungen und Ideen der Geführten als die eigenen

Diese Sicht auf feindseliges Führungsverhalten weist einige beachtenswerte Aspekte auf. Zunächst wird das Verhalten der Vorgesetzten über die Wahrnehmung der Untergebenen definiert, das heißt es stellt eine subjektive Beurteilung dar. Insofern ist dieses Verhalten, beziehungsweise genauer gesagt seine Wahrnehmung und Interpretation, vor allem durch die Person des Beobachters beeinflusst, wodurch unter anderem auch falsche Zuschreibungen der Mitarbeiter zum Teil der Definition werden. So zeigen Untersuchungen, dass von Mitarbeitern als feindselig eingeschätztes Führungsverhalten zu Widerstand gegen den Vorgesetzten führen kann und ihre Arbeitszufriedenheit senkt. Die genauere Analyse dieser Zusammenhänge deutet allerdings darauf hin, dass dahinter auch der Versuch eines Mitarbeiters stehen kann, sich ein als unangenehm erlebtes – dabei aber korrektes – Verhalten des Vorgesetzten zu erklären. Wie Führung gerne im positiven Sinne romantisiert wird und alle möglichen günstigen Konsequenzen allein ihrer richtigen Ausübung zugeschrieben werden, so machen Mitarbeiter sie genauso gerne für negative Ereignisse im Arbeitsleben verantwortlich. Die Person des Führenden und sein Verhalten stehen eben im Zentrum der Beobachtung durch die Mitarbeiter, daher überschätzen diese den realen Einfluss der Führung deutlich – sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht.

Zum zweiten muss nach dieser Definition das feindselige Verhalten „andauernd“ auftreten: Hat eine Führungskraft nur einen schlechten Tag und lässt ihre negative Stimmung an den Mitarbeitern aus, ist sie allein deshalb noch keine schlechte Führungskraft – obwohl gerade im Zuge der Heroisierung von Führungskräften gewöhnlich erwartet wird, dass sie jederzeit fehlerlos agieren. Von feindseligem Führungsverhalten kann man dagegen nur sprechen, wenn sich ein Mitarbeiter „andauernd“ von seinem Vorgesetzten verbal oder nonverbal misshandelt fühlt, wobei es offensichtlich schwierig ist, genau zu sagen, was denn „andauernd“ konkret bedeutet.

Schließlich ist auch zu beachten, dass in der Definition letztlich von einem absichtlichen Verhalten gesprochen wird, das heißt die Feindseligkeit verfolgt einen Zweck, wie zum Beispiel den betroffenen Mitarbeiter zu schädigen oder ihn zur Kündigung zu treiben. Solches Verhalten kann aber unterschiedlich motiviert sein, möglicherweise will die Führungskraft einen Mitarbeiter „nur“ zu mehr Leistung antreiben oder aber vor anderen ein Exempel statuieren um zu zeigen, dass sie keine Fehler duldet. Allerdings lassen sich solche Intentionen nicht objektiv nachweisen, das heißt auch in diesem Sinne hängt die Einstufung als feindseliges Führungsverhalten von der Zuschreibung durch die „Opfer“ ab.

Bedingungen feindseliger Führung

Bislang weiß man noch nicht sehr viel darüber, was Führungskräfte dazu bringt, sich feindselig gegenüber ihren Mitarbeitern zu verhalten. Zuerst denkt man natürlich an problematische Persönlichkeitsmerkmale. So ist mittlerweile recht gut belegt, dass narzisstische Führungskräfte die Leistung ihrer Mitarbeiter weniger anerkennen und belohnen. Das passt insofern zu solchen Personen, als Narzissmus ja übermäßiges Selbstvertrauen, Gefühle der eigenen Grandiosität und starke Überschätzung der persönlichen Fähigkeiten beschreibt. Narzisstischen Personen fällt es daher schwer, die Erfolge anderer anzuerkennen. Ein solches Verhalten der Führungskräfte wird in Unternehmen eigentlich nicht gerne gesehen, aber wir wissen, dass narzisstische Persönlichkeiten zum Beispiel im Assessment Center gut abschneiden können, da sie die in Führungspositionen gewöhnlich geforderte Durchsetzungsfähigkeit in den entsprechenden AC-Übungen überzeugend demonstrieren und gerade durch ihr demonstratives Selbstvertrauen die Beobachter positiv beeindrucken können.

