7 Beispiele, wie HR Gamification nutzen kann

Spielen

In dem Computerspiel Human Resource Machine beginnt und endet die Karriere an einem Fließband. Auf der linken Seite kommen Aufgaben rein, auf der rechten landen Lösungen. Dazwischen steht ein Mitarbeiter, der vor den Augen des Vorgesetzten Befehle schreibt, mit denen das System die Aufgaben löst. So soll er zum Beispiel Pakete vom Posteingang in den Postausgang legen und umsortieren. Wenn ihm das gelingt, steigt der Mitarbeiter auf, um am Ende vom Computersystem ersetzt zu werden. Game over.

Über Personalpolitik lehrt Human Resource Machine wenig. Aber es vermittelt Grundzüge des Programmierens, verpackt in eine Geschichte. Denn Spielen hilft: Die Strategieberatung und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte schreibt, dass Mitarbeitende, die sich spielend fortbilden, mehr Freude an der Arbeit, weniger Langeweile und eine höhere Motivation haben. Knapp die Hälfte der Generation Millennials und der Generation Z klagt in einer Umfrage, sie fühle sich wegen der Intensität im Job ausgebrannt.

Genau da greift „Gamification“. Der Begriff steht für Elemente, die aus dem Spiel in einen seriösen Kontext übertragen werden. Dazu gehören Punkte, Abzeichen oder Bestenlisten, wie man sie aus dem Handel oder Vereinen kennt. Das ist nicht immer als Spiel erkennbar, weckt aber den Spieltrieb und wird gerne genutzt. Auch die Arbeitswelt nutzt die Mechanik, zum Teil mit eigenen Spielen („Serious Games“). Die Bandbreite ist groß, online wie offline.

„Spielerische Ansätze helfen, die intrinsische Motivation von Mitarbeitenden zu steigern. Sie vermitteln bei repetitiven Tätigkeiten das Gefühl, mehr erreichen zu können“, sagt Sebastian Terstegen vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). Wer am Fließband steht und Teile zusammensetzt, erlebt nicht unbedingt, wie das fertige Auto aus der Halle rollt. Im Spiel ist das anders. Spielen macht Erfolge sichtbar und belohnt. Es gibt Fortschritte, Teams, Emotionen und Geschichten. Würden Betriebe Gamification nutzen, sei das zum Vorteil für Mitarbeitende und Unternehmen, sagt Terstegen.

82 Prozent aller Befragten sagen in einer Umfrage der Academy to Innovate HR, dass sie die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit durch Spiele besser verstehen. 88 Prozent sind am Arbeitsplatz glücklicher. Die Managementberatung Kearney hat gemessen, dass die Produktivität durch Gamification um bis zu vier Prozent steigt. Das hört sich wenig an, summierte sich aber bei Projekten für die Automobilproduktion auf Kosteneinsparungen von bis zu 6,5 Milliarden Euro in fünf Jahren. Auch Amazon wollte die Produktivität steigern und Arbeit lockern. Der Konzern ließ Angestellte im Lager parallel Schlösser bauen und Rennen fahren. Die Behörde für Arbeitssicherheit in den USA sieht das kritisch: Die Spielerei erzeuge zu viel Ablenkung.

„Gamification sollte wohldosiert sein. Es ist kein Allheilmittel für alle Herausforderungen, mit denen ein Unternehmen zu kämpfen hat“, sagt Terstegen. So stehen auch Rankingsysteme in der Kritik, weil sie Mitarbeitende unter Druck setzen. Microsoft musste seine als Motivation gedachte Bestenliste einstellen, nachdem die Beschwerden überhandnahmen. Spielen hat Grenzen, auch und gerade in der Arbeitswelt.

„Es muss einen Nutzen für die Personen geben, die sich auf Gamification einlassen“, sagt Terstegen. Entsprechend individuell sollte es sein. Das ifaa hat ein Planspiel entwickelt, mit dem Betriebe Probleme in der Montage erkennen und lösen können. Wenn Angestellte sehen, dass es hakt, hätten sie selbst ein Interesse, etwas zu ändern. Um alle mitzunehmen und für das Spiel zu begeistern, sei Transparenz und Partizipation wichtig: „Unternehmen sollten ein klares Ziel haben, aber in der Zielerreichung nicht zu starr vorgehen, sondern den Mitarbeitenden ermöglichen, Lösungen mitzugestalten“, sagt Terstegen.

Arbeitskräfte sollten sich durch ein Spiel nicht manipuliert fühlen. Sie sollten zustimmen, welche Daten der Betrieb sammelt. Sonst sind die Widerstände groß. Dazu kommt, dass jedes Spiel, egal wie schön, irgendwann ausgespielt ist und zu einem Gewöhnungseffekt führt. Auch wenn Unternehmen Expertise für Gamification einkaufen, empfiehlt Terstegen, intern Kompetenzen aufzubauen und Lösungen passend zu Zeit und Anforderung anpassen zu können. Möglichkeiten gibt es viele, wie die sieben Beispiele zeigen.

