Arbeitgeber muss objektiv ungeeigneten Bewerber entschädigen

Arbeitsrecht

Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts konnte eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung im Bewerbungsverfahren grundsätzlich nur ein Bewerber geltend machen, der für eine ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet war. Davon hat sich das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 25.November 2021 verabschiedet.

Sachverhalt

Der beklagte Landkreis suchte für eine Amtsleiterposition einen Volljuristen mit Berufs- und Führungserfahrung. Die Stelle schrieb der Beklagte über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit aus. Es bewarb sich der schwerbehinderte Kläger, der in seiner Bewerbung auf seine Schwerbehinderung hinwies. Der Beklagte leitete die eingegangenen Bewerbungen gesammelt an den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung weiter. Da der Kläger das Anforderungsprofil für die Amtsleiterposition objektiv nicht erfüllte, lud der Beklagte den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein. Vielmehr teilte der Beklagte dem Kläger schriftlich mit, dass man sich für einen anderen Bewerber entschieden habe. Der Kläger fühlte sich im Bewerbungsverfahren aufgrund seiner Schwerbehinderung diskriminiert und verklagte den Beklagten auf Zahlung einer Entschädigung.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht Dresden hat die Klage ab- und das Landesarbeitsgericht Sachsen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte der Kläger Erfolg. Das Gericht sprach dem Kläger nach Maßgabe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 6.864 Euro zu, was 1,5 Bruttomonatsgehältern der zu besetzenden Amtsleiterposition entspricht.

Das Bundesarbeitsgericht ist von einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers wegen dessen Behinderung ausgegangen. Der Kläger habe Indizien bewiesen, die eine Benachteiligung vermuten lassen und der Beklagte habe diese Indizien nicht widerlegt. Indiz für eine Benachteiligung sei vorliegend, dass der Beklagte die gesetzlich bestehenden Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen (insbesondere §§ 164 f. Sozialgesetztbuch IX) nicht eingehalten habe. Der Beklagte habe die Stelle zwar über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht, dies sei aber – entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts – nicht mit einer Meldung der zu besetzenden Stelle bei der zuständigen Agentur für Arbeit und einem damit einhergehenden Vermittlungsauftrag gleichzusetzen. Zu dieser Meldung ist nach § 165 Sozialgesetzbuch IX der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet.
Für  die Indizwirkung sei die Tatsache irrelevant, dass sich der Kläger auf die Stelle beworben und sich somit die fehlende Beauftragung der Agentur für Arbeit nicht ausgewirkt habe. Der Beklagte habe mit seinem Verstoß den Eindruck erweckt, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein.
Zudem habe der Beklagte die Bewerbung des Klägers nicht „unmittelbar nach Eingang“ an die Schwerbehindertenvertretung sowie den Personalrat mit dem Hinweis auf die Schwerbehinderung weitergeleitet, sondern die Bewerbung mit anderen Bewerbungen gesammelt und diese zusammen an die Gremien weitergegeben. § 164 des neunten Sozialgesetzbuches verpflichte jedoch jeden Arbeitgeber, eine solche Bewerbung umgehend beziehungsweise sofort unter Hinweis auf die Schwerbehinderung des einzelnen Bewerbers oder der einzelnen Bewerberin weiterzuleiten.

Eine Benachteiligung sei schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil dem Kläger die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fehle. Dies habe den Beklagten nur davon befreit, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Im Übrigen sei die fehlende fachliche Eignung aber ohne Belang.

Folgen für die Praxis

Die Liste der möglichen Fehler, die ein Arbeitgeber bei der Behandlung von schwerbehinderten Menschen im Bewerbungsverfahren begehen kann, war bisher schon lang. Nun kommt noch ein weiterer  Stolperstein hinzu: Die Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen muss sofort nach deren Eingang an den Betriebsrat oder Personalrat sowie eine eventuell bestehende Schwerbehindertenvertretung weitergeleitet werden – und zwar mit dem Hinweis, dass es sich um einen schwerbehinderten Bewerber handelt.

Darüber hinaus muss auch der nicht-öffentliche Arbeitgeber vor einer Stellenausschreibung prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann – insbesondere mit einem schwerbehinderten Menschen, der bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet ist.

Der öffentliche Arbeitgeber muss der Agentur für Arbeit den freien Arbeitsplatz melden und einen schwerbehinderten Menschen grundsätzlich zum Vorstellungsgespräch einladen. Im Fall der Ablehnung eines schwerbehinderten Bewerbers sind dieser und ebenso der Betriebs- beziehungsweise der Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung über die Ablehnungsgründe zu unterrichten.

Wenn im Bewerbungsverfahren insoweit ein Fehler unterlaufen ist, konnte sich ein Arbeitgeber in der Vergangenheit zumindest dann noch erfolgreich verteidigen, wenn der Arbeitnehmer für die ausgeschriebene Stelle objektiv ungeeignet gewesen ist. Diese Möglichkeit ist nun entfallen. Dadurch steigt die Gefahr für Arbeitgeber, eine Entschädigungszahlung leisten zu müssen. Bei der Bemessung der Entschädigung ist das Bundesarbeitsgericht in seinen letzten Entscheidungen sehr konsequent von 1,5 Bruttomonatsgehältern ausgegangen, sodass diese Größenordnung arbeitgeberseitig für die interne Risiko- und Kostenbewertung herangezogen werden kann.

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Dr. Malte Ewers

Dr. Malte Evers

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen
Dr. Malte Evers ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen.

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