Immer mehr Funktionen in Unternehmen sind Mangelprofile. Im Angebot an die Talentmärkte setzen fast alle Unternehmen aber wie gewohnt auf „Karriere“. Eine aktuelle Umfrage unter Bewerbern zeigt: An der Gedankenwelt der Kandidaten zielen sie vorbei.
Ob „herausragende Karriereperspektiven“ , „erstklassige Karrierechancen“ oder „vielfältige Karrieremöglichkeiten“: Der Karrierebegriff bildet seit vielen Jahren die Wortachse, in die sich die gesamte externe Kommunikation von Arbeitgebern einklinkt – bis hin zur „Karrierewebsite“, dem zentralen Medium der Eigenkommunikation von Unternehmen in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber. Möglicherweise reden die Verantwortlichen mit dem Wort an der Begriffswelt ihrer Zielgruppen vorbei.
Das zumindest zeigt eine aktuelle Umfrage der Recruitingplattform softgarden zum „guten Job“, an der 2.390 Bewerber teilgenommen haben. In drei Freitextfeldern hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, ungestützt Faktoren zu nennen, die aus ihrer Sicht einen „guten Job“ ausmachen. In den rund 6.000 Einträgen fiel das Wort „Karriere“ ganze 30 Mal.
Gehalt und Klima
Stattdessen benutzen die Bewerber vor allem Wörter, die sich dem Thema Atmosphäre und Klima zuordnen lassen (1.093 Nennungen), aber auch Vergütungsaspekte spielen mit 1.029 Nennungen eine große Rolle. Auf die beiden ungestützt genannten A-Faktoren folgt ein breites Mittelfeld an Kriterien, im dem Arbeitsinhalte, Kollegen, Work-Life-Balance, Weiterbildung sowie Spaß an der Arbeit von Bedeutung sind.
Die gestützte Abfrage der Wichtigkeit konkreter Rahmenbedingungen für einen „guten Job“ aus Bewerbersicht zeigt wiederum die Dominanz des Gehalts, das 96,0Prozent der Befragten als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ einschätzen. „Flexible Arbeitszeiten“ erzielen mit 81,7 Prozent ebenfalls einen hohen Wert. „Home Office“ ist für eine größere Minderheit von 37,1Prozent „wichtig“ oder „sehr wichtig“ – das Gewicht des Faktors hängt stark von der Lebenssituation der Befragten ab.
Sinn der Arbeit und Entwicklungsperspektiven
Dreht sich im Kopf der Bewerber also alles nur um den schnöden Mammon und Arbeitszeiten? Das Gehalt ist ein wichtiges Hygienekriterium, aber längst nicht alles. Die Umfrage zeigt: Bewerber sind empfänglich für Sinnangebote. Im Kontext der Arbeitswelt gehören Selbstwirksamkeitserfahrungen ebenso dazu wie Gefühle der Zugehörigkeit zu einem guten Kollegenumfeld oder die Mitarbeit an einem sinnvollen Unternehmenszweck.
„Arbeitserfolg und Produktivität sind Geschwister der Arbeitsfreude“, dichtete der scheidende Präsident der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Da scheint etwas dran zu sein, zumindest wenn sich die Arbeitsfreude als Ergebnis von Sinnerfahrungen deuten lässt: Das Einbringen persönlicher Stärken wird von 68,7 Prozent als „sehr wichtig“ für einen „guten Job“ betrachtet, eine „sinnvolle Aufgabe“ von 64,6 Prozent und die „Sichtbarkeit des eigenen Wertbeitrags“ von 57,0 Prozent. Hier können im Zweifelsfall kleine und mittlere Unternehmen mit ihrer unmittelbareren Selbstwirksamkeitserfahrung gegenüber den Großen punkten.
Und die „Karriere“? Wenn auch der Begriff kaum eine Rolle bei der Vorstellung von einem „guten Job“ spielt, so aber schon die damit verbundene Vorstellung von erhofften Entwicklungsverläufen. Mit 73,3 Prozent „sehr wichtig“-Nennungen ist die fachliche Entwicklungsperspektive dabei die wichtigste, neben der persönlichen mit 63 Prozent und der gehaltlichen (37,5 Prozent). Es fällt auf, dass „Weiterbildungsangebote“ mit 56,4 Prozent „sehr wichtig“-Nennungen schwächer priorisiert werden als fachliche oder persönliche Entwicklungsperspektiven.
Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen
Für das ungestützt von vielen Umfrageteilnehmer priorisierte „Klima“ spielen die am Arbeitsplatz wirkenden Menschen die Schlüsselrolle. Der „gute Job“ beruht in weiten Teilen auf der Qualität guter zwischenmenschlicher Beziehungen. Das gilt insbesondere für die Führungskräfte. Deren Wertschätzung halten 52,3 Prozent für „sehr wichtig“ bei der Frage nach einem „guten Job“. Noch größeres Gewicht hat die Frage, ob man von den Führungskräften etwas lernen kann (57,1 Prozent) und ob Transparenz im Hinblick auf die an die Mitarbeiterin/den Mitarbeiter gestellten Erwartungen herrscht (60,7 Prozent). „Nette Kollegen“ finden 51,6 Prozent „sehr wichtig“.
Die Umfrageteilnehmer hat softgarden nicht nur nach Positivfaktoren gefragt, sondern in einem Freitextfeld auch danach, was bei einem „guten Job“ auf „keinen Fall“ vorkommen sollte. Hier gewichten die Bewerber mit 792 Nennungen Klimafaktoren ebenfalls auffallend stark und führen zum Beispiel „Mobbing“, „mangelnde Wertschätzung“ oder „Stress“ an. Der Begriff „Mobbing“ fällt allein 300 Mal und steht häufig zusammen mit anderen negativen Begriffen: „Mobbing, falsche Versprechungen“, „Mobbing, Ausbeutung“ oder „Mobbing, nicht respektvoller Umgang“. Schlechte Führung wird von 283 Teilnehmern in der einen oder anderen Form unter den Negativfaktoren genannt: „kommunikationsarme Vorgesetzte mit wenig Interesse für Mitarbeiter“, „rüde Vorgesetzte“ oder „nicht wertschätzende Führungskräfte“.
Genauer hinhören, Muster brechen
Wie können Arbeitgeber also die richtigen Rahmenbedingungen für „gute Jobs“ schaffen? Nun, ohne ein gutes Gehalt ist alles nichts. Ein Defizit an als gerecht empfundener Vergütung lässt sich kaum durch andere Faktoren kompensieren. Viel diskutierte Aspekte wie „flexible Arbeitszeiten“ sind sicher ein wichtiges Hygienekriterium. Wie aber können Arbeitgeber den Unterschied im Wettbewerb machen? Mit einem Angebot von konkreten Perspektiven zur langfristigen fachlichen und persönlichen Entwicklung, der Erfahrung, etwas Sinnvolles zu tun, und Wertschätzung. Hier spielen Führungskräfte eine Schlüsselrolle. Denn sie sind für das „Klima“ verantwortlich, das viele Teilnehmer ungestützt als entscheidenden Faktor für einen „guten Job“ identifizieren.
„Ich muss gerne zur Arbeit gehen, das was ich tue, gerne tun und es für sinnvoll erachten. Nicht jeder Arbeitskollege muss gleich der beste Freund werden, aber ein höfliches und nettes Miteinander ist ein Muss für ein gutes Arbeitsklima. Ich muss mich persönlich und fachlich weiterentwickeln können,“ schreibt ein Umfrageteilnehmer.
Schaut man auf aktuelle Arbeitgeberangebote in Form von Karrierewebsites, Stellenanzeigen oder Bewerberbroschüren, so stimmen diese nur zum Teil mit den skizzierten Bewerbererwartungen überein. Zu viele Arbeitgeber laufen wie ein „One Trick Pony“ über den Talentmarkt, das vor allem „Karriere“ auf Lager hat. Die aktuelle Karrierekommunikation gleicht damit einem in die Jahre gekommenen Zirkuspferd, das zwar immer noch routiniert auftritt, dessen Shows aber an Glanz verloren haben.
Ein notwendiger erster Schritt für Arbeitgeber wäre es, genauer als bisher hinzuhören und Feedbackprozesse in den Unternehmen zu installieren, um die Stimme und die Stimmung von Mitarbeitern wie Bewerbern einzufangen. Sie sorgen für einen kontinuierlichen Strom, mit dessen Hilfe die Verantwortlichen in HR permanent ihr eigenes Tun, ihre Prioritäten und ihre Kommunikation mit dem Maß der spezifischen Perspektive ihrer Talentzielgruppen bewerten und optimieren können.
Die ausführliche Auswertung der Umfrage steht unter www.softgarden.de/studien zum kostenlosen Download zur Verfügung.