Lücken schließen: Interim Management im sensiblen HR-Bereich

Change Management

Das Honorarvolumen ist gewaltig: 2,75 Milliarden Euro, so prognostiziert die Dachgesellschaft Deutsches Interim Management (DDIM) in ihrer aktuellen Marktumfrage, wird Interim Management in diesem Jahr erreichen. Das ist Rekordniveau: mehr als doppelt so viel als noch vor zehn Jahren und mehr als vier Mal so viel als im Jahr 2010. „Abgesehen von einem kurzen Einbruch im Coronajahr 2020 steigt die Nachfrage nach hochqualifizierten und erfahrenen Führungskräften auf Zeit stetig“, sagt Marei Strack, Vorstandsvorsitzende der DDIM. Das heißt, in den Unternehmen herrscht nicht nur Fachkräftemangel, sondern auch ein Mangel an Managern auf höchster Ebene – und das über alle Branchen hinweg. „Wurden Interim Manager früher vorwiegend nur von Unternehmen der verarbeitenden Industrie nachgefragt, gibt es heute kaum noch eine Branche, die nicht auf Managerinnen und Manager auf Zeit zurückgreift“, sagt Strack. Allerdings sei die Suche nach einer freien Managerin oder einem Manager für Unternehmen zunehmend herausfordernd. Denn auch die Verfügbarkeit der rund 11.500 in Deutschland tätigen Interimsführungskräfte ist laut der DDIM-Vorständin sehr gering.

Starker Bedarf an Change Management

Insbesondere die Transformation scheint den Bedarf an Top-Managern anzuheizen. Wie die Studie des Dachverbandes weiterhin zeigt, werden die meisten Interimsführungskräfte an Bord geholt, um Veränderungen im Unternehmen umzusetzen. 14,7 Prozent der befragten DDIM-Mitglieder hatten ihr letztes Mandat im Bereich Change Management. Ähnlich häufig werden Projektmanagement Aufträge (14,2 Prozent) sowie Mandate für Prozessoptimierung (13,2 Prozent) vergeben. Dabei ist einmal mehr wichtig zu betonen, dass Interimsführungskräfte kommen, um nach einer Zeit – in der Regel ist der Einsatz zwischen drei und zwölf Monate lang – wieder zu gehen. „Interim Management ist keine Dienstleistung, die man einkauft, um Stellen zu besetzen“, stellt Heike Gorges klar. Sie ist Vorständin der Personalberatung HRblue, die Fach- und Führungskräfte für den HR-Bereich vermittelt. Zwar gebe es inzwischen Anbieter, die eine Art „Try and Hire“ offerieren. Klassisches Interim Management sei aber immer eine Vakanzüberbrückung – etwa wegen einer Langzeiterkrankung oder fehlenden Know-how für ein bestimmtes Projekt im Unternehmen. „Der typische Interim Manager ist in der Regel auch gar nicht an einer Festanstellung interessiert. Wer sich fürs Interim Management entscheidet, liebt die Abwechslung“, sagt Gorges. Sie beobachtet zudem, dass immer mehr Managerinnen und Manager im Alter über 50 Jahre die letzte Dekade ihrer Karriere mit Management auf Zeit gestalten beziehungsweise beschließen.

Interim Management im sensiblen HR-Bereich

Mehr als 1.300 Manager und Expertinnen speziell für den Personalmanagement-Bereich hat Gorges in ihrer Vermittlungs-Datenbank gespeichert. Der DDIM-Untersuchung zufolge steht der Bereich HR nach Geschäftsführung und Finanzen bei den Mandaten für Interim-Management an dritter Stelle. Die starke Nachfrage nach Interimsführungskräften im Rahmen von Veränderungsprozessen ist wohl einer der Gründe dafür. Doch wie kann im Personalwesen ein Management auf Zeit gelingen? Schließlich handelt es sich um einen sehr sensiblen Unternehmensbereich, in dem Vertrauen extrem wichtig ist. Kommt das Interim Management hier etwa eher einer Beratung beziehungsweise Prozessbegleitung gleich? Wie Katrin Schauffele, die als Interim Managerin für den HR-Bereich meist bei
großen Veränderungsprozessen im Einsatz ist, klarstellt, ist dies nicht der Fall: „Anders als eine Beraterin beziehungsweise ein Berater bin ich drei bis vier Tage vor Ort im Unternehmen. Eine grundlegende Unterscheidung ist zudem, dass ich operativ tätig bin und Konzepte nicht nur für ein Unternehmen erarbeite, sondern auch dafür sorge, dass sie umgesetzt werden. Vor allem: Ich treffe Entscheidungen“, beschreibt sie ihre Tätigkeit. Bei Problemen mit dem Betriebsrat etwa, gehe sie mit diesem in Verhandlung, auch Neueinstellungen und Kündigungen könne sie veranlassen.

Mangelndes Vertrauen im Mandat hat Schauffele noch nicht erlebt. Eine gute Auftragsklärung beugt dem vor: „Interim Manager müssen im Vorfeld ihres Einsatzes ein sehr differenziertes Bild vom Unternehmen gewinnen. Zu diesem Zweck führen sie unter anderem mit Managern auf oberster Ebene und auch dem Betriebsrat intensive Gespräche“, sagt sie. Wie arbeiten die Teams? Welche Kommunikationsregeln herrschen im Betrieb? Wo gibt es Silos und warum? Dies und vieles anderes sei zu klären und zu hinterfragen. Seitens des Unternehmens wiederum muss die Rolle des Interim Managers intern klar kommuniziert werden. „Hier kommt kein HR-Partner für mehrere Jahre. Das sollte den Mitarbeitenden bewusst gemacht werden, damit keine falschen Erwartungen aufkommen“, sagt Heike Gorges. Für einen vertrauensvollen Umgang seien zudem Datenschutz- und Geheimhaltungs-Vereinbarungen mit der Interimsführungskraft zu treffen.

