Auch nach Corona ist das Leben zunehmend digital, Homeoffice nicht mehr wegzudenken und das Angebot von Webinaren trotz Wegfalls der pandemiebedingten Einschränkungen groß. Gemessen daran wirkt die Entscheidung anachronistisch.
Sachverhalt
Die Betriebsparteien stritten über die Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten, die für zwei Mitglieder der Personalvertretung Kabine (Personalvertretung einer Airline) aus Anlass ihrer Teilnahme an einer Präsenzschulung „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ in Potsdam in Höhe von insgesamt 1.319,26 Euro brutto entstanden waren. Ursprünglich hatte die Personalvertretung, für die die Regelung des Betriebsverfassungsrechts gilt, ihre beiden in Düsseldorf und Köln wohnenden Mitglieder zur gleichen Präsenzschulung nach Binz/Rügen entsenden wollen. Die Arbeitgeberin, eine Luftverkehrsgesellschaft, hatte aus Kostengründen ortsnähere Seminarorte oder – im gewählten Zeitraum – ein Webinar vorgeschlagen, woraufhin die Personalvertretung die Entsendung ihrer beiden Mitglieder nach Potsdam beschlossen hat. Die Arbeitgeberin hatte anfänglich die Übernahme sämtlicher Kosten abgelehnt, zuletzt ging es noch um die Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Sie war der Ansicht, beide Mitglieder der Personalvertretung hätten an einem kostengünstigeren Webinar mit identischem Schulungsinhalt teilnehmen können, dann wären keine Übernachtungs- und Verpflegungskosten angefallen. Auch habe es im maßgeblichen Zeitraum im näheren Einzugsgebiet kostengünstigere Präsenzseminare gegeben. Demgegenüber meinte die Personalvertretung, sich nicht auf ein Webinar verweisen lassen zu müssen. An näheren Orten gehaltene Präsenzseminare seien unter anderem wegen Urlaubs nicht in Betracht gekommen.
Entscheidung
Beim Arbeitsgericht Düsseldorf war die Personalvertretung Kabine in vollem Umfang erfolgreich. Die Beschwerde der Arbeitgeberin beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf hinsichtlich der Übernachtungs- und Verpflegungskosten war erfolglos. Gemäß § 40 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz haben Arbeitgeber die Kosten für Schulungsveranstaltungen zu tragen, die entstehen, wenn ein Betriebsratsmitglied an einer Schulungs- oder Bildungsveranstaltung teilnimmt, sofern diese für die Arbeit des Betriebsrats erforderliche Kenntnisse vermittelt. Einerseits habe die Arbeitnehmervertretung bei der Prüfung der Erforderlichkeit, die betriebliche Situation wie auch die mit der Teilnahme an der Veranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen der Arbeitgeberin zu berücksichtigen. Andererseits stehe ihr bei der Auswahl der Veranstaltung ein Beurteilungsspielraum zu. Nur bei mehreren gleichzeitig angebotenen Veranstaltungen, die nach Ansicht der Personalvertretung innerhalb dieses Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen seien, komme eine Beschränkung der Kostentragungspflicht auf die preiswertere Veranstaltung in Betracht. Derzeit halte es sich innerhalb dieses Beurteilungsspielraums, wenn selbst ein inhaltsgleiches Webinar mit einer Präsenzveranstaltung nicht für qualitativ vergleichbar erachtet werde. Die Einschätzung der Personalvertretung Kabine sei nicht zu beanstanden, wonach der „Lerneffekt“ im Rahmen einer Präsenzveranstaltung deutlich höher sei als bei einem Webinar. Bei einem Webinar seien ein Austausch und eine Diskussion über bestimmte Themen in weitaus schlechterem Maße möglich als bei einer Präsenzveranstaltung. Insoweit stelle sich ein Webinar eher als „Frontalunterricht“ dar, was auch daran liegen dürfte, dass anders als bei einer Präsenzveranstaltung die Hemmschwelle, sich an einer Diskussion zu beteiligen, bei einem Webinar weitaus höher sei.
Die konkret angefallenen Übernachtungs- und Verpflegungskosten habe die Personalvertretung Kabine für erforderlich halten dürfen. Ortsnähere Präsenzseminare habe es nicht gegeben. Ermittelte Alternativseminare hätten unter anderem tatsächlich im Urlaubszeitraum des einen Mitglieds gelegen. Das andere Mitglied habe in Anwendung einer tatsächlich gelebten Praxis einer dienstlichen Veranstaltung (Training) den Vorrang gegeben. Ein anderes Seminar habe zeitlich so viel später gelegen, dass die Personalvertretung sich darauf nicht habe verweisen lassen müssen.
Praxisfolgen
Die Entscheidung ist von hohem praktischen Interesse. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es ist sehr zu hoffen, dass die Arbeitgeberin hiervon Gebrauch macht.
Generell ist das Thema „Fortbildungskosten Betriebsrat“ ein sensibles und sorgt oft für Meinungsverschiedenheiten. So viele lobenswert kostenbewusste Arbeitnehmervertretungen es gibt, so gibt es ebenso Vertretungen, die allzu leicht den ausgefeilten Angeboten einer ganz auf Arbeitnehmervertretungen fokussierten Fortbildungsbranche erliegen und sich deren Testierung als „fortbildungsgeeignet“ unkritisch zu eigen machen. Wird die vorliegende Entscheidung rechtskräftig, werden in aller Regel Webinare als Fortbildungsveranstaltungen im Sinne von § 37 Absatz 6 Betriebsverfassungsgesetz nicht mehr in Betracht kommen. Mit den Argumenten „höherer Lerneffekt“ und „schlechtere Diskussionsmöglichkeit“ lässt sich im Vergleich Präsenzveranstaltung versus Webinar praktisch jede Präsenzveranstaltung als die (angebliche) qualitativ höherwertigere würdigen. Arbeitnehmervertretungen könnten dann stets unter Berufung auf ihren Beurteilungsspielraum für die Präsenzveranstaltung votieren – mit entsprechender Kostenfolge. Das Institut zur Fortbildung von Betriebsräten (ifb), nach eigener Darstellung Marktführer im Bereich Weiterbildung für betriebliche Arbeitnehmervertreter, propagiert dies bereits entsprechend. Die Formel, wonach es vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus zu beurteilen ist, ob eine Schulung geeignet ist, die Kenntnisse zu vermitteln, die eine Arbeitnehmervertretung zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben benötigt, droht zur Worthülse zu werden.
Arbeitnehmervertretungen ist zu empfehlen, entsprechende Freistellungs- und Kostenübernahmeanträge von vornherein inhaltlich konkret und nachvollziehbar zu begründen, statt sich darauf zu beschränken, eine bloße Kopie aus einem Seminarverzeichnis vorzulegen. Andernfalls sollten Arbeitgeber die Erforderlichkeit von Schulungsveranstaltungen stärker hinterfragen und von Arbeitnehmervertretungen konkrete Begründungen verlangen, statt entsprechende Anfragen mehr oder weniger ergeben hinzunehmen.