Das Internet ist längst nicht mehr nur ein nützliches Tool im Alltag. Die digitale Technik ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass sich Produktionsprozesse einschneidend verändern – und damit auch die Arbeitswelt in deutschen Unternehmen. Das Arbeitsrecht steht mehr denn je auf dem Prüfstand. Beispiele zeigen, an welchen Stellen der industrielle Wandel die Unternehmen ebenso wie den Gesetzgeber perspektivisch zum Handeln zwingt.
Arbeitszeit und Arbeitsort
Digitaler Fortschritt macht Arbeitnehmer zeitlich und örtlich flexibel. Sie können selbst komplexe Produktionsabläufe nahezu an jedem Ort der Welt zu jeder Tag- und Nachtzeit steuern. Arbeitsrechtlich führt das zu der Herausforderung, Flexibilität zum Wohle von Unternehmen und Belegschaft zuzulassen, zugleich aber zu verhindern, dass die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben übermäßig verwischt.
Schon heute gelten die Regelungen im Arbeitszeitgesetz als nicht mehr zeitgemäß; Höchstarbeitszeiten ebenso wie gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeiten entsprechen in vielen Branchen nicht mehr dem tatsächlichen Bedarf: Flexibles Arbeiten wird unmöglich, wenn die Ruhezeit verletzt ist, sobald der Arbeitnehmer auch nur eine E-Mail außerhalb der üblichen Arbeitszeit kurz beantwortet oder auch nur liest.
Die offenkundige Diskrepanz zwischen Gesetz und Arbeitswirklichkeit wird sich mit der fortschreitenden Vernetzung von Arbeitsabläufen weiter verstärken. Die Definition von Arbeit und Arbeitszeit, die Höchstarbeitszeit und deren Referenzzeitraum (Tag/Woche), Mindestruhezeiten, Pausenregelungen, Nachtarbeit, individuelle und kollektive Abweichungsmöglichkeiten, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Arbeitsbereitschaft gehören damit dringend auf den Prüfstand.
Trend Crowdworking
Beim „Crowdworking“ schreiben Unternehmen einzelne Projekte oder Arbeitsaufgaben über webbasierte Plattformen aus. Registrierte User können ihre Arbeitskraft weltweit anbieten und die ausgeschriebenen Arbeiten ortsunabhängig abarbeiten. Für Unternehmen hat dies den Vorteil, dass sie personelle Engpässe in den eigenen Reihen auffangen, flexibel auf Auftragsspitzen reagieren und von der „Intelligenz der Masse“ profitieren können.
Wie Crowdworking rechtlich einzuordnen ist, darüber herrscht bislang noch keine Einigkeit: Ist der Crowdworker selbständig Tätiger oder vereinzelt sozialversicherungspflichtig Beschäftigter? Da Crowdworker weit überwiegend ihre Dienste anbieten, ohne in die Betriebsorganisation des Auftraggebers eingegliedert zu werden und ohne sich dessen Weisungen zu unterwerfen, ist im Regelfall kein Arbeitsverhältnis zwischen Unternehmen und Crowdworker anzunehmen. Die rechtliche Herausforderung wird darin bestehen, die bisherigen Kriterien zur Ermittlung von Scheinselbständigkeit entsprechend der Arbeitswirklichkeit der Industrie 4.0 weiterzuentwickeln. Unsystematische Forderungen nach arbeitnehmergleichen Schutzstandards sind indessen nicht angebracht – Crowdworker sind nicht schutzbedürftiger als „klassische“ Dienstleister.
Betriebliche Mitbestimmung
Sollen im Zuge der global vernetzten IT-Systeme technische Neuerungen eingeführt werden, ist auch bei einheitlichen Vorgaben im internationalen Konzern in Deutschland prinzipiell die Zuständigkeit der Betriebsräte in den hiesigen Betrieben eröffnet. Die nationale Mitbestimmung kann dabei kurzfristig notwendige Entscheidungen tatsächlich verzögern – und dadurch die durch den technischen Fortschritt gewonnene Flexibilität in der Produktion wieder einschränken. In einer Industrie 4.0 braucht die Mitbestimmung insbesondere nach § 87 I Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) daher neue Konturen.