Kernfrage des Vertrauens ist immer da

Nach Ansicht von Bodo Antonic, der von der DÖIM – Dachorganisation Österreichisches Interim Management zum Interim Manager des Jahres 2023 ausgezeichnet wurde, verhält es sich im HR-Bereich in Sachen Interim Management im Prinzip nicht anders als in anderen Unternehmensbereichen auch. „Die Kernfrage des Vertrauens ist im Interim Management immer vorhanden, weil jemand auf hoher Ebene ins Unternehmen kommt, der nur ein paar Monate da sein wird“, sagt Antonic. Es sei zwar verständlich, dass der HR-Bereich von vielen Beschäftigten als besonders sensibler Bereich wahrgenommen werde, da persönliche Daten wie Krankmeldungen der Mitarbeitenden zugänglich seien. Aus der Vogelperspektive betrachtet, seien die Daten aber nicht sensibler als andere Unternehmensdaten wie etwa Finanzkennzahlen oder Vertriebsinformationen.

Antonic bezeichnet sich selbst als klassischen Interim Manager, der in der Funktion des Geschäftsführers oder CEO auf Zeit das jeweilige Unternehmen meist aus einer Schräglage herausholen soll. Berührungspunkte mit dem Personalmanagement habe er damit immer. Das Vertrauensthema ist seiner Meinung nach fernab sensibler Daten insbesondere mit der Führungsqualität des Interim Managers verbunden. „Wichtig ist, offen zu kommunizieren und den eigenen Worten Taten folgen zu lassen“, sagt er. „Wenn ich einem Mitarbeitenden zum Beispiel nach besserer Finanzlage des Unternehmens eine Gehaltserhöhung in Aussicht stelle, dann setze ich mir das auf Wiedervorlage, um das Versprechen auch einhalten zu können.“ Laut Antonic sollte sich jeder Manager und jede Managerin mit Führungsaufgaben beziehungsweise Personalkontakt – egal ob fest angestellt oder als Interimsführungskraft tätig – immer die Frage stellen, wie er oder sie selbst gern behandelt werden will. „Wer dies nicht macht, zerstört meist die Motivation der Mitarbeitenden“, ist er überzeugt. Das wiederum sei ein häufiger Grund, warum Unternehmen überhaupt in eine Schräglage geraten.

Die Perspektive von außen nutzen

Stellt sich die Frage, ob Managerinnen und Manager auf Zeit ein Unternehmen somit nicht nur aus angespannten wirtschaftlichen Situationen führen, sondern auch den Weg für eine neue Führungskultur ebnen können. Antonic zufolge ist eine grundsätzliche Wirkmacht gegeben, um Impulse zu setzen. „Zu bedenken ist zwar, dass Unternehmenskulturen gewachsen und meist tief verwurzelt sind. Dennoch gibt es in der Regel Menschen in einer Organisation die für Veränderungen offen sind und von sich aus die Kultur beeinflussen könnten“, sagt er. Diese gelte es zu gewinnen. „Man kann als Interim Manager zumindest den Anstoß geben, dass die Menschen im Betrieb anfangen, das System, in dem sie arbeiten, zu hinterfragen“, sagt Antonic.

Der Vorteil der Interimsführungskraft ist in diesem Zusammenhang, wie generell bei allen verbesserungswürdigen Angelegenheiten in einem Unternehmen, dass sie sich im Prinzip „völlig unpolitisch“ verhalten kann. Darauf macht Matthias Mono aufmerksam. Er hat lange Jahre als HR-Interim-Manager gearbeitet und die Erfahrung gemacht, in der Position vieles aussprechen zu können, was ein fest angestellter Manager nie hätte sagen können. Katrin Schauffele kann diese Aussage für sich bestätigen: „Da ich keine Vergangenheit und keine Zukunft im jeweiligen Unternehmen habe, bin ich frei auszusprechen, was ich dort wahrnehme“, bringt sie es auf den Punkt. Die Unternehmen können davon profitieren – insofern sie die Brille von außen und die potenzielle Offenheit der Managerinnen und Manager auf Zeit aktiv nutzen. „Ich sehe es als Chance für die Firmen, sich weiterzuentwickeln, indem sie den Interim Manager danach fragen, wie er das Unternehmen beurteilt, und bereit sind, sich auch die kritischen Punkte anzuhören“, so Mono. Dies findet jedoch noch viel zu wenig statt, wie Heike Gorges beobachtet. Ihre Empfehlung: sich am Ende eines Mandats aktiv Feedback von der Interimsführungskraft geben zu lassen. „Das kann auch relativ formlos erfolgen, indem man zum Beispiel darum bittet, dass der Interim Manager die seiner Meinung nach wichtigsten Optimierungspunkte aufschreibt, die ihm aufgefallen sind“, so Gorges. So kann Interim Management auch über die gegebene Zeit hinaus wirken.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Flexibilität. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Petra Walther ist freie Journalistin in Bonn.

Petra Walther

Petra Walther ist freie Journalistin in Bonn.

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