„Den Charakter einer Figur erfassen“

Recruiting

Eine der Hauptaufgaben eines Casters ist es, herauszufinden, was für einen Film der Regisseur machen will. Das meint Casting Director Anja Dihrberg. Ein Gespräch über die Besonderheiten des Recruitings von Schauspielern, über Feedback und warum sie das Wort Bauchgefühl nicht mag.

Frau Dihrberg, womit fangen Sie an, wenn Sie einen Film besetzen?
Als erstes lese ich das Drehbuch und mache mir Gedanken zu den Hauptrollen – die Nebenrollen kommen normalerweise erst dran, wenn das Hauptensemble steht. Ich mache mir dann Stichpunkte dazu, was für die Figuren symptomatisch ist und was sie erfordern. Anschließend überlege ich mir, welche Schauspieler in Frage kommen. Ich habe einen ziemlich großen Fundus an Schauspielern im Kopf, außerdem gibt es Datenbanken, in denen ich recherchiere, und die Schauspielagenturen, die ihre Schauspieler präsentieren.

Wie geht es dann weiter?
Der nächste Schritt ist ein Treffen mit dem Regisseur, dem Produzenten und – bei TV-Produktionen – eventuell auch jemandem vom Sender. Wir diskutieren dann über die verschiedenen Figuren und deren Rollenprofile und die Vorstellungen, die jeder hat. Danach sehen wir uns Videos der Schauspieler an, in denen sie ihre bisherige Arbeit präsentieren. Und wenn wir dann an dem Punkt sind, an dem wir die Hauptrollen miteinander sehen möchten, organisieren wir Castings.

Wie laufen die ab?
Die Produktion verschickt die Drehbücher vorab an die ausgewählten Schauspieler, die lernen einige Szenen auswendig und gemeinsam mit der Regie schaue ich dann beim Casting, welche Paarungen am besten zusammen funktionieren. Anschließend setzen sich alle Beteiligten nochmal zusammen und treffen die endgültige Entscheidung.

Suchen Sie gar nicht durch offene Castings nach der passenden Besetzung?
Normalerweise gibt es so eine Art „Deutschland sucht den Superstar“, wo sich jeder bewerben kann, nicht. Ich habe das einmal aus Interesse gemacht und einen Aufruf gestartet für eine junge Schauspielerin, Mitte zwanzig, für eine Hauptrolle. Im Ergebnis kamen von den 500 Bewerberinnen dann zehn in Frage, und die hatte ich sowieso schon auf dem Schirm.

Welche Möglichkeiten haben Sie, neben den Demobändern und dem Casting, die Schauspieler unter die Lupe zu nehmen?
Ansehen, ansehen, ansehen würde ich sagen. Ich versuche mir alles anzusehen, was es gibt. Ich gehe ins Theater, ins Kino, schaue Fernsehen und besuche die Abschlussvorsprechen der Schauspielhochschulen. Und ich halte mich auf dem Laufenden, wer neu in welcher Agentur ist.

Im Personalmanagement sagt man aktuell, dass der Recruiter sich ändern muss. Stellen ausschreiben und abwarten reicht nicht mehr, sondern er muss aktiv werden und auf die Leute zugehen. Das scheint bei Ihnen von vornherein der Fall zu sein.
Ja, wir gehen aktiv auf die Schauspieler und Agenten zu. Anders als in Amerika: Dort gibt es Rollenauszüge, die an die Agenten versandt werden, die ihre Vorschläge machen und man versucht als Casting Director dann durch eine strenge Vorauswahl auf eine bearbeitbare Anzahl von Schauspielern zu kommen. Auch hierzulande haben die Schauspieler das Bedürfnis, dass die Castings offener werden und sie sich leichter bewerben können. Vielleicht ändert sich das bei uns ja in die andere Richtung.

Auf was achten Sie bei der Wahl eines Schauspielers?
Dass sie ihren Beruf können (lacht). Dass sie – egal wie sie den erlernt haben – über ein gutes Fundament verfügen, um glaubhaft die Rolle verkörpern zu können und die für die Rolle nötigen Kompetenzen haben.