Die Persönlichkeit allein kann feindseliges Führungsverhalten allerdings noch nicht hinreichend erklären, vielmehr finden sich auch in der beruflichen Situation der Führungskraft wichtige Ursachen. Häufig tritt feindseliges Führungsverhalten als eine Form der verschobenen Aggression auf: Auslöser ist in diesen Fällen beispielsweise die Wahrnehmung des ungerechten Verhaltens des eigenen Vorgesetzten oder der Eindruck, dass die Organisation ihre Versprechungen gegenüber der Führungskraft nicht eingehalten hat. Solche Erlebnisse können in der Führungskraft Aggressionen auslösen, die sie aber nicht gegenüber dem Aggressor – ihrem Vorgesetzten oder der Organisation – ausleben kann, da sie sonst mit negativen Konsequenzen für ihre Karriere rechnen müsste. Daher werden die Aggressionen auf „Objekte“ verschoben, denen gegenüber sie sich scheinbar relativ risikolos ausleben lassen – und das sind in erster Linie die Mitarbeiter. Diese Erklärung wird auch durch neuere Untersuchungen bestärkt, die belegen, dass Führungskräfte, die ihre eigenen Ziele als außergewöhnlich schwierig erreichbar einstufen, gegenüber ihren Mitarbeitern ein Verhalten zeigen, das diese als feindselig erleben. Solche „Mondziele“ führen bei Führungskräften zu Stress und dem Erleben von Angst oder Ärger, das sich in feindseligem Verhalten gegenüber den Mitarbeitern äußern kann.

Die Theorie der moralischen Exklusion

Frustration oder hoher Stress finden sich in der Praxis regelmäßig, sie allein können daher das Auftreten solchen Führungsverhaltens auch noch nicht vollständig erklären. Das erfordert eine in der Wahrnehmung der Führungssituation angelegte Erklärung, die unter anderem von der Theorie der moralischen Exklusion geliefert wird. Diese Theorie erklärt, welche Faktoren Einfluss darauf haben, ob moralische Erwägungen auf bestimmte soziale Gruppen angewandt werden. Demnach ist für jeden Menschen ein Feld der Gerechtigkeit kennzeichnend, das festlegt, auf wen moralische Regeln anzuwenden sind und wer deshalb eine faire Behandlung verdient – diese Personen oder Gruppen liegen innerhalb des Feldes – und für wen moralische Regeln irrelevant sind. Gruppen, die aus dem Anwendungsfeld der Gerechtigkeit ausgeschlossen sind, werden leichter zu potenziellen Objekten verschiedener Formen der Feindseligkeit.

Mit Blick auf Führungskräfte bedeutet das: Mitarbeiter, die aus dem Feld der Gerechtigkeit des Vorgesetzten ausgeschlossen sind, werden eher Opfer feindseliger Aktionen. Drei Faktoren können dazu führen:

1. Wahrnehmung großer Unähnlichkeit; das heißt der Vorgesetzte schätzt die Werte und Einstellungen eines Mitarbeiters als gravierend unterschiedlich zu den eigenen ein.

2. Wahrgenommene Beziehungskonflikte; dazu zählen auch negative Affekte in Form von Verärgerung oder Frustration nach Kontakten mit dem Mitarbeiter.

3. Nützlichkeit der Person beziehungsweise der Gruppe; übertragen auf die Situation der Führung heißt das, dass der Vorgesetzte vor allem die Leistung des Mitarbeiters negativ einschätzt.

Eine empirische Studie an Vorgesetzten-Mitarbeiter-Paaren, in der diese Annahmen untersucht wurden, kommt zu folgendem zentralen Ergebnis: Nehmen Vorgesetzte eine tiefgreifende Unähnlichkeit in den Werten und Einstellungen ihres Mitarbeiters zu den eigenen wahr, so führt das zu Beziehungskonflikten und einer negativen Einschätzung der Leistung des Mitarbeiters. In der Folge verhält sich der Vorgesetzte häufiger feindselig gegenüber dem Mitarbeiter. Das bedeutet, ein allzu rigoros im Unternehmen vertretenes Leistungsprinzip kann sich in die Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern „einschleichen“ und diese unterminieren.

