Wie HR zum Fachkräftemangel beiträgt

Stell dich nicht so ein!

Alle Welt jammert gerne über den „Fachkräftemangel“. 49 Milliarden kostet uns dieses Phänomen pro Jahr, hat EY vor einigen Jahren vorgerechnet. Die Frage, die ich mir stelle und die auch Sie sich in einer stillen Stunde einmal stellen sollten: Ist das, was Sie als Fachkräftemangel wahrnehmen – also fehlende Bewerbungen oder eine fehlende Passung der Bewerbenden – eigentlich wirklich der Arbeitskräfteknappheit geschuldet? Oder trägt möglicherweise der interne „Fachkräftemangel“ dazu bei? Also beispielsweise fehlende Ressourcen im Recruiting oder eine fehlende Bereitschaft, in die Personalgewinnung zu investieren. Und wenn ich von „investieren“ spreche, meine ich nicht nur das Monetäre. Ich fasse darunter auch Hirnschmalz und die innere Haltung, sich mit (neuen) Technologien auseinanderzusetzen.

Im Recruiting werden nicht alle Register gezogen

In meiner Beratungspraxis, in Seminaren und Workshops, in Gesprächen mit der Community stelle ich immer wieder fest, dass längst nicht alle Register gezogen werden, wenn es darum geht, die richtigen Menschen für ein Unternehmen zu begeistern und von einer Bewerbung zu überzeugen. So setzen viele Unternehmen beispielsweise auf nur eine oder auch zwei Jobbörsen, etwa die Größten oder auch auf keine und verlassen sich darauf, dass die Jobs über die Karriereseite den Weg zu den Menschen finden, die sich dann hoffentlich bewerben. Logisch, dass die Karriereseite gut versteckt ist und die Qualität der Stellenanzeigen auch eher, sagen wir es zurückhaltend: nicht ganz optimal ist. Gut, dass es in Deutschland so viele Jobbörsen gibt, wie in sonst keinem anderen Land dieser Welt. Da können wir dann – anstatt die Stellenanzeige zu optimieren – den Job veröffentlichen, wenn die erste Jobbörse nicht die gewünschten Resultate geliefert hat. Und gut, dass wir den Fachkräftemangel haben, auf den wir die Schuld schieben können, wenn Stellen mal wieder nicht besetzt wurden. Dass dieses möglicherweise auch daran liegt, dass man sich nach Bewerbungseingang zu viel Zeit nimmt, um die Bewerbungen akribisch zu prüfen und auf den absoluten Überflieger wartet (und Jobsuchende mittlerweile längst einem anderen Unternehmen den Zuschlag erteilten) – geschenkt!

Verblüfft bin ich immer wieder, wenn ich mitbekomme, wie Möglichkeiten missachtet werden, die es möglich machten, die Reichweite als Arbeitgeber drastisch zu steigern – ohne dafür einen größeren Betrag auf den Tisch blättern zu müssen. Auch wenn zum Beispiel die Stellenbörse der Bundesagentur für Arbeit Best Practice für Nutzer-Unfreundlichkeit darstellt, so profitieren Unternehmen durch kostenlose Reichweite, die durch Kooperationspartner (etwa meinestadt.de oder sekretaerin.de, um nur zwei Beispiele zu nennen) noch einmal multipliziert werden kann.

Google for Jobs: Unternehmen im Dornröschen-Schlaf

Dem Ganzen traurigen Treiben aber wird die Krone aufgesetzt, wenn man sich anschaut, wie die Unternehmen den wirklich reichweitenstärksten Kanal überhaupt links liegen lassen. Die Rede ist von Google. Genauer von Google for Jobs. Obwohl Googles Jobsuche mittlerweile seit 2019 auch bei uns verfügbar ist, nutzt nur ein Bruchteil der Unternehmen den Recruiting-Turbo. Wer nun glaubt, es sei insbesondere der Mittelstand, der hier patzt, sei eines Besseren belehrt. Selbst der Großteil der DAX-Unternehmen, die als global rekrutierende Unternehmen zwei Jahre Vorlauf hatten, sich mit Googles Jobsuche vertraut zu machen, nutzen die Potenziale nicht oder nicht vollständig.

Erstaunlich ist das Ganze schon, denn im Gegensatz zu allen Social-Media-Kanälen, die allesamt geschlossene Netzwerke sind und darüber hinaus einen enormen Ressourcenaufwand erfordern, diese mit (zielgruppen)relevantem Content zu bespielen, ist Google für alle ohne Login zugänglich und wird von der überwältigenden Mehrheit der Menschen genutzt. Und die Jobsuche via Google und insbesondere via Smartphone nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Selbst die großen Jobbörsen-Player, die sich beharrlich gegen Google for Jobs gewehrt haben beziehungsweise sogar eine Beschwerde bei der EU eingereicht haben – die Rede ist von Indeed beziehungsweise Stepstone – haben erkannt, dass sie von der enormen Reichweite profitieren können. Und deutsche Unternehmen? Schlafen weiter den Dornröschenschlaf und stimmen in das Lied vom Fachkräftemangel ein.

Unbezahlbare Reichweite für Arbeitgeber

Dabei entwickelt Google ein Feature nach dem anderen: Ob Anzeige des Fahrtweges, einer Gehaltsspanne oder von Remote-Jobs (mittlerweile kopiert von anderen Jobbörsen), Anzeige des erforderlichen Abschlusses oder von automatisch ausgelesenen Benefits, Zusammenfassung der Job-Highlights oder Anzeige von Alternativ-Vorschlägen zum gerade betrachteten Job, Google testet und optimiert. Ohne dass HR einen Cent für diese Features bezahlen müsste. Der Aufwand bei Google for Jobs dabei zu sein, ist überschaubar. Kosten fallen – bis auf die einmalige Optimierung der Stellenanzeigen durch IT oder Web-Agentur – keine an. Die Reichweite, die Unternehmen auf diese Art und Weise erhalten – egal, welcher Größe und Branche – ist unbezahlbar und sucht ihresgleichen.

Natürlich ist es leichter, darüber zu lamentieren, dass man keine Leute findet oder (ausschließlich) bei (s)einer altbewährten Jobbörse zu schalten. Klug und zielführend ist es aber nicht. Und so trägt der interne „Fachkräftemangel“ – ob bewusst oder unbewusst – seinen Anteil zu fehlenden oder unpassenden Bewerbungen bei. Also zu dem, was im Außen als „der Fachkräftemangel“ wahrgenommen wird.

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Henner Knabenreich, Blogger, Autor und Speaker

Henner Knabenreich

Henner Knabenreich kämpft als Arbeitgebermarken-Auftrittsoptimierer für eine bessere Bewerberwelt. Seine Leidenschaft gilt gutem Personalmarketing. Er ist Buchautor, Personalmarketing-Coach und Speaker und betreibt den Blog personalmarketing2null.de.

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