1. Richtig onboarden

Die ersten Tage sind entscheidend, um neue Mitarbeitende zu binden. Laut einer Umfrage des Softwareunternehmens Softgarden haben schon einmal 18 Prozent in der Einarbeitungsphase das Handtuch geworfen. Weitere 17 Prozent haben darüber nachgedacht. Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Gallup schreibt, dass nur zwölf Prozent mit dem Onboarding im Unternehmen zufrieden seien. Um sich zu verbessern, nutzen Firmen spielerische Ansätze: Statista zum Beispiel organisiert für neue Mitarbeitende eine Schnitzeljagd. Die Unternehmensgruppe UKA lässt Bingo spielen. Und die Firma Goodr setzt auf einen Klassiker: Pac-Man. Schon ein grüner Haken, Orden oder Fortschrittsbalken beim Onboarding nutzen Gamification. Ausgefeilter geht es auch: BMW hat im Ressort M eine Plattform entwickelt, die Informationen mit Spiel verbindet. Neue Mitarbeitende können bei Planet M auf einer interaktiven Kugel navigieren, Bereiche studieren, ein Quiz bestehen und Abzeichen sammeln. Laut einer ersten Auswertung ist der Lernerfolg um 48 Prozent höher. Der ist auch sichtbar: Wer die Lernreise beendet, erlebt ein virtuelles Feuerwerk.

2. Intern kommunizieren

Oft kritisieren Arbeitnehmende, dass die interne Kommunikation nicht funktioniere. Laut Gallup ist sie einer der größten Frustfaktoren im Job. Doch viele Portale, die Unternehmen ins Leben rufen, um besser zu kommunizieren, werden nicht genutzt. In einer Studie der Universität Leipzig und des Unternehmens Staffbase sagt ein Drittel der Verantwortlichen für die interne Kommunikation, dass Mitarbeitende sich nicht aktiv einbringen. Nur knapp 18 Prozent nutzen regelmäßig Gamification-Elemente wie Quiz oder Gewinnspiele. Das Potenzial ist groß: Führungskräfte könnten mit einem Gamification-Ansatz zum Beispiel Punkte sammeln und Auszeichnungen erhalten, wenn sie ihren Teams Informationen schnell und verständlich weitergeben. Auch Teammitglieder könnten im Spiel aufsteigen, wenn sie sich engagieren, weil sie etwa Beiträge teilen oder kommentieren. Wichtig ist, dass Gamification einen Nutzen bietet, Informationen etwa leichter zu finden sind, Feedback spielend einfach wird oder sich über Wettbewerbe tatsächlich etwas gewinnen lässt.

3. Wohlbefinden fördern

Dass Bewegung gesund ist und Stress krank macht, ist bekannt. Trotzdem übersetzt sich das Wissen nicht immer in Taten. Im Gegenteil: Die Burn-out-Raten steigen. Um Mitarbeitende anzuregen, mehr auf ihre Fitness zu achten, kann der Spieltrieb helfen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützt darum Onya eine spielbasierte Anwendung, die von der Mental Health Foundation in Neuseeland entwickelt und von einem Institut der Leuphana Universität Lüneburg für den deutschen Markt angepasst wurde. Firmen können auch selbst Wettbewerbe organisieren, wer etwa die meisten Schritte am Tag macht oder nachts gut schläft (so zum Beispiel die US-amerikanische Krankenversicherung Aetna), sowie Punkte für Achtsamkeitstraining vergeben. Virgin hat ein Start-up gegründet (Virgin Pulse), das mit einer Mischung aus Gamification und Nudging (zu Deutsch: anstupsen) Arbeit gesünder machen will. Es gibt etliche Ansätze, ob individuell oder im Team, mit Fitnesstrackern oder analog. Wichtig ist, dass es freiwillig und transparent bleibt, weil der Umgang mit Gesundheitsdaten besonders sensibel ist.