Konsequenzen feindseligen Führungsverhaltens

Die Konsequenzen feindseligen Führungsverhaltens sind mittlerweile sehr gut belegt. Auf der Ebene der Einstellungen zeigt sich, dass dadurch die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter gesenkt und die Kündigungsabsicht gestärkt wird. Auf der Verhaltensebene kann feindseliges Führungsverhalten – in Abhängigkeit von der Persönlichkeit des Mitarbeiters – zu offenem Widerstand gegen den Vorgesetzten führen. Im Sinne einer verschobenen Aggression kann es auch zu Aggressionen gegenüber Kollegen oder zu kontraproduktivem Verhalten der Mitarbeiter führen, das heißt sie verletzen die legitimen Interessen ihres Unternehmens und schädigen es. Schließlich finden sich auch starke empirische Belege, dass feindseliges Führungsverhalten zum Stresserleben der Mitarbeiter beiträgt und negative Wirkungen auf ihre Gesundheit hat. Dieser Zusammenhang wird allerdings von der Mobilität der Mitarbeiter beeinflusst: Wer nur sehr schwer einen anderen Arbeitsplatz findet, nimmt auch bei seinen Führungskräften verstärkt feindseliges Verhalten wahr und leidet entsprechend stärker darunter.

Nicht zuletzt auf diesen Konsequenzen bauen Schätzungen auf, wonach allein die US-amerikanische Wirtschaft aufgrund der Folgen feindseligen Führungsverhaltens – dazu zählen Absentismus, Krankenkosten und Produktivitätsverluste – über 20 Milliarden Dollar pro Jahr verlieren soll. Auch wenn man solchen Zahlen aufgrund methodischer Überlegungen kritisch gegenübersteht, lässt sich die ökonomische wie psychologische (und ethische) Relevanz des Phänomens schwerlich bestreiten.

Was kann man tun?

Da die gewöhnlich eingesetzten Strategien zur Ermittlung von Führungspotenzial offensichtlich nicht in der Lage sind, das Auftreten feindseligen Führungsverhaltens (völlig) zu unterbinden, sind vor allem organisationsbezogene Interventionen im Sinne eines Ethik-Managements zu erwägen. Dieses umfasst eine Reihe praktischer Interventionen, die sich hier nur exemplarisch verdeutlichen lassen. Neben Führungstrainings, die dafür sensibilisieren, welches Verhalten von Mitarbeitern als feindselig erlebt wird und wie es zustande kommt, ist ein Verhaltenskodex notwendig, in dem ethisch erwünschtes Führungsverhalten beschrieben ist. Allerdings genügt die bloße Existenz eines solchen Kodex noch nicht, um unethisches Verhalten zu verhindern. Vielmehr ist entscheidend, dass die Mitarbeiter die Entschlossenheit des Unternehmens zur Durchsetzung der ethischen Leitlinien wahrnehmen. Das setzt voraus, dass die Organisation auf ethische Probleme im Verhalten ihrer Führungskräfte aufmerksam wird.

Dazu kann Whistleblowing beitragen, also die Anzeige illegaler, unmoralischer oder illegitimer Praktiken durch – aktuelle oder ehemalige – Angestellte. Die meisten Whistleblower versuchen gewöhnlich, wahrgenommene Missstände zunächst über interne Kanäle zu kommunizieren, bevor sie sich an äußere Institutionen wenden. Da solche Informationen für Organisationen sehr wichtig sind und adäquate interne Reaktionen die negativen Konsequenzen des Bekanntwerdens der Informationen verhindern können, sollten Unternehmen das Whistleblowing ihrer Mitarbeiter akzeptieren. Dazu sind die entsprechenden Möglichkeiten im Unternehmen zu schaffen, damit Mitarbeiter ihre Beobachtungen auch angemessen melden können.

Gegenüber den Mitarbeitern sollte kommuniziert werden, welches Führungsverhalten als feindselig zu betrachten ist und wie man darauf als Mitarbeiter reagieren sollte. Dabei kann das Commitment des Unternehmens an ethische Werte der Führung betont werden. Das setzt aber voraus, dass diese Werte auch wirklich im Unternehmen gelebt werden, denn der Widerspruch zwischen gelebten und propagierten Werten führt gewöhnlich bei den Mitarbeitern zu Unsicherheit und Misstrauen. Zudem ist es hilfreich, wenn Fälle erfolgreichen Whistleblowings von der Organisation intern bekannt gemacht werden, um den Mitarbeitern die positiven Wirkungen vor Augen zu führen – dabei ist natürlich darauf zu achten, dass keine Kanäle für Racheakte geöffnet werden.

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Friedemann W. Nerdinger

Professor für Wirtschafts- und Organisationspsychologie
Universität Rostock

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