Welche spezifischen Kompetenzen könnten das sein?
Ganz unterschiedliche, zum Beispiel eine bestimmte Fremdsprache, die Beherrschung eines Instruments oder einer Sportart. Es ist aber ganz selten, dass eine Figur so klar gestrickt ist. Es geht wirklich eher darum, den Charakter einer Figur so zu fassen, dass man ihm einen Menschen an die Seite gibt, der diesen Charakter ausfüllt.

Wie versuchen Sie abzuklopfen, ob die Harmonie zwischen den Schauspielern oder zwischen dem Regisseur und den Schauspielern stimmt?
Ich versuche das die ganze Zeit mit im Auge zu behalten. Aber auch wenn man über die Jahre ein Gefühl dafür bekommt, wer mit wem vielleicht könnte, weiß man so etwas nicht immer und kann das schlussendlich erst am Set überprüfen. Ein Casting ist natürlich die beste Möglichkeit, um zu sehen, ob man eine gemeinsame Sprache spricht. Ich lege aber großen Wert darauf, dass im Vorfeld zumindest eine Begegnung oder ein Telefonat stattfindet.

Arbeiten Sie bei der Schauspielerauswahl viel mit Bauchgefühl?
Ich mag das Wort Bauchgefühl nicht, das ist so ein Modewort. Über die Jahre, die ich als Casterin tätig bin, habe ich einen geschulten Blick und einen guten Instinkt entwickelt. Daher habe ich manchmal das Gefühl, dass jemand auf eine Rolle passen würde und bemühe mich dann, die anderen auch davon zu überzeugen. Das geht manchmal ziemlich weit, wie zum Beispiel bei einem „Schimanski“, in dem ein amerikanischer Pathologe mitspielen sollte. Ich hatte einen holländischen Schauspieler im Kopf, den ich großartig für die Rolle fand. Und es ist mir gelungen, die Beteiligten von meiner Idee zu überzeugen. Das ist eine meiner Aufgaben. Herauszufinden, was für einen Film der Regisseur machen möchte und ihn sehr sensibel in diesem Prozess zu begleiten, Vorschläge zu machen und eine sachliche Diskussion über die Figuren zu führen.

Wie oft kommt es vor, dass man denkt, die schauspielerische Qualität stimmt zwar, aber etwas anderes passt nicht? Beispielsweise bei einer historischen Figur das Aussehen des potenziellen Schauspielers.
Über das Aussehen kann man immer diskutieren. Im Übrigen auch über das Geschlecht eines Charakters. Ab und an gelingt es mir auch, das zu ändern. Denn es gibt immer noch zu wenig Frauenrollen. Ein Spiegel unserer Gesellschaft, denn auch im realen Leben gibt es zu wenig „Frauenrollen“, zum Beispiel in Führungspositionen oder in klassischen Männerberufen. Was mich ehrlich gesagt entsetzt. Frauen in die Öffentlichkeit zu schieben, damit sie aus ihrem Randgruppendasein entlassen werden, verstehe ich auch als Teil meiner Arbeit. Ansonsten scheitern Besetzungen häufiger eher an Terminen, wenn es um vielbeschäftigte Schauspieler geht. Der Aspekt der Historizität eines Gesichtes spielt bei historischen Filmen natürlich eine nicht unerhebliche Rolle, aber zunächst nehme ich mir erst mal alle Freiheiten, eine Figur von verschiedenen Seiten abzuklopfen und differenzierte Vorschläge zu machen.

Wird nach einem Casting erwartet, dass man seine Entscheidung erklärt, geben Sie ein Feedback?
Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Anrecht hat auf ein Feedback. Das sehe ich als Teil meines Berufes. Wenn es Erklärungen gibt oder wenn ich etwas beobachtet habe, von dem ich denke, dass es gut wäre, wenn der Schauspieler das weiß – auch um sich weiterzuentwickeln – dann sage ich das. Die Zeit lässt es zwar nicht immer zu und manchmal gibt es auch keinen wirklichen Grund, außer dass man sich für eine andere Konstellation entschieden hat. Aber ich denke, das schulde ich den Schauspielern.

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Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

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