Wann ist eine krankheitsbedingte Kündigung erlaubt?

Kundigungsschutzgesetz

Nach der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist eine Kündigung im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nur sozial gerechtfertigt, wenn sie nicht durch mildere Maßnahmen vermieden werden kann. Vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ist daher besonderes Augenmerk auf die ordnungsgemäße Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) zu legen. Andernfalls droht dem Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Kündigung.

Der Fall

Die klagende Angestellte war seit Dezember 2014 für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 lud die beklagte Arbeitgeberin die Angestellte zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement ein und überreichte dabei eine vorformulierte datenschutzrechtliche Einwilligung. Die Angestellte weigerte sich jedoch, die Einwilligung zu unterzeichnen. Daraufhin wurde das Betriebliche Eingliederungsmanagement noch vor seinem eigentlichen Beginn wieder abgebrochen.

Da die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt war, beantragte die Arbeitgeberin beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung der Klägerin. Nachdem das Integrationsamt die Zustimmung im Mai 2020 erteilt hatte, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis ordentlich.

Die Angestellte erhob Kündigungsschutzklage, die vom Arbeitsgericht noch abgewiesen wurde. Das Landesarbeitsgericht hingegen gab der Klage auf die Berufung hin statt.

Die Entscheidung

Mit Urteil vom 15. Dezember 2022 (2 AZR 162/22) hat auch das Bundesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass die Kündigung im Sinne von § 1 Absatz 2 Kündigungsschutzgesetz sozial ungerechtfertigt sei. Die Arbeitgeberin habe nicht dargelegt, dass die Kündigung nicht durch mildere Maßnahmen hätte vermieden werden können.

Zunächst stellt das Bundesarbeitsgericht fest, dass die Arbeitgeberin ihrer Verpflichtung zur Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht nachgekommen ist. Die Arbeitgeberin habe zwar zu einem Wiedereingliederungsverfahren eingeladen. Nachdem die Mitarbeiterin aber die Unterzeichnung der vorformulierten Datenschutzerklärung verweigert hatte, habe die Arbeitgeberin das Verfahren nicht einfach abbrechen dürfen. Sie hätte dennoch das Wiedereingliederungsverfahren beginnen und versuchen müssen, sich mit der Mitarbeiterin auf den Ablauf des Verfahrens und den Umfang der zu erhebenden Daten zu einigen. Erst wenn sich die Mitarbeiterin dem verweigert hätte, hätte die Arbeitgeberin das Verfahren gegebenenfalls beenden dürfen.

Sodann folgt das Bundesarbeitsgericht seiner bekannten Rechtsprechung zur Darlegungslast bei krankheitsbedingten Kündigungen. Grundsätzlich kann sich ein Arbeitgeber im Prozess zwar zunächst auf die Behauptung beschränken, dass für den Arbeitnehmenden keine andere Beschäftigungsmöglichkeit bestehe. Wenn der Arbeitgeber aber seiner Verpflichtung zur Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, muss er darüber hinaus auch detailliert vortragen, dass ein – unterstelltes – Betriebliches Eingliederungsmanagement erfolglos geblieben wäre und nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen. Dazu muss der Arbeitgeber auch darlegen, dass künftige Fehlzeiten nicht durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger hätten vermieden werden können.

Diesen Anforderungen genügte der Vortrag der beklagten Arbeitgeberin nicht.

Zuletzt stellt das Bundesarbeitsgericht fest, dass an diesem Ergebnis auch die vom Integrationsamt erteilte Zustimmung zu der Kündigung nichts ändert. Die Zustimmung der Behörde führe nicht zu einer Vermutung, dass ein Betriebliches Eingliederungsmanagement-Verfahren erfolglos verlaufen wäre. Das Bundesarbeitsgericht begründet dies damit, dass ein Betriebliches Eingliederungsmanagement einerseits und ein Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt andererseits unterschiedliche Ziele und Abläufe hätten. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement sei ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess zur Ermittlung individueller Lösungen. Das Integrationsamt hingegen sei bei seiner Entscheidung an verschiedene gesetzliche Vorgaben gebunden.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts fügt sich konsequent in dessen bisherige Rechtsprechung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement ein. Zwar wird immer wieder betont, dass die Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagement-Verfahrens formal keine Voraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung sei. Die Anforderungen der Rechtsprechung an den Arbeitgebervortrag im Kündigungsschutzprozess steigen ohne ordnungsgemäße Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements jedoch derart, dass diesen kaum genüge getan werden kann.

Arbeitgeber sollten daher vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung unbedingt ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen und sich nicht darauf verlassen, dass andere Umstände eine Erfolglosigkeit eines solchen vermuten lassen. Dabei ist darauf zu achten, dass das Wiedereingliederungsverfahren auch „ordnungsgemäß“ durchgeführt wird. Der Arbeitgeber darf nicht einseitig die Regeln für das Verfahren aufstellen, sondern muss die Vorstellungen des Arbeitnehmenden zur Kenntnis nehmen und, soweit möglich, berücksichtigen. Aus Arbeitgebersicht sollte ein Betriebliches Eingliederungsmanagement-Verfahren daher auch in „schwierigen“ Fällen immer zumindest versucht und entsprechend dokumentiert werden.

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Dr. Jan T. Hartmann, Rechtsanwalt

Dr. Jan T. Hartmann

Dr. Jan T. Hartmann ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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