4. Neues lernen

Unternehmen, die in die Weiterbildung ihrer Angestellten investieren, sind wirtschaftlich erfolgreicher. Das hat McKinsey analysiert und dafür ein halbes Jahr lang 1.800 Konzerne untersucht. In Deutschland zahlen Firmen jährlich über 40 Milliarden Euro für die Fort- und Weiterbildung ihres Personals. Schön, wenn davon etwas hängen bleibt. Gamification soll an zwei Stellen helfen: zum einen soll sie Mitarbeitende motivieren, Neues zu lernen, zum anderen soll sie das Gelernte besser verankern. Salesforce hat mit Trailhead eine digitale Universität aufgebaut, die voller Gamification steckt. Es gibt Badges, Superbadges, Rankings und Challenges, um sich in Themen einzuarbeiten. VW schickt 22.000 Mitarbeitende in Escape-Rooms, um sie in E-Mobilität fortzubilden. Auch Porsche nutzt Spielelemente wie interaktive Räume und eine virtuelle Ostereiersuche, um Mitarbeitende im Umgang mit Automatisierung und künstlicher Intelligenz zu stärken. Der Druck wächst: Laut der Haufe Akademie werden 50 Prozent aller Beschäftigten bis zum Jahr 2025 neue Fähigkeiten lernen und das Arbeitsfeld wechseln müssen.

5. Arbeitssicherheit stärken

Wenn Gamification Jobs spannender macht, kann sie die Sicherheit stärken. Die internationale Richtlinie zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz schreibt, dass gerade „abwechslungsarme“ Tätigkeiten zu Müdigkeit, Leistungsabnahme und einer schlechteren Reaktionsfähigkeit führen. Das Beispiel von Amazon zeigt, dass Spielelemente wohldosiert zum Einsatz kommen müssen, um nicht ein Störfaktor zu sein. Mit Gamification lassen sich aber auch Einsätze trainieren und Arbeitsschutzmaßnahmen einüben. So nutzt zum Beispiel das Unternehmen Linde Material Handling den Gabelstapler-Simulator. Unfälle, wie sie „Gabelstaplerfahrer Klaus“ im Video passieren, haben in der Lehr-Simulation keine Konsequenzen. Mit seinem virtuellen Trainingszentrum „Safety Dojo“ hat Koyo Bearings Deutschland einen Präventionspreis gewonnen, weil es aus einer lästigen Pflicht eine spannende Übung gemacht habe. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung fördert seit Jahren den Einsatz von virtueller Realität. Und mit neuen Entwicklungen wie dem Metaverse wird das Potenzial um ein Vielfaches größer.

6. IT-Sicherheit trainieren

Cyberattacken gehören laut einem Bericht des Weltwirtschaftsforums zu den größten Risiken für Unternehmen weltweit. In einer Umfrage des Handelsblatt Research Institutes für ein Softwareunternehmen sagen drei Viertel der IT-Verantwortlichen, dass sie gut auf einen Angriff vorbereitet seien. Allerdings sehen sie im Kollegium das größte Sicherheitsrisiko. Der Umgang mit Technik und Daten gehört für jede und jeden dazu. Weil die Materie komplex ist, nutzen Unternehmen Gamification: Adidas hatte zum Beispiel herausgefunden, dass ein Großteil der Mitarbeitenden die eigene Richtlinie für IT-Sicherheit nicht kennt. Um das zu ändern, hat es ein „spielbasiertes Lernabenteuer“ kreiert, bei dem die Nutzenden durch Geschichten navigieren und Rätsel lösen. Auch Bayer hat ein Abenteuerspiel programmiert, in dem eine Krimigeschichte rund um einen Wirkstoff erzählt und IT-Themen transportiert werden. Wer je auf eine fiktive Phishing-E-Mail reingefallen ist, wird so im Arbeitsalltag stärker darauf achten, dass sich das nicht wiederholt, als wenn es nur in einer Richtlinie steht.

7. Das Richtige tun

Gamification beweist ihr volles Potenzial, wenn es um etwas Trockenes geht: zum Beispiel Verhaltensregeln. Mercedes-Benz hat 2014 ein Online-Spiel gestartet, um Integrität und Compliance zu schulen: die „Monster Mission“. Das fiktive Unternehmen glich dem echten, so dass sich Mitarbeitende leichter identifizieren konnten und gleichzeitig freier fühlten. Hatten sie beispielsweise aus Versehen ein Datenkabel beschädigt, konnten sie entscheiden, ob sie es den Vorgesetzten melden und gegen etwas Ärger das Unternehmen retten. Ab 2017 wurde das Spiel angepasst und auch für Joint-Venture-Partner weiterentwickelt. Da es für Unternehmen wichtiger wird, nachhaltig zu sein, müssen alle ihr Verhalten anpassen. Gamification-Apps wie GreenGoWeb und Sustayn wollen Mitarbeitende für Umweltschutz, Diversität und Inklusion sensibilisieren. Sie können sich Tagesziele setzen und Punkte sammeln, wenn sie beispielsweise Dokumente nicht ausdrucken oder Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen. Das passiert nicht fiktiv, sondern real, nur wird es motiviert von einem virtuellen Spiel.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Spielen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Mirjam Stegherr, Journalistin, Moderatorin und Beraterin

Mirjam Stegherr

Freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin
Mirjam Stegherr ist freie Journalistin, Moderatorin und Beraterin.

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