Aktuell ist die Einführung neuer Technik in deutschen Betrieben mitbestimmungspflichtig, wenn sie objektiv geeignet ist, das Leistungsverhalten der Arbeitnehmer zu überwachen. Die Vernetzung zwischen Maschine und Beschäftigten mithilfe von digitalen Systemen führt aber zwangsläufig dazu, dass Arbeits- und Leistungsverhalten direkt oder indirekt erfasst und ausgewertet werden können. Denkbar wäre daher, die Mitbestimmung hier insofern anzupassen, als erst die gezielte Auswertung der gewonnenen Leistungsdaten mitbestimmungspflichtig wird.
Geänderte Qualifikationsanforderungen
Industrie 4.0 fordert neue Qualifikationen der Beschäftigten. Womöglich werden selbst einfache Hilfstätigkeiten bald ohne Wissen im Umgang mit vernetzten Systemen nicht mehr ausgeübt werden können. Arbeitsrechtlich stellt sich hier die Frage, wie Beschäftigte die geforderten Qualifikationen erlangen können und was rechtlich folgt, wenn Beschäftigte den Anforderungen nicht gerecht werden.
Nach § 96 I 1 BetrVG sind Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet, die Berufsbildung der Arbeitnehmer zu fördern. Wenn Mitarbeiter die gesteigerten und veränderten Anforderungen aber nicht erfüllen können oder Tätigkeitsbilder sich so verändern, dass sie nicht mehr der im Arbeitsvertrag vereinbarten Tätigkeitsbeschreibung entsprechen, können betriebsbedingte (Änderungs-)Kündigungen notwendig sein.
Widersetzt sich ein Arbeitnehmer bewusst dem neuen Anforderungsprofil, kommt eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen in Betracht. Denn es unterliegt der freien unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers, das Anforderungsprofil für einen Arbeitsplatz neu festzulegen. Im Streitfall muss der Arbeitgeber aber darlegen, dass die neuen Arbeitsplatzanforderungen nachvollziehbar notwendig sind, um künftig die Aufgaben zu erledigen. Ein Beispiel: Wird bei der Umstellung auf eine vernetzte Produktion digitales Fachwissen auf Arbeitsplätzen notwendig, bei denen dies zuvor nicht der Fall war, dürfte dies im Regelfall „nachvollziehbar“ sein.
Die betriebsbedingte Kündigung darf nicht durch mildere Mittel (Umschulung oder Fortbildung) zu vermeiden sein. Welcher Aufwand für Umschulung und Fortbildung dem Arbeitgeber zumutbar ist, muss je nach Einzelfall entschieden werden.
Fazit
Die Herausforderungen an das Arbeitsrecht sind nicht zu unterschätzen. Technische und wirtschaftliche Entwicklungen können nur mit einem Arbeitsrecht auf Augenhöhe vorangetrieben werden. Ein Update auf Arbeitsrecht 1.3 reicht dafür nicht aus, sondern Arbeiten 4.0 ist nur mit einem Arbeitsrecht 4.0 kompatibel. Die flexible Handhabung bestehender arbeitsrechtlicher Vorschriften für konkrete Einzelfälle kann hier bereits eine solide Grundlage bieten. Daneben sind gesetzgeberische Korrekturen angebracht. Insbesondere im Arbeitszeitrecht ist eine gesetzliche Anpassung an die aktuellen Lebensverhältnisse dringend erforderlich. Das Gesetz muss Unternehmen und Beschäftigten die notwendigen Freiräume für orts- und zeitflexibles Arbeiten ermöglichen und das enge öffentlich-rechtliche Korsett